Die Sauvegarde. Meine und meines Vaters Gesinnungen gegen die Franzosen. Mein Bruder Karl

[160] Mein Vater kam am andern Tage mit einer Sauvegarde, mehreren Chasseurs, und den besten Versprechungen vom General Dessaix, daß das Kloster geschont und geschützt werde, aus dem französischen Hauptquartier zurück.

Ich hatte damals, obgleich schon 10 Jahre alt, für Politik noch gar keinen Verstand. Und geschah es, daß ich den Franzosen mehr anhing, als den Österreichern, so kam dies nur daher, weil mein Bruder Georg in und für Frankreich lebte; auch waren die Franzosen mir wieder etwas Neues. Die Österreicher in den immer weißen Röcken waren mir nach und nach langweilig geworden.

Es kamen mir die Franzosen in ihrem gebrochenen Deutsch, mit dem sie sich bemühten, sich mir zu verständigen, während ich ihnen nachhelfen durfte, auch kindlicher und zutulicher vor; es machte mich bald vertraut mit ihnen.

Um ihr politisches Wollen kümmerte ich mich nicht. So[160] kam es, daß die Chasseurs, die mehrere Wochen lang in der Oberamtei und sonst im Kloster als Sauvegarde einquartiert blieben, mir zu großer Freude und Zeitversäumnis wurden, und ich nur mit Tränen von ihnen schied.

Ich habe von einem derselben noch Jahre lang geträumt. Es war ein junger Mann von etlich und zwanzig Jahren mit langem schwarzem Knebelbart, bleichem Aussehen, kohlschwarzen feurigen Augen, schwarzen Haaren, immer lebendig, voll Feuer und dennoch voll Sanftmut, und mitspielend wie ein Kind. Auf welchem Schlachtfelde bleichen wohl seine Gebeine?

Mein Vater zeigte sich zwar gegen jeden einzelnen Franzosen immer ernst, aber gefällig, nie mißlaunisch, gehässig; ihre Lebendigkeit gefiel ihm, aber die Nation und ihr politisches Treiben war ihm ein Greuel, wie der Aufenthalt seines Sohnes Georg unter ihnen. Ich besitze noch das Fragment eines Briefes, den er in dieser Zeit an ihn nach Paris schrieb, in dem es heißt: »Die Franzosen sind nun aus hiesiger Gegend entfernt. Heute die ganze Nacht durch hat es ihnen gegolten, man hörte hier den Kanonendonner. Die Neckarschanze bei Mannheim ist schon in den Händen der Deutschen. Clerfait ist bei Oppenheim über den Rhein und schon bis Alzey vorgedrungen, wobei die Franzosen ein Merkliches einbüßten.

Überhaupt: Friede! Friede ist das Beste! Die französische Republik ist gar zu sehr auf Blut gebaut, und dieser Fluß von Blut wird noch so stark, daß all die Freiheit in ihm ertrinkt. Es wird am Ende euch all dies selbst wie ein böser Traum werden, den ihr träumtet. Mein Sohn! bewahre doch in diesem Lande der Chimären Dein deutsches Blut!«

In einem andern väterlichen Schreiben an ihn heißt es: »Deine Vaterstadt Ludwigsburg kann nicht von der gepriesenen Tapferkeit Deiner französischen Freunde zeugen,[161] wohl aber von deutscher. Eine Handvoll sächsischer Jäger und leichter Reiter überfielen die Franzosen in Ludwigsburg (1796), der französische General Frimont versteckte sich in unseren ehemaligen Schweinstall (in der Oberamtei). Ein sächsischer Schütze nahm in der Kanne einen ganzen Tisch voll Franzosen gefangen, indem er die Büchse am Backen in das Zimmer trat und ihnen zurief: Ihr seid alle Prisoniers! In der Rose erwischte ein Dragoner einen Kriegskommissär mit einer Kasse von 30000 Franks.« –

Die entgegengesetzte Richtung seines Sohnes Karl gereichte auf der andern Seite aber zu jener Zeit meinem Vater zu großer Freude. Dieser setzte in der herzoglichen Artillerie, in der er als Unterleutnant stand, seine militärische Ausbildung tätig fort. Als die französischen Truppen am 24. Junius 1796 über den Rhein zogen, marschierte er zum erstenmal gegen den Feind. Die auf den befestigten Punkten des Kniebis und zu Freudenstadt verteilten Geschütze gerieten, da sie keine eigene Bespannung hatten, in große Gefahr genommen zu werden. General St. Cyr nahm am 2. Julius die Schanze auf dem Kniebis, worauf ein eiliger Rückzug der Reichstruppen erfolgte. Den mutvoll getroffenen raschen und zweckmäßigen Veranstaltungen des jungen Leutnants war es zu verdanken, daß jene Geschütze samt Munitionswagen dem Vaterlande gerettet wurden.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 160-162.
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