Zweiter Auftritt

[136] Käthchen mit verbundenen Augen, geführt von zwei Häschern. – Die Häscher nehmen ihr das Tuch ab, und gehen wieder fort. – Die Vorigen.


KÄTHCHEN sieht sich in der Versammlung um, und beugt, da sie den Grafen erblickt, ein Knie vor ihm.

Mein hoher Herr!

DER GRAF VOM STRAHL.

Was willst du?

KÄTHCHEN.

Vor meinen Richter hat man mich gerufen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Dein Richter bin nicht ich. Steh auf, dort sitzt er;

Hier steh ich, ein Verklagter, so wie du.

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr! Du spottest.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nein! Du hörst!

Was neigst du mir dein Angesicht in Staub?

Ein Zaubrer bin ich, und gestand es schon,

Und laß, aus jedem Band, das ich dir wirkte,

Jetzt deine junge Seele los.


Er erhebt sie.


GRAF OTTO.

Hier Jungfrau, wenn's beliebt; hier ist die Schranke!

HANS.

Hier sitzen deine Richter!

KÄTHCHEN sieht sich um.

Ihr versucht mich.

WENZEL.

Hier tritt heran! Hier sollst du Rede stehn.

KÄTHCHEN stellt sich neben den Grafen vom Strahl, und sieht die Richter an.

GRAF OTTO.

Nun?

WENZEL.

Wird's?

HANS.

Wirst du gefällig dich bemühn?

GRAF OTTO.

Wirst dem Gebot dich deiner Richter fügen?

KÄTHCHEN für sich.

Sie rufen mich.

WENZEL.

Nun, ja!

HANS.

Was sagte sie?[136]

GRAF OTTO befremdet.

Ihr Herrn, was fehlt dem sonderbaren Wesen?


Sie sehen sich an.


KÄTHCHEN für sich.

Vermummt von Kopf zu Füßen sitzen sie,

Wie das Gericht, am Jüngsten Tage, da!

DER GRAF VOM STRAHL sie aufweckend.

Du wunderliche Maid! Was träumst, was treibst du?

Du stehst hier vor dem heimlichen Gericht!

Auf jene böse Kunst bin ich verklagt,

Mit der ich mir, du weißt, dein Herz gewann,

Geh hin, und melde jetzo, was geschehn!

KÄTHCHEN sieht ihn an und legt ihre Hände auf die Brust.

– Du quälst mich grausam, daß ich weinen möchte!

Belehre deine Magd, mein edler Herr,

Wie soll ich mich in diesem Falle fassen?

GRAF OTTO ungeduldig.

Belehren – was!

HANS.

Bei Gott! Ist es erhört?

DER GRAF VOM STRAHL mit noch milder Strenge.

Du sollst sogleich vor jene Schranke treten,

Und Rede stehn, auf was man fragen wird!

KÄTHCHEN.

Nein, sprich! Du bist verklagt?

DER GRAF VOM STRAHL.

Du hörst.

KÄTHCHEN.

Und jene Männer dort sind deine Richter?

DER GRAF VOM STRAHL.

So ist's.

KÄTHCHEN zur Schranke tretend.

Ihr würd'gen Herrn, wer ihr auch sein mögt dort,

Steht gleich vom Richtstuhl auf und räumt ihn diesem!

Denn, beim lebend'gen Gott, ich sag es euch,

Rein, wie sein Harnisch ist sein Herz, und eures

Verglichen ihm, und meins, wie eure Mäntel.

Wenn hier gesündigt ward, ist er der Richter,

Und ihr sollt zitternd vor der Schranke stehn!

GRAF OTTO.

Du, Närrin, jüngst der Nabelschnur entlaufen,

Woher kommt die prophet'sche Kunde dir?

Welch ein Apostel hat dir das vertraut?

THEOBALD.

Seht die Unselige![137]

KÄTHCHEN da sie den Vater erblickt, auf ihn zugehend.

Mein teurer Vater!


Sie will seine Hand ergreifen.


THEOBALD streng.

Dort ist der Ort jetzt, wo du hingehörst!

