Zweite Vorstellung.

[138] In der Bude daneben war ein Ringelspiel zu sehen, da ritten sie auf hohen hölzernen Pferden, die im Kreise herumgedreht wurden, und suchten während des Herumfahrens Ringe, welche an die Seiten aufgehangen waren, mit Speeren herunter zu stechen.[138]

Vor allen fiel mir da ein Mädchen auf, das stand mit beiden Füßen frei in einem der Steigbügel, hielt sich mit der linken Hand an der Mähne des Pferdes, mit der rechten aber führte es den Spieß.

Es verfehlte nie den Ring, während alle Männer ihn verfehlten. Alles blickte auf dasselbe Mädchen, und war es nicht anders anzusehen als eine Fee. Je länger ich es anblickte, desto bekannter schienen mir seine Züge, nur vermocht' ich wegen des schnellen Herumfliegens nicht, sein Bild genau aufzufassen.

Das Spiel war geendigt, das Mädchen sprang vom Pferde, und ich erkannte zu meiner großen Freude in ihm jenes fremde Mädchen, das mit mir den Fluß hinabgefahren war; es hatte auch mich erkannt und freundlich gegrüßt.

Da ging ich auf dasselbe zu und sprach: »Nun sollt Ihr an mir nicht wieder wie ein Schatten an der Wand vorüberschweben; festzuhalten gedenk' ich Euch, so seenartig Ihr auch aussehet.«

Das Mädchen lächelte; ich führte es an der Hand aus der Bude, und wir gingen die Wiese hinab gegen den Fluß spazieren.

Ich lobte seine Kunst; da erzählte es mir mit vieler Einfalt, wie es auch im Schwimmen gar wohl erfahren sei und auch ein Schiff zu lenken verstehe.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 138-139.
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