Vierte Vorstellung.

[58] Es war einem bald, als stünde das Schiff still, das Ufer aber, und was darauf, lief wie die gezogenen Bilder eines Schattenspieles vorüber. Bald kam ein dunkler Felsen, darauf stand eine alte Burg, der Mond verbarg sich hinter dem Turme. Jetzt trat er hervor, da warf der Turm einen langen Schatten über den Berg hin. Der Felsen zog vorüber, es kam ein liebliches Tal, welches mit Tannen bewachsen war; nahe am Ufer standen kleine Fischerhütten. Seht in dies Fenster schnell! da sah ein altes Weib bei der Lampe, hatte eine Brille auf der Nase und ein großes Buch vor sich liegen.

Die Hütten zogen vorüber; es kam eine Kapelle, dabei stand ein hohes Kreuz und ein Schöpfbrunnen; ein Schäflein aber, das sich wohl verloren hatte, sprang blökend am Ufer hin.

Nun kam wieder ein einsames Haus, das stand recht wie im Mond; vier Tannen sahen darüber her, auf das lange schwarze Dach sah man mit weißen Ziegeln Drudenfüße gezeichnet; eine Leiter ragte oben zum Kamin heraus, und eine weiße Katze lief über das Dach hin.

»Das Wesen eines Daches«, sprach das fremde Mädchen zu mir, »gibt einem doch schon als Kind eine ganz sonderbare Empfindung, die einem bis in das Alter bleibt.

Da oben guckt der Kaminfeger heraus und geht einsam[58] die Katze hin und her, die schon ins Zauberreich gehört oder Dienerin geheimer Mächte ist.

Bei Nachtzeit setzt das Käuzchen sich auf das Dach, und sein Totenruf hallt schauerlich durch die Stille. Dann sieht man auf ausgebreitetem Leichentuche einen Sarg über das Haus fliegen, und bald wallt dann ein Zug schwarzer Männer in langen Mänteln aus dem Hause, die tragen den Herrn des Hauses zu Grabe.

Oft sieht man auch in stürmischer Nacht, wenn die Wetterfahnen klagend knarren, ein altes Weib auf einem Besen über das Dach hinfahren; dann fallen die Ziegel prasselnd nieder und wecken den Wachhund im Hof.

In einer verschlossenen Kammer da unter dem Dache, sieh! blick' durch das Schlüsselloch! da siehst du ein sonderbar gemaltes Bild, es ist eine schneeweiß gekleidete Frau mit hellem, gelbem Angesicht, – ihre Augen sind so schrecklich! Auch der Vater weiß nicht, woher dies Bild kam, es ist ururalt, und sprach die Großmutter auf dem Totenbette oft davon.

Der Vater wagt nicht, diese Kammer zu eröffnen, wir sollen es nicht sehen, – aber ich schleiche mich oft leis und langsam die Treppe hinauf und sehe durchs Schlüsselloch dies Bild an, bis es mir angst wird, dann spring' ich die Treppe hinab und halte den Atem an. Einstmals war mir, als winkte mir das Bild, es wollte auch sprechen, aber konnte nicht; hu! wie flog ich die Treppe hinab. Es wird einem so sonderlich zumute da oben; aber ich bin doch gerne da.

Sieh! da hängt auch ein Kleid vom Urgroßvater und ein Paar große Stiefel mit Sporen und ein langes Schwert!«

So sprach das fremde Mädchen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 58-59.
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