[13] Als mich die Begleiter verlassen, da kamen der Mond und die Sterne, und ich ging durch die Straßen der alten Reichsstadt. Da saßen die Leute, Mann, Weib, Tochter, Geselle und Hausmagd, vertraulich beieinander vor den Häusern. Kein Hammer schlug, kein Wagen durchfuhr mehr die Straßen, es wurde die Stadt zum großen Versammlungshause für alle.
Bald aber tönte von nah und von fern so manches Lied, das da heilig ist. Nach und nach verstummten die Lieder, nur hört' ich noch einen einsam Wandelnden singen:
»Wär' ich ein wilder Falke,
Ich wollt' mich schwingen auf«,
und bald ertönte nur noch das Flüstern zweier Liebenden unter der Haustür und das Gemurmel des Brunnens.
Ich ging der schönen gotischen Kirche zu; ein schwarzer Sarg, stund sie, noch nicht vom Monde beleuchtet, in Trauer da; lange Seufzer ertönten in ihr, die Pulse der Uhr. Immer schauriger und ernster wurden Nacht und Stille um sie; da sang eine dumpfe Stimme, wie aus den Tiefen ihres Chores, es war der Geist der Kirche:
Weh dem lebenden Geschlechte!
Weh dem schwachen, weh dem kleinen!
Unter Seufzen, unter Weinen
Harr' ich, wieviel tausend Stunden!
An die Särge festgebunden,
Keine Rechte
Will, zu lösen mich, erscheinen.
Die den Tod für mich gefunden,
Schmach und Wunden,
Liegen all um mich in Grüften –
Auf denn, Geister in den Lüften!
Und ihr unter Leichensteinen![13]
Schwebt in der Gestirne Scheinen
Ein in die verlaßnen Hallen!
Daß die heil'gen Lieder
Wieder
Ernst durch die Gewölbe schallen! –
Da kam der Mond aus Wolken, und die heiligen Bilder traten im verklärten Scheine hervor. Auf flogen mit hellem Klang die Tore der Kirche, und ein langer Zug weißgekleideter Männer und Frauen schwebte durch sie ein. Ein Wehen himmlischer Töne strömte lauter und lauter durch die Gewölbe, bis es in leises Flüstern der Äolsharfe verklang. Da trat der Mond wieder unter Wolken, und ich verließ die heilige Stätte.