Heinrich von Kleist

Literatur

[481] Das soeben erschienene Halle und Jerusalem, Studentenspiel und Pilgerabenteuer von L. A. v. Arnim, wird in der Folge dieser Blätter zugleich mit dem Roman desselben Dichters: Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Vorläufig begnügen wir uns, auf die großartige und durchaus eigentümliche Natur jenes dramatischen Gedichtes aufmerksam zu machen. Erfüllt wie wir von dem ersten Eindruck sind, fehlt uns noch der Maßstab des Urteils, der unter den übrigen Alltäglichkeiten der dermaligen deutschen Poesie leicht abhanden kommt.

Wenn hier oder dort uns eine Wendung des wunderbaren Gedichtes befremdete, so sind wir doch nicht Barbaren genug, um irgendeine angewöhnte, unserm Ohr längst eingesungene poetische Weise für die Regel alles Gesanges zu halten. Der Dichter hat mehr auszusprechen, als das besondere uns in engen Schulen anempfundene Gute und Schöne. Alles Vortreffliche führt etwas Befremdendes mit sich, am meisten in Zeiten, wo die Wunder der Poesie der großen Mehrzahl der Menschen auf Erden fremd geworden sind.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 481.
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