KÄTHCHEN.

Weis mich nicht von dir.


Sie faßt seine Hand und küßt sie.


THEOBALD.

– Kennst du das Haar noch wieder,

Das deine Flucht mir jüngsthin grau gefärbt?

KÄTHCHEN.

Kein Tag verging, daß ich nicht einmal dachte,

Wie seine Locken fallen. Sei geduldig,

Und gib dich nicht unmäß'gem Grame preis:

Wenn Freude Locken wieder dunkeln kann,

So sollst du wieder wie ein Jüngling blühn.

GRAF OTTO.

Ihr Häscher dort! ergreift sie! bringt sie her!

THEOBALD.

Geh hin, wo man dich ruft.

KÄTHCHEN zu den Richtern, da sich ihr die Häscher nähern.

Was wollt ihr mir?

WENZEL.

Saht ihr ein Kind, so störrig je, als dies?

GRAF OTTO da sie vor der Schranke steht.

Du sollst hier Antwort geben, kurz und bündig,

Auf unsre Fragen! Denn wir, von unserem

Gewissen eingesetzt, sind deine Richter,

Und an der Strafe, wenn du freveltest,

Wird's deine übermüt'ge Seele fühlen.

KÄTHCHEN.

Sprecht, ihr verehrten Herrn; was wollt ihr wissen?

GRAF OTTO.

Warum, als Friedrich Graf vom Strahl erschien,

In deines Vaters Haus, bist du zu Füßen,

Wie man vor Gott tut, nieder ihm gestürzt?

Warum warfst du, als er von dannen ritt,

Dich aus dem Fenster sinnlos auf die Straße,

Und folgtest ihm, da kaum dein Bein vernarbt,

Von Ort zu Ort, durch Nacht und Graus und Nebel,

Wohin sein Roß den Fußtritt wendete?

KÄTHCHEN hochrot zum Grafen.

Das soll ich hier vor diesen Männern sagen?[138]

DER GRAF VOM STRAHL.

Die Närrin, die verwünschte, sinnverwirrte,

Was fragt sie mich? Ist's nicht an jener Männer

Gebot, die Sache darzutun, genug?

KÄTHCHEN in Staub niederfallend.

Nimm mir, o Herr, das Leben, wenn ich fehlte!

Was in des Busens stillem Reich geschehn,

Und Gott nicht straft, das braucht kein Mensch zu wissen;

Den nenn ich grausam, der mich darum fragt!

Wenn du es wissen willst, wohlan, so rede,

Denn dir liegt meine Seele offen da!

HANS.

Ward, seit die Welt steht, so etwas erlebt?

WENZEL.

Im Staub liegt sie vor ihm –

HANS.

Gestürzt auf Knieen –

WENZEL.

Wie wir vor dem Erlöser hingestreckt!

DER GRAF VOM STRAHL zu den Richtern.

Ihr würd'gen Herrn, ihr rechnet hoff ich, mir

Nicht dieses Mädchens Torheit an! Daß sie

Ein Wahn betört, ist klar, wenn euer Sinn

Auch gleich, wie meiner, noch nicht einsieht, welcher?

Erlaubt ihr mir, so frag ich sie darum:

Ihr mögt, aus meinen Wendungen entnehmen,

Ob meine Seele schuldig ist, ob nicht?

GRAF OTTO ihn forschend ansehend.

Es sei! Versucht's einmal, Herr Graf, und fragt sie.

DER GRAF VOM STRAHL wendet sich zu Käthchen, die noch immer auf Knien liegt.

Willt den geheimsten der Gedanken mir,

Kathrina, der dir irgend, faß mich wohl,

Im Winkel wo des Herzens schlummert, geben?

KÄTHCHEN.

Das ganze Herz, o Herr, dir, willt du es,

So bist du sicher dess' was darin wohnt.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was ist's, mit einem Wort, mir rund gesagt,

Das dich aus deines Vaters Hause trieb?

Was fesselt dich an meine Schritte an?[139]

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr! Da fragst du mich zuviel.

