Fünfte Vorstellung.

[70] Eine Bude mit Volksbüchern und Volksliedern zog mich bald sehr an.

Die Mägde, welche von dem nahen Brunnen kamen, hatten sich rings um sie versammelt und ließen sich von dem Verkäufer die schönen neuen Lieder mit Begleitung eines Hackbretts vorsingen.

Den Jäger und den Mühlknecht fand ich auch hier wieder.

Ersterer suchte sich den Jäger aus der Kurpfalz; der Mühlknecht aber kaufte sich das Büchlein, welches den Titel führt: Der Müllerehrenkranz.

Der Jäger, welcher ein schöner junger Mann war, küßte eines der Mädchen nach dem andern, und sie nahmen es nicht übel. Der Mühlknecht hätte es wohl auch gerne getan, das sah ich ihm wohl an, er war aber noch gar jung und unkeck, oder war er verliebt; denn er kaufte sich das Lied: »Wenn ich ein Vöglein wär'!«, auch rief er ja damals dem Echo zu: »Grüß' meinen Schatz viel tausendmal!«

Der Jäger aber betrachtete die Mädchen wie Rehe in dem Walde, die alle ihm angehören; deswegen hielt er auch in jedem Arme zwei.

An dieser Bude war es auch, wo man schöne Bilder, Herzchen mit Reimen und gedruckte Liebesbriefe verkaufte, die waren »geschrieben in der Stadt, wo die Lieb' kein Ende hat, und geschrieben in dem Jahr, da die Liebe Feuer war«.

Wohl stand manches liebe Kind da, das suchte ein gemaltes Herz und fand im stillen ein liebewarmes.

Die meisten Mädchen kauften sich die heilige Genoveva.[70]

»Das ist doch nach der Bibel«, sprach eines, »das liebste Buch.«

»Nein! den gehörnten Siegfried hab' ich doch noch lieber«, sprach eine andere.

»Das macht, weil dein Schatz ein Soldat ist«, erwiderte ihr die Nachbarin; da lachten die Mädchen, und die Getroffene errötete.

»Hat Er sie nun? sind sie jetzt da? her damit!« schrie ganz hastig ein frischer Junge, der sich durch die Menge an die Bude drängte. Die Mädchen lachten über ihn. »Fort, ihr Ungeziefer!« schrie er; »dort hängen sie! Gott sei Dank! schnell her!« Es meinte der Junge die Historie von den vier Haimonskindern, die riß er auch alsbald von der Schnur, warf dem Verkäufer ein Geldstück hin und eilte, ohne sich die kleine Münze herausgeben zu lassen, von dannen.

»Weh! o weh!« schrien bald darauf die Mädchen, »welcher Spitzbube hat das getan? Das ist ein Streich!« Sie wollten auseinander und konnten nicht; ich sah mich um, da waren sie alle bei den Haarzöpfen zusammengebunden; Felix aber stand hinter mir und hatte seinen Rock bereits wieder auf der Sonntagsseite an, woran ich erkannte, daß er abermals einen Spuk gemacht.

Ein Blatt, das den Titel führte: »Schöne neue Historie von einem Maler, genannt Andreas, und einer Kaufmannstochter, genannt Anna«, zog ich von der Schnur, gab dem Verkäufer einige Münzen dafür und drängte mich nun durch das Getümmel des Marktes dem Tore zu, das nach der Stadt Grasburg führt.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 70-71.
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