Dritte Vorstellung.

[123] Die Plätze waren fast alle schon besetzt; durch Flügels Vermittlung drängten wir uns bis zu den Schranken vor, in denen der Schwanist, wie er sich nannte, stand.

Flügel legte seine Gänsegurgeln in Ordnung, machte eine tiefe Verbeugung, setzte dann eine an den Mund, und das Konzert begann.

Zuerst vernahm man nur ein zartes Lispeln wie von einer Menge kaum halbberührter Silberglöckchen, bald aber kamen die Töne immer näher und näher, bis sie endlich zu einem völligen Choral und Orgelton anschwollen, der wieder bis zum Lispeln der Silberglöckchen verschwand.

Der Schwanist spielte die Melodie: »Hebe, sieh, in sanfter Feier.«

»Es ist mir,« sagte der Deklamator und Dichter, »als tönten lauter Schneeglöckchen; diese Töne sind alle so rein gewaschen, so milchweiß, bei Gott! es ist einzig! Hören Sie, sehen Sie's?« fuhr er dann wieder fort, »mir ist jetzt, als schwämme ein Schwan durch die himmelblaue Luft – – sehen Sie! dort schifft er! jetzt, jetzt läßt er ein Ei fallen und verschwindet, – – dies war eine Kadenz. Jetzt heben sich die Töne, – – und jetzt – – sehen Sie! jetzt öffnet sich das Ei, und daraus schwebt ein weißes Täubchen mit einer Lilie im Schnabel in das Morgengold auf – – jetzt – – sehen Sie! jetzt zerfließt das Täubchen und wird zur Milchstraße, und nun – – nun hören Sie die Millionen Silberglöckchen, Schneeflöckchen, die wie Morgentau auf die Erde sinken, daß ein weißer Reif den ganzen Saal deckt und alle Leute gepudert dastehen?« Ich versicherte ihn, von all diesem durchaus rein nichts zu sehen als den verfluchten Rauch der Tabakspfeifen. Der Dichter wandte sich nun zu seinem Nachbar, dem Postknecht. Dieser sprach, indem er mich in die Waden kneipte: »Ja! ich seh' es, bei Gott! ich seh's! auch ist mir, als drehten sich Millionen Knackwursträdchen wie Feurrädchen an der Decke des Saales; auch ist mir, als lägen wir alle in einer Sülze. Die Herren da in den schwarzen Röcken kommen mir alle wie Stückchen Schwarzwildbret vor; ich selbst und meine Herren Kollegen in gelben Röcken sind Zitronenrädchen, und Sie, wertester Herr! kommen mir vor wie ein Lorbeerblatt.«[123]

»Ja! und so ist es mir auch«, versetzte der Dichter. »Jetzt, jetzt«, flüsterte ein Tribunalrat, »hängt es nur noch an einem Zäserchen. O weh! es bricht!« schrie er nun laut. »Gott sei Dank!« versetzte er wieder leise, »nun kommt es doch gröber, es wird einem ganz bang!«

»Es wäre mir lieber,« sagte sein Nebenmann, der Speismeister, »wenn auf einen so feinen Ton jedesmal sogleich ein derber Schlag auf eine Pauke oder ein Tritt mit dem Fuß nachfolgte: denn so ist es eine Suppe ohne Schnitten, – – aber immer einzig in seiner Art, mit einer Gänsegurgel, die man bisher kaum zum Gänsepfeffer brauchbar fand! außerordentlich! ganz unerhört! ja es ist –« – »Scharlatanerie!« rief eine breite, lange Maschine, die sich langsam von ihrem Sitze aufhob, eine lange Balancierstange als Stock in den Händen trug und sich Professor Schwimmgürtel von Mittelsalz nannte. »Der Kerl ist nichts anders, als so ein Gall, so ein Campetti, so ein unverbrennlicher Roger, so ein Marktschreier. Ich habe den Kerl in Mittelsalz gehört, und die ganze Sache ward mir alsbald verdächtig; ich habe dem Ding mit Muße nachgesonnen und jetzt, wo ich ihr auf den Grund komme, bin ich dem Kerl mit einem Herrn Kandidaten, dem ich eine Dissertation über diesen Gegenstand schreibe, auf dem Fuße nachgereist, um hier meinem Herrn Doktoranden den wahren Doktorshut abzuholen. Die Prostitution und Dekapierung des Kerls muß publice geschehen, und das Manöver soll alsbald beginnen. Sie, Herr Kandidat! haben bei der ganzen Affäre weiter nichts zu tun, als immer in der Richtung meines Zopfes hinter mir herzugehen et sic porro.«


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 123-124.
Lizenz:
Kategorien: