Elfte Vorstellung.

[94] Der Pfarrer und der Bronnenmacher schlichen sich ganz stille in eins der obern Zimmer und bestellten zwei Schinken und mehrere Bouteillen Wein.

Der Koch aber war boshaft genug, alsbald vor allen Anwesenden in der untern Wirtsstube zu erzählen: wie die zwei Herren da oben von einem wütenden Hunde gebissen worden, und wie man sich in der Tat ein wenig vor ihnen in acht zu nehmen habe; besonders vor dem Bronnenmacher, der eigentlich so dürr, ja noch dürrer von Natur als der Pfarrer sei, der aber durch den Hundsbiß bereits auf das allerschrecklichste angeschwollen.

Da ward alsbald das ganze Haus voll Schrecken.

Vergebens schrie der Pfarrer um Fleisch, niemand getraute sich in das Zimmer.

»Mein Hunger ist rasend! meine Geduld ist aus!« schrie jetzt der Bronnenmacher, indem er, wie eine Pumpe aus dem Kessel, schnaubend aus dem obern Erker herabfuhr; der Pfarrer folgte ihm als ein schmaler, feuriger Schweif.

Alles floh, was außer der Wirtsstube, in dieselbe; alle Türen wurden versperrt; zwei Kinder, die sich nicht schnell[94] genug in die Wirtsstube retten konnten, schrien ganz lamentabel im Vorhof.

Die Nachbarn sprangen herbei. Der Koch rief ihnen durch das Fenster zu: »Ihr lieben Leute! sperrt eilend die Türen des Wirtshauses, sonst wird das ganze Dorf gebissen.«

Der Koch, der Kondukteur, die Postknechte, die Wirtsleute und ich befanden uns in der untern Wirtsstube. Der Koch rekognoszierte durch das Schlüsselloch und machte alles noch ärger. »Jetzt«, sprach er, »zerbeißt der Bronnenmacher das Schloß der Türe; ich seh's, er zischt, der Schaum steht ihm vor dem Maule. Himmel! welche Augen er macht! Der Pfarrer dreht den Kopf krampfhaft hin und her und hat sich in des Bronnenmachers Waden verbissen! Jetzt, – weh! – rennt der Bronnenmacher mit dem Kopfe gegen die Türe, wie ein Mauerbrecher – weh!«

Da sprang alles zurück, der Bronnenmacher schlug fluchend an die Türe.

»Rette sich, wer noch zu leben Lust hat!« schrie der Koch und sprang zum niedern Fenster der Wirtsstube mit den Zwei Schinken hinaus.

Der Kondukteur, die Postknechte und ich folgten ihm nach.

Die Postknechte warfen sich auf die Pferde, wir in den Wagen, und pfeilschnell flogen wir von dannen.

Der Koch konnte sich seines Spuks nicht satt genug freuen; er erzählte, wie absprechend der Pfarrer, noch eh' ich zu dem Postwagen stieß, gegen ihn gewesen, auch wie der Bronnenmacher sich über seine lange Nase lustig zu machen gesucht hätte.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 94-95.
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