Und läg ich so, wie ich vor dir jetzt liege,

Vor meinem eigenen Bewußtsein da:

Auf einem goldnen Richtstuhl laß es thronen,

Und alle Schrecken des Gewissens ihm,

In Flammenrüstungen, zur Seite stehn;

So spräche jeglicher Gedanke noch,

Auf das, was du gefragt: ich weiß es nicht.

DER GRAF VOM STRAHL.

Du lügst mir, Jungfrau? Willst mein Wissen täuschen?

Mir, der doch das Gefühl dir ganz umstrickt;

Mir, dessen Blick du daliegst, wie die Rose,

Die ihren jungen Kelch dem Licht erschloß? –

Was hab ich dir einmal, du weißt, getan?

Was ist an Leib und Seel dir widerfahren?

KÄTHCHEN.

Wo?

DER GRAF VOM STRAHL.

Da oder dort.

KÄTHCHEN.

Wann?

DER GRAF VOM STRAHL.

Jüngst oder früherhin.

KÄTHCHEN.

Hilf mir, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ja, ich dir helfen,

Du wunderliches Ding. –


Er hält inne.


Besinnst du dich auf nichts?

KÄTHCHEN sieht vor sich nieder.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was für ein Ort, wo du mich je gesehen,

Ist dir im Geist, vor andern, gegenwärtig.

KÄTHCHEN.

Der Rhein ist mir vor allen gegenwärtig.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ganz recht. Da eben war's. Das wollt ich wissen.

Der Felsen am Gestad des Rheins, wo wir

Zusammen ruhten, in der Mittagshitze.

– Und du gedenkst nicht, was dir da geschehn?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht? Nicht?

– Was reicht ich deiner Lippe zur Erfrischung?[140]

KÄTHCHEN.

Du sandtest, weil ich deines Weins verschmähte,

Den Gottschalk, deinen treuen Knecht, und ließest

Ihn einen Trunk mir, aus der Grotte schöpfen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich aber nahm dich bei der Hand, und reichte

Sonst deiner Lippe – nicht? Was stockst du da?

KÄTHCHEN.

Wann?

DER GRAF VOM STRAHL.

Eben damals.

KÄTHCHEN.

Nein, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Jedoch nachher.

KÄTHCHEN.

In Straßburg?

DER GRAF VOM STRAHL.

Oder früher.

KÄTHCHEN.

Du hast mich niemals bei der Hand genommen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Kathrina!

KÄTHCHEN errötend.

Ach vergib mir; in Heilbronn!

DER GRAF VOM STRAHL.

Wann?

KÄTHCHEN.

Als der Vater dir am Harnisch wirkte.

DER GRAF VOM STRAHL.

Und sonst nicht?

KÄTHCHEN.

Nein, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Kathrina!

KÄTHCHEN.

Mich bei der Hand?

DER GRAF VOM STRAHL.

Ja, oder sonst, was weiß ich.

KÄTHCHEN besinnt sich.

In Straßburg einst, erinnr ich mich, beim Kinn.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wann?

KÄTHCHEN.

Als ich auf der Schwelle saß und weinte,

Und dir auf was du sprachst, nicht Rede stand.

DER GRAF VOM STRAHL.

Warum nicht standst du Red?

KÄTHCHEN.

Ich schämte mich.

DER GRAF VOM STRAHL.

Du schämtest dich? Ganz recht. Auf meinen Antrag.[141]

Du wardst glutrot bis an den Hals hinab.

Welch einen Antrag macht ich dir?

KÄTHCHEN.

Der Vater,

Der würd, sprachst du, daheim im Schwabenland,

Um mich sich härmen, und befragtest mich,

Ob ich mit Pferden, die du senden wolltest,

Nicht nach Heilbronn zu ihm zurück begehrte?

DER GRAF VOM STRAHL kalt.

Davon ist nicht die Rede! – Nun, wo auch,

Wo hab ich sonst im Leben dich getroffen?

– Ich hab im Stall zuweilen dich besucht.

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht? Katharina!

KÄTHCHEN.

