Liebwehrter Herr/ geehrter Freund

[237] Ich hab aus des Herrn gestern an mich beliebten Schreiben erfreulich verstanden/ wie er gesinnet/ ein Trauergedicht von dem bittern Leiden und Sterben unsers Heilands aufzusetzen/ benebens der Frage/ in was für Reimarten solches am schikklichsten beschehen könte?

Ich wolte wünschen/ daß ich zu so löblicher Arbeit einen anständigen Raht ertheilen möchte: Halte aber darvor/ der Herr/ als in der Teutschen Poeterey ein langgeübter und wolerfahrner Meister/ werde hierinnen niemand besser als seinem verständigen Nachsinnen zu folgen haben. Doch will ich meine Meinung/auf des Herrn inständiges Begehren/ nicht verhalten/und mit mehrerm vermelden/ was ich neulich mündlich von der Italiäner Poeterey berühret. Dem Herrn stehet frey meinem Vorschlag nachzugehen/ oder nicht.

Der Inhalt der gantzen Erzehlung ist ursprünglich aus den H. Evangelisten abzusehen: Die Poetischen ümstande und geistreiche Gedanken darvon sind aus den Propheten und Psalmen/ aus den Kirchenlehreren/und Christlichen Poeten/ die hiervon handlen/ herzuholen. Absonderlich aber aus dem Trauerspiel/ das Gregorius Nazianzenus, oder wie andere wollen Apollinaris Laodicæus, nach ihm Hugo Grotius, und aus diesem George Sandys in die[238] Engländische Sprache übersetzet/ und mit schönen Anmerkungen erkläret. Diesen wird der Herr nachzuahmen/ und sich ihrer Ordnung und Kunstzierde zu bedienen wissen: gestalt wir/ noch der Zeit/ im Teutschen lieber der Immen als der Spinnen Arbeit folgen sollen; Ich will sagen/ lieber den Saft und Kraft aus andern Büchern ziehen/unsre Sprache zu versüssen/ als aus eigenem Vermögen viel undienliches zusammenweben. Solchergestalt sol mit der Zeit und der Teutschliebenden Samthülffe alles und jedes/ wormit andere Zungen prachten und Lob verdienen/ unserer Majestätischen/ wundermächtigen/ und vollkommenen Muttersprache einverleibet/und nichts leswürdiges gefunden werden/ das der Teutsche nicht ohne Latein solte erlernen können: Worzu durch die Sprach- und Reimkunst ein fester Grund von dem wolverdienten unnd weitberühmten Schottel geleget worden.

Die Reimarten belangend/ ist wol zu bedenken/welche dieses Orts statt finden: Dann solche bey dem Zuhörer gleichsam die Trompeten/ und dardurch der eingezwängte Laut so viel heller und klärer in der Lufft erschallet: Bey dem Leser aber sind sie das Gold/ in welches die Steine der edelsten Gedanken eingefasset/ die blanksten Stralen von sich werffen.

Dem Herrn ist wissend/ daß in der Teutschen Sprache die zweysylbigen Wörter alle und jede trochäisch oder jambisch/ langkurtz oder kurtzlang sind/ doppelkurtze und doppellange[239] Versglieder (Pyrrichios & Spondæos) haben wir nicht in der gantzen Sprache: Daher dann besagte beide Reimarten zu traurigen und frölichen Sachen gebrauchet werden. Jedoch mit so unterschiedlichen Bindungen/ daß sie von zweysylbigen Verslein bis auf 16 und 17 Sylben können füglich gemehret und gemindert werden/ wie hiervon ümständig in vorbelobter Reimkunst gehandelt wird.

Die kurtzlangen Reimarten sind zu den Erzehlungen/ die langkurtzen zu Bewegung der Gemühter/ wie die langgekürtzten oder Dactylischen/ (welche von den dreysylbigen Worten entstanden) zu freudigen Sachen beqwemlich. Hierbey ist zu beobachten/ daß die Gemühtsregung und Bewegung entstehet aus Liebe zum Guhten/ als da ist, Hoffnung/ Freude/ Verlangen/Mitleiden/ Gewogenheit udg: oder aus Haß gegen das Böse/ als; Furcht/ Zorn/ Traurigkeit/ Verzweifflung udg. Jede Naturgemässe Vorstellung muß/ benebens den nachdrukklichen Worten/ durch die Reimart oder Bindung angeführet werden: dergestalt daß die Hoffnung/ Verlangen/ Freude und alles/ was uns in dem Sinn ligt/ vielmals (sonderlich aber in den Satzreimen/ oder der Oden Abgesang) wiederholet werden sol/ als ob wir es nicht vergessen und aus dem Hertzen oder Mund lassen könten. Das Klagen/ Seufftzen/Jammern und Trauern muß durch kurtze Reimzeilen gefasset werden/ als ob die Rede gleichsam durch das ächtzen und die Seufftzer unterbrochen würde.[240]

Wie man nun in den Erzehlungen lange/ in den freudigen Händelen mittelmässige/ in den traurigen kurtze/ oder ja mit kurtzen untermengte Reimarten führen sol/ haben die Italianer in ihren jüngsten Gedichten meisterliche Proben gethan: und hat diese unterscheidung ihren richtigen/ naturmässigen und ungezweiffelten Grund in der Music/ aus welcher sie es/meines Erachtens/ abgesehen haben.


Diesem nach were mein unvergreifflicher Raht/ der Herr solte keine gewisse Bindung halten/ sondern bald wenig- bald vielsylbige Reimzeilen setzen/ dergestalt daß die Reimung gleichsam ohne Zwang/gleich/ oder geschrenket/ in die Rede gebracht/ und die Wort der H. Schrift/ so viel thunlich/ behalten würden. Doch muß man die Trochaischen Verse mit den Jambischen/ oder die Jambischen mit Trochaischen nicht mengen/ sondern in der angefangenen Reimart die Abwechslung suchen. Je mehr Reimungen einer oder der andern Bindung/ ausser dem Abschnitt (Cæsura) eingeflochten werden/ je süsser und lieblicher wird der Vers/ sonderlich in den Dactylischen/ welche in diesem Trauergedicht nicht wol werden dienen können.


Die Fügung des gantzen Werks betreffend/ wolte ich rahten/ daß der Herr die eigentlichen Wort der Evangelischen Geschichte behalten/ und alle Personen/ so er unterredend[241] einführen wird/ dardurch vorstellen solte; weil nemlich die Reimarten/ so sonsten zu den Erzehlungen gehörig/ in dem Haubtwerk zu gebrauchen.

Die Chor in diesem Trauerspiel könten in die Music gesetzet/ und/ wie bey den Griechen gebräuchlich/ wolvernehmlich gesungen werden: nicht zweifflend/ es solte dardurch in Christlichen Hertzen eine brünstige Andacht erwekket/ und die Betrachtung dieses so wichtigen Inhalts unausleschlichen eingedrukket verbleiben.

Der Herr hat auch hier mitkommend zu erhalten ein Sinnbild/ auf den Titel/ samt der Erklärung/ welche ich/ wie alles obgemeldtes/ zu seiner Verbesserung gestellet/ ihn des Höchsten Obschutz/ und mich zu seiner Freundschaft befohlen haben will/ als

Sein jederzeit williger

Georg Philip Harsdörffer.

Quelle:
Johann Klaj: Redeoratorien und »Lobrede der Teutschen Poeterey«. Tübingen 1965, S. 237-242.
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