Sechster Auftritt

[74] Ottokar. Kuno. Max. Kaspar. Jäger. Treibleute. Zuletzt Agathe, Ännchen, der Eremit, die Brautjungfern und ein Zug von Landleuten. Ottokar im Hauptzelt an der Tafel; am untersten Platz Kuno. Max in Kunos Nähe, doch außerhalb, auf seine Büchse gestützt. Auf der entgegengesetzten Seite Kaspar hinter einem Baum lauschend.


Nr. 15. Jägerchor


CHOR DER JÄGER.

Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen,

Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich?

Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen,

Den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich

Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen,

Erstarket die Glieder und würzet das Mahl.[74]

Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen,

Tönt freier und freud'ger der volle Pokal!

Jo ho! Tralalalala!


Diana ist kundig, die Nacht zu erhellen,

Wie labend am Tage ihr Dunkel uns kühlt.

Den blutigen Wolf und den Eber zu fällen,

Der gierig die grünenden Saaten durchwühlt,

Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen,

Erstarket die Glieder und würzet das Mahl.

Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen,

Tönt freier und freud'ger der volle Pokal!

Jo ho! Tralalalala!


Anstoßen der Gläser und lautes Gejubel.


OTTOKAR. Genug der Freuden des Mahls, werte Freunde und Jagdgenossen! Und nun noch zu etwas Ernstem. Ich genehmige sehr gern die Wahl, welche Ihr, mein alter wackerer Kuno, getroffen habt. Der von Euch erwählte Eidam gefällt mir.

KUNO. Ich kann ihm in allem das beste Zeugnis geben; gewiß wird er sich stets beeifern, Eurer Gnade würdig zu sein.

OTTOKAR. Das hoff' ich. Sagt ihm, daß er sich bereit halte!


Kuno geht aus dem Zelt, spricht mit Max und geht dann wieder hinein.


KASPAR für sich. Wo bleibt nur das Döckchen? Hilf, Samiel! Er klettert auf den Baum und sieht sich um.

OTTOKAR. Wo ist die Braut? Ich habe so viel zu ihrem Lobe gehört, daß ich auf ihre Bekanntschaft recht neugierig bin.

KUNO. Nach dem Beispiel Eurer erlauchten Ahnen war't Ihr immer sehr huldreich gegen mich und mein Haus.

MAX hält die Kugel in der hohlen Hand und blickt starr auf sie hin; für sich. Dich sparte ich auf – Unfehlbare! Glückskugel! Aber du lastest jetzt zentnerschwer in meiner Hand.

KUNO. Der Zeit nach muß meine Tochter bald hier sein. Doch wollt Ihr mir gnädig Gehör schenken, Herr Fürst, so laßt den Probeschuß vor ihrer Ankunft ablegen. Der[75] gute Bursch hat seit einiger Zeit, wo freilich die Entscheidung seines Glücks immer mehr herannahete, ganz besondern Unstern gehabt. Ich fürchte, die Gegenwart der Braut könne ihn in Verwirrung setzen.

OTTOKAR lächelnd. Er scheint allerdings für einen Weidmann noch nicht kaltes Blut genug zu besitzen. Solang' ich ihn nur aus der Ferne beobachtete, tat er drei Meisterschüsse. Aber seit dem Augenblick, da ich ihn rufen ließ, hat er stets gefehlt.

KUNO. Das steht nicht zu leugnen, und doch war er früher stets der Geschickteste.

OTTOKAR. Wer weiß, Alter, ob's uns beiden am Hochzeitstag besser gegangen wäre! Indes, alte Gebräuche muß man ehren! Zudem – Lächelnd und laut, daß es Max vernehmen soll. habt Ihr ja noch einen ältern Jägerburschen, Kuno! dem, wenigstens den Jahren nach, der Vorzug gebührte.

KUNO. Dieser – gnädigster Herr – erlaubt mir –

MAX für sich. Kaspar hat vielleicht noch seine letzte Freikugel. Er könnte wohl gar – Er ladet hastig und stößt die Kugel in den Lauf. Noch einmal und nimmer wieder!

OTTOKAR. Nun, es ist bloß, um das Herkommen zu beobachten und meine Gunst zu rechtfertigen. Er tritt aus dem Gezelt. Gäste und Hofleute folgen. Die Jäger erheben sich und treten auf die andere Seite. Wohlauf, junger Schütz! einen Schuß, wie heut früh deine drei ersten, und du bist geborgen! Nachdem er sich umgeschaut. Siehst du dort auf dem Zweig die weiße Taube? Die Aufgabe ist leicht. Schieß!