Du hast mich niemals in dem Stall besucht,

Und noch viel wen'ger rührtest du mich an.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was! Niemals?

KÄTHCHEN.

Nein, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Kathrina!

KÄTHCHEN mit Affekt.

Niemals, mein hochverehrter Herr, niemals.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nun seht, bei meiner Treu, die Lügnerin!

KÄTHCHEN.

Ich will nicht selig sein, ich will verderben,

Wenn du mich je –!

DER GRAF VOM STRAHL mit dem Schein der Heftigkeit.

Da schwört sie und verflucht

Sich, die leichtfert'ge Dirne, noch und meint,

Gott werd es ihrem jungen Blut vergeben!

– Was ist geschehn, fünf Tag von hier, am Abend,

In meinem Stall, als es schon dunkelte,

Und ich den Gottschalk hieß, sich zu entfernen?

KÄTHCHEN.

Oh! Jesus! Ich bedacht es nicht! –

Im Stall zu Strahl, da hast du mich besucht.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nun denn! Da ist's heraus! Da hat sie nun[142]

Der Seelen Seligkeit sich weggeschworen!

Im Stall zu Strahl, da hab ich sie besucht!

KÄTHCHEN weint.


Pause.


GRAF OTTO.

Ihr quält das Kind zu sehr.

THEOBALD nähert sich ihr gerührt.

Komm, meine Tochter.


Er will sie an seine Brust haben.


KÄTHCHEN.

Laß, laß!

WENZEL.

Das nenn ich menschlich nicht verfahren.

GRAF OTTO.

Zuletzt ist nichts im Stall zu Strahl geschehen.

DER GRAF VOM STRAHL sieht sie an.

Bei Gott, ihr Herrn, wenn ihr des Glaubens seid:

Ich bin's! Befehlt, so gehn wir auseinander.

GRAF OTTO.

Ihr sollt das Kind befragen, ist die Meinung,

Nicht mit barbarischem Triumph verhöhnen.

Sei's, daß Natur Euch solche Macht verliehen:

Geübt wie Ihr's tut, ist sie hassenswürd'ger,

Als selbst die Höllenkunst, der man Euch zeiht.

DER GRAF VOM STRAHL erbebt das Käthchen vom Boden.

Ihr Herrn, was ich getan, das tat ich nur,

Sie mit Triumph hier vor euch zu erheben!

Statt meiner –


Auf den Boden hinzeigend.


steht mein Handschuh vor Gericht!

Glaubt ihr von Schuld sie rein, wie sie es ist,

Wohl, so erlaubt denn, daß sie sich entferne.

WENZEL.

Es scheint Ihr habt viel Gründe, das zu wünschen?

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich? Gründ? Entscheidende! Ihr wollt sie, hoff ich,

Nicht mit barbar'schem Übermut verhöhnen?

WENZEL mit Bedeutung.

Wir wünschen doch, erlaubt Ihr's, noch zu hören,

Was in dem Stall damals zu Strahl geschehn.

DER GRAF VOM STRAHL.

Das wollt ihr Herrn noch –?

WENZEL.

Allerdings![143]

DER GRAF VOM STRAHL glutrot, indem er sich zum Käthchen wendet.

Knie nieder!

KÄTHCHEN läßt sich auf Knien vor ihm nieder.

GRAF OTTO.

Ihr seid sehr dreist, Herr Friedrich Graf vom Strahl!

DER GRAF VOM STRAHL zum Käthchen.

So! Recht! Mir gibst du Antwort und sonst keinem.

HANS.

Erlaubt! Wir werden sie –

DER GRAF VOM STRAHL ebenso.

Du rührst dich nicht!

Hier soll dich keiner richten, als nur der,

Dem deine Seele frei sich unterwirft.

WENZEL.

Herr Graf, man wird hier Mittel –

DER GRAF VOM STRAHL mit unterdrückter Heftigkeit.

Ich sage, nein!

Der Teufel soll mich holen, zwingt ihr sie! –

Was wollt ihr wissen, ihr verehrten Herrn?

HANS auffahrend.

Beim Himmel!

WENZEL.

