16.

[149] Früh um vier auf dem Nachhauseweg


Ich springe aus einem fremden Bett

Der Schweinebraten heute war ziemlich fett

Es rumort im Darm

Ich muss gehn

Ich glaube ich hielt den Mond im Arm

Er zelebrierte eine Hyazinthe im Maul

Bleib doch noch, Paul –

Auf Wiedersehn.


Was soll werden?

Weisst du das?

Friede auf Erden

Glück und Glas

Die letzte Untergrundbahn hab ich versäumt

Eine Autohaltestelle ist auch nicht in der Nähe

Auf der Nürnbergerstrasse wandeln zwei Rehe

Eine Droschke träumt

Von sich

Sie fuhr übern Strich

Dann untern Strich

Kobolz[149]

Ins Feuilleton

Bon

Das Pferd ist aus Holz

Der Mann aus Stein

Bald wird es morgen sein.


Olga

Und Wolga

Reimt sich

Erster Kuss

Letzter Kuss

Ebenfalls.

Man brach in der Loge zu den drei Weltkugeln einigen Flaschen den Hals

Und einer Dame im Nerz

Das Gipsherz

(Gegen Blut empfand sie ein gewisses Odium)

Ich rezitierte auf einem Podium

Auf dem eine Guillotine stand:

Was ist des Deutschen Vaterland?

Aus einer benachbarten Kaschemme

Holte der Meister vom Stuhl mir persönlich eine Bemme.

Da sage einer noch, dass der Bürger seine Dichter hungern lässt

Es war ein phänomenales Fest.


Man hat mir am Wittenbergplatz

Meinen Wintermantel gestohlen (Applaus)

Dazu einen Kinderlatz[150]


Und meine Brille.

Was immer geschieht: es geschieht Gottes Wille.

Durch meine Brille sieht die Welt wie ein frisch gebornes Ferkel so rosig aus.


Der ersten Strassenbahn Gebimmel.

Der Himmel

Glänzt wie ein Rasierspiegel

Herrgott hab ich Stoppeln am Kinn

Und wie widerlich ich im grossen ganzen bin

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt –

Na Kleener, kommste mit?

Die Sterne fallen wie Schnee

Der Stern dort mein Herz zuckt rötlich

Und jener: mein Nabel?

Fabel-

haft – oder ists die grosse Zeh?

Ich langweile mich tödlich

Getreu bis zum Grab

Schieb ab, kleine Dirne,

Es leuchten die Firne

Schieb ab, schieb ab –

Die Kinder wie Ratten in den feuchten Kellern krepieren

Die Mütter in ihren dünnen Hemden frieren

Keine Kohle

Kein Brot

Keine Sohle

Kein Tod[151]


Ein halbes Leben

Ein halbes Sterben

Gott im Himmel ich kann nicht vergeben –

Rachitische Braut

Aus deiner ledernen Haut

Wollen wir dir deine Hochzeitsschuhe gerben

Denn deine letzten Pantinen

Hat dir mit heitersten Mienen

Dein zweiter Kerl geklaut.


Es ist scheusslich kalt

In der Passage ist eine alte Frau erfroren

Sie hat auf die Steinfliesen ein blindes Kind geboren

Die Sitte nahm es mit: Kleines Biest

Sei froh dass du die Friedrichstrasse nicht siehst

Wie ein Vogel hat sich das Kind an den Schutzmann gekrallt

Aber der liebe Gott geht in einem angewärmten Schafpelz durch den Wald.

Er ist der liebe gute alte Mann

Dem man nicht böse werden kann

Er kommt wie der lahme

Revierförster angesackt

Achtung: Grossaufnahme

Letzter Akt

Monumentalfilm: Die Schöpfung (Die Schröpfung)

Titel: Gelobt sei dein Namen

In Ewigkeit Amen.[152]

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 149-153.
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