Max legt an. In dem Augenblick, da er losdrücken will, tritt Agathe mit den übrigen zwischen den Bäumen heraus, wo die weiße Taube sitzt.


AGATHE schreit. Schieß nicht! Ich bin die Taube!


Die Taube flattert auf und nach dem Baum, von welchem Kaspar eilig herabklettert. Max folgt mit dem Gewehr; der Schuß fällt. Die Taube fliegt fort. Sowohl Agathe als Kaspar schreien und sinken. Hinter der ersten tritt der Eremit hervor, faßt sie auf und verliert sich dann wieder unter dem Volk. Dies alles ist das Werk eines Augenblicks. Sowie der Schuß fällt, fängt das Finale an.


[76] Nr. 16. Finale


Ännchen, Max, Ottokar, Kuno und einige Landleute sind um Agathe im Hintergrund beschäftigt. Der übrige Chor steht in angstvollen Gruppen verteilt, nach Agathe und Kaspar blickend.


CHOR DER HOFLEUTE, JÄGER UND LANDLEUTE.

Schaut! o schaut!

Er traf die eigne Braut!

EINIGE.

Der Jäger stürzte vom Baum!

CHOR.

Wir wagen's kaum,

Nur hinzuschaun!

O furchtbar Schicksal, o Graun!

Unsre Herzen beben, zagen!

Wär' die Schreckenstat geschehn?

Kaum will es das Auge wagen,

Wer das Opfer sei, zu sehn.


Ottokar und seine nähere Umgebung sind zu Agathe geeilt; geringere Jäger zu Kaspar. Agathe wird in den Vordergrund auf eine Rasenerhöhung gebracht. Alle sind um sie beschäftigt. Max liegt vor ihr auf den Knien.


AGATHE erwacht aus schwerer Ohnmacht.

Wo bin ich?

War's Traum nur, daß ich sank?

ÄNNCHEN.

O fasse dich!

MAX UND KUNO.

Sie lebt!

MAX, KUNO UND CHOR.

Den Heil'gen Preis und Dank!

Sie hat die Augen offen!

EINIGE auf Kaspar zeigend.

Hier dieser ist getroffen,

Der rot vom Blute liegt!

KASPAR sich krampfhaft krümmend.

Ich sah den Klausner bei ihr stehn;

Der Himmel siegt!

Es ist um mich geschehn!

AGATHE sich nach und nach erholend und aufstehend.

Ich atme noch, der Schreck nur warf mich nieder,

Ich atme noch die liebliche Luft,

Ich atme noch!

KUNO.

Sie atmet frei![77]

MAX.

Sie lächelt wieder!

AGATHE.

O Max!

MAX.

Die süße Stimme ruft!


Agathe.

O Max, ich lebe noch!

MAX.

Agathe, du lebest noch!

ALLE.

Den Heil gen Preis und Dank!


Samiel kommt hinter Kaspar aus der Erde, von den übrigen ungesehen.


KASPAR erblickt Samiel.

Du, Samiel! schon hier?

So hieltst du dein Versprechen mir?

Nimm deinen Raub! Ich trotze dem Verderben!


Er hebt die geballte Faust drohend gen Himmel.


Dem Himmel Fluch! – Fluch dir!


Er stürzt unter heftigen Zuckungen zusammen. Samiel verschwindet.


CHOR von Grausen ergriffen.

Ha! – Das war sein Gebet im Sterben?

KUNO.

Er war von je ein Bösewicht!

Ihn traf des Himmels Strafgericht!

CHOR UND KUNO.

Er war von je ein Bösewicht!

Ihn traf des Himmels Strafgericht!

Er hat dem Himmel selbst geflucht!

Vernahmt ihr's nicht? Er rief den Bösen!

OTTOKAR.

Fort! stürzt das Scheusal in die Wolfsschlucht!


Einige Jäger tragen den Leichnam fort.


OTTOKAR zu Max.

Nur du kannst dieses Rätsel lösen,

Wohl schwere Untat ist geschehn!

Weh dir! wirst du nicht alles treu gestehn!

MAX.

Herr! unwert bin ich Eurer Gnade;

Des Toten Trug verlockte mich,

Daß aus Verzweiflung ich vom Pfade

Der Frömmigkeit und Tugend wich;

Vier – Kugeln – die ich heut verschoß –

Freikugeln sind's, die ich mit jenem goß.