Solch ein Trotz soll –!

HANS.

He! Die Häscher!

GRAF OTTO halblaut.

Laßt, Freunde, laßt! Vergeßt nicht, wer er ist.

ERSTER RICHTER.

Er hat nicht eben, drückt Verschuldung ihn,

Mit List sie überhört.

ZWEITER RICHTER.

Das sag ich auch!

Man kann ihm das Geschäft wohl überlassen.

GRAF OTTO zum Grafen vom Strahl.

Befragt sie, was geschehn, fünf Tag von hier,

Im Stall zu Strahl, als es schon dunkelte,

Und ihr den Gottschalk hießt, sich zu entfernen?

DER GRAF VOM STRAHL zum Käthchen.

Was ist geschehn, fünf Tag von hier, am Abend,

Im Stall zu Strahl, als es schon dunkelte,

Und ich den Gottschalk hieß, sich zu entfernen?

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr! Vergib mir, wenn ich fehlte;

Jetzt leg ich alles, Punkt für Punkt, dir dar.[144]

DER GRAF VOM STRAHL.

Gut. – – Da berührt ich dich und zwar – nicht? Freilich!

Das schon gestandst du?

KÄTHCHEN.

Ja, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nun?

KÄTHCHEN.

Mein verehrter Herr?

DER GRAF VOM STRAHL.

Was will ich wissen?

KÄTHCHEN.

Was du willst wissen?

DER GRAF VOM STRAHL.

Heraus damit! Was stockst du?

Ich nahm, und herzte dich, und küßte dich,

Und schlug den Arm dir –?

KÄTHCHEN.

Nein, mein hoher Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Was sonst?

KÄTHCHEN.

Du stießest mich mit Füßen von dir.

DER GRAF VOM STRAHL.

Mit Füßen? Nein! Das tu ich keinem Hund.

Warum? Weshalb? Was hattst du mir getan?

KÄTHCHEN.

Weil ich dem Vater, der voll Huld und Güte,

Gekommen war, mit Pferden, mich zu holen,

Den Rücken, voller Schrecken, wendete,

Und mit der Bitte, mich vor ihm zu schützen,

Im Staub vor dir bewußtlos nieder sank.

DER GRAF VOM STRAHL.

Da hätt ich dich mit Füßen weggestoßen?

KÄTHCHEN.

Ja, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ei, Possen, was!

Das war nur Schelmerei, des Vaters wegen.

Du bliebst doch nach wie vor im Schoß zu Strahl.

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht? Wo auch sonst?

KÄTHCHEN.

Als du die Peitsche, flammenden Gesichts,

Herab vom Riegel nahmst, ging ich hinaus,

Vor das bemooste Tor, und lagerte

Mich draußen, am zerfallnen Mauernring[145]

Wo in süßduftenden Holunderbüschen

Ein Zeisig zwitschernd sich das Nest gebaut.

DER GRAF VOM STRAHL.

Hier aber jagt ich dich mit Hunden weg?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Und als du wichst,

Verfolgt vom Hundgeklaff, von meiner Grenze,

Rief ich den Nachbar auf, dich zu verfolgen?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr! Was sprichst du da?

DER GRAF VOM STRAHL.

Nicht? Nicht? – Das werden diese Herren tadeln.

KÄTHCHEN.

Du kümmerst dich um diese Herren nicht.

Du sandtest Gottschalk mir am dritten Tage,

Daß er mir sag: dein liebes Käthchen wär ich;

Vernünftig aber möcht ich sein, und gehn.

DER GRAF VOM STRAHL.

Und was entgegnetest du dem?

KÄTHCHEN.

Ich sagte,

Den Zeisig littest du, den zwitschernden,

In den süßduftenden Holunderbüschen:

Möchtst denn das Käthchen von Heilbronn auch leiden.

DER GRAF VOM STRAHL erhebt das Käthchen.

Nun dann, so nehmt sie hin, ihr Herrn der Feme,

Und macht mit ihr und mir jetzt, was ihr wollt.


Pause.


GRAF OTTO unwillig.

