Erste Vorstellung.

[96] Jener Mühlknecht hatte mich schon durch seine Erzählung auf die Gegend der Hallwälder begierig gemacht. Der Tag war gekommen, die Wälder lagen vor uns, und ich verließ den Postwagen, nachdem ich dem lustigen Koch meinen wunderlichen Traum erzählt, um zu Fuß durch diese schöne Wildnis zu gehen.[96]

Hohe Felsenmassen lagen bald vor mir, die sich den weiten Berg entlang erstreckten, und deren hohe Zacken bald wie alte zerfallene Türme, Schlösser und Mauern, bald wie kolossale Menschengestalten dastanden.

Bald aber öffnete sich wieder ein liebliches Tal; darin weideten Herden und standen einzelne Bauernhütten zerstreut; dann aber erblickte ich wieder stundenlang nichts als wilde Felsenmassen mit Tannen bewachsen, tief in der Schlucht eine Köhlerhütte oder eine Waldmühle oder Gemäuer einer vom Felsen gestürzten Burg.

Kein Mensch war zu erschauen; schauerliche Stille herrschte; die schlanken Tannen, vom Winde hin und her getrieben, unterbrachen nur durch wehmütige Töne, oft fast wie die einer Äolsharfe, diese Stille.

Weiter aber begegnete mir wohl ein altes Weib, welches einen Butten auf dem Rücken trug und an einem langen Stocke einherging. Solche glich ganz den Berg- oder Waldfrauen und war recht wundersamen Aussehens.

Ich ging abwegs, beschauend, was mich anzog; bestieg bald die hohen Felsen, bald ließ ich mich in die engen Schluchten nieder und horchte auf den Gesang der unterirdischen Quellen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 96-97.
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