OTTOKAR zornig.

So eile, mein Gebiet zu meiden,

Und kehre nimmer in dies Land![78]

Vom Himmel muß die Hölle scheiden,

Nie, nie – empfängst du diese reine Hand!

MAX.

Ich darf nicht wagen,

Mich zu beklagen;

Denn schwach war ich, obwohl kein Bösewicht,

KUNO.

Er war sonst stets getreu der Pflicht!

AGATHE.

O reißt ihn nicht aus meinen Armen!

JÄGER.

Er ist so brav, voll Kraft und Mut!

CHOR.

O er war immer treu und gut!

ÄNNCHEN.

Gnädiger Herr, o habt Erbarmen!

KUNO UND CHOR.

Gnäd'ger Herr, o habt Erbarmen!

ÄNNCHEN.

O habt Erbarmen!

OTTOKAR.

Nein, nein, nein!

Agathe ist für ihn zu rein!


Zu Max.


Hinweg, hinweg aus meinem Blick!

Dein harrt der Kerker, kehrst du je zurück!


Der Eremit tritt auf. Alles weicht ehrerbietig zurück und begrüßt ihn demutsvoll, selbst der Fürst entblößt sein Haupt.


EREMIT.

Wer legt auf ihn so strengen Bann!

Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung wert?

OTTOKAR.

Bist du es, heil'ger Mann!

Den weit und breit die Gegend ehrt?

Sei mir gegrüßt, Gesegneter des Herrn!

Dir bin auch ich gehorsam gern;

Sprich du sein Urteil; deinen Willen

Will freudig ich erfüllen.

EREMIT.

Leicht kann des Frommen Herz auch wanken

Und überschreiten Recht und Pflicht,

Wenn Lieb' und Furcht der Tugend Schranken,

Verzweiflung alle Dämme bricht.

Ist's recht, auf einer Kugel Lauf

Zwei edler Herzen Glück zu setzen?

Und unterliegen sie den Netzen,

Womit sie Leidenschaft umflicht,

Wer höb' den ersten Stein wohl auf?

Wer griff' in seinen Busen nicht?

Drum finde nie der Probeschuß mehr statt!

Ihm – Herr –


Mit finsterm Blick auf Max.


der schwer gesündigt hat,[79]

Doch sonst stets rein und bieder war,

Vergönnt dafür ein Probejahr!

Und bleibt er dann, wie ich ihn stets erfand,

So werde sein Agathens Hand!

OTTOKAR.

Dein Wort genüget mir,

Ein Höh'rer spricht aus dir.

ALLE.

Heil unserm Fürst, er widerstrebet nicht

Dem, was der fromme Klausner spricht!

OTTOKAR zu Max.

Bewährst du dich, wie dich der Greis erfand,

Dann knüpf' ich selber euer Band!

MAX.

Die Zukunft soll mein Herz bewähren,

Stets heilig sei mir Recht und Pflicht!

AGATHE zu Ottokar.

O lest den Dank in diesen Zähren;

Das schwache Wort genügt ihm nicht!

OTTOKAR UND EREMIT.

Der über Sternen ist voll Gnade;

Drum ehrt es Fürsten, zu verzeihn!

KUNO zu Max und Agathe.

Weicht nimmer von der Tugend Pfade,

Um eures Glückes wert zu sein!

ÄNNCHEN zu Agathe.

O dann, geliebte Freundin, schmücke

Ich dich aufs neu zum Traualtar!

EREMIT.

Doch jetzt erhebt noch eure Blicke

Zu dem, der Schutz der Unschuld war!


Er kniet nieder und erhebt die Hände. Agathe, Kuno, Max, Ännchen und mehrere des Volkes folgen seinem Beispiel.


ALLE MIT DEM CHOR.

Ja, laßt uns zum Himmel die Blicke erheben,

Und fest auf die Lenkung des Ewigen baun! –

AGATHE, ÄNNCHEN, MAX, KUNO, OTTOKAR UND EREMIT.

Wer rein ist von Herzen und schuldlos im Leben,

Darf kindlich der Milde des Vaters vertraun!

ALLE.

Ja, laßt uns die Blicke erheben,

Und fest auf die Lenkung des Ewigen baun,

Fest der Milde des Vaters vertraun!

Wer rein ist von Herz und schuldlos im Leben,

Darf kindlich der Milde des Vaters vertraun!

Quelle:
Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Leipzig [o.J.], S. 74-80.
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