Der aberwitz'ge Träumer, unbekannt

Mit dem gemeinen Zauber der Natur! –

Wenn euer Urteil reif, wie meins, ihr Herrn,

Geh ich zum Schluß, und laß die Stimmen sammeln.

WENZEL.

Zum Schluß!

HANS.

Die Stimmen!

ALLE.

Sammelt sie!

EIN RICHTER.

Der Narr, der!

Der Fall ist klar. Es ist hier nichts zu richten.[146]

GRAF OTTO.

Femherold nimm den Helm und sammle sie.


Femherold sammelt die Kugeln und bringt den Helm, worin sie liegen, dem Grafen.


GRAF OTTO steht auf.

Herr Friedrich Wetter Graf vom Strahl, du bist

Einstimmig von der Feme losgesprochen,

Und dir dort, Theobald, dir geb ich auf,

Nicht fürder mit der Klage zu erscheinen,

Bis du kannst bessere Beweise bringen.


Zu den Richtern.


Steht auf, ihr Herrn! die Sitzung ist geschlossen.

DIE RICHTER erheben sich.

THEOBALD.

Ihr hochverehrten Herrn, ihr sprecht ihn schuldlos?

Gott sagt ihr, hat die Welt aus nichts gemacht;

Und er, der sie durch nichts und wieder nichts

Vernichtet, in das erste Chaos stürzt,

Der sollte nicht der leid'ge Satan sein?

GRAF OTTO.

Schweig, alter, grauer Tor! Wir sind nicht da,

Dir die verrückten Sinnen einzurenken.

Femhäscher, an dein Amt! Blend ihm die Augen,

Und führ ihn wieder auf das Feld hinaus.

THEOBALD.

Was! Auf das Feld? Mich hilflos greisen Alten?

Und dies mein einzig liebes Kind, –?

GRAF OTTO.

Herr Graf,

Das überläßt die Feme Euch! Ihr zeigtet

Von der Gewalt, die Ihr hier übt, so manche

Besondre Probe uns; laßt uns noch eine,

Die größeste, bevor wir scheiden, sehn,

Und gebt sie ihrem alten Vater wieder.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ihr Herren, was ich tun kann, soll geschehn. –

Jungfrau!

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr!

DER GRAF VOM STRAHL.

Du liebst mich?

KÄTHCHEN.

Herzlich![147]

DER GRAF VOM STRAHL.

So tu mir was zu Lieb.

KÄTHCHEN.

Was willst du? Sprich.

DER GRAF VOM STRAHL.

Verfolg mich nicht. Geh nach Heilbronn zurück.

– Willst du das tun?

KÄTHCHEN.

Ich hab es dir versprochen.


Sie fällt in Ohnmacht.


THEOBALD empfängt sie.

Mein Kind! Mein Einziges! Hilf, Gott im Himmel!

DER GRAF VOM STRAHL wendet sich.

Dein Tuch her, Häscher!


Er verbindet sich die Augen.


THEOBALD.

O verflucht sei,

Mordschaunder Basiliskengeist! Mußt ich

Auch diese Probe deiner Kunst noch sehn?

GRAF OTTO vom Richtstuhl herabsteigend.

Was ist geschehn, ihr Herrn?

WENZEL.

Sie sank zu Boden.


Sie betrachten sie.


DER GRAF VOM STRAHL zu den Häschern.

Führt mich hinweg!

THEOBALD.

Der Hölle zu, du Satan!

Laß ihre schlangenhaar'gen Pförtner dich

An ihrem Eingang, Zauberer, ergreifen,

Und dich zehntausend Klafter tiefer noch,

Als ihre wildsten Flammen lodern, schleudern!

GRAF OTTO.

Schweig Alter, schweig!

THEOBALD weint.

Mein Kind! Mein Käthchen!

KÄTHCHEN.

Ach!

WENZEL freudig.

Sie schlägt die Augen auf!

HANS.

Sie wird sich fassen.

GRAF OTTO.

Bringt in des Pförtners Wohnung sie! Hinweg!


Alle ab.
[148]

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 136-149.
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