Zehnter Auftritt

[170] Kunigunde und Rosalie.


KUNIGUNDE nachdem sie sich im Spiegel betrachtet, geht gedankenlos ans Fenster und öffnet es. – Pause.

Hast du mir alles dort zurechtgelegt,

Was ich dem Grafen zugedacht, Rosalie?

Urkunden, Briefe, Zeugnisse?

ROSALIE am Tisch zurückgeblieben.

Hier sind sie.

In diesem Einschlag liegen sie beisammen.

KUNIGUNDE.

Gib mir doch –


Sie nimmt eine Leimrute, die draußen befestigt ist, herein.


ROSALIE.

Was, mein Fräulein?

KUNIGUNDE lebhaft.

Schau, o Mädchen!

Ist dies die Spur von einem Fittich nicht?

ROSALIE indem sie zu ihr geht.

Was habt Ihr da?

KUNIGUNDE.

Leimruten, die, ich weiß

Nicht wer? an diesem Fenster aufgestellt!

– Sieh, hat hier nicht ein Fittich schon gestreift?

ROSALIE.

Gewiß! Da ist die Spur. Was war's? Ein Zeisig?

KUNIGUNDE.

Ein Finkenhähnchen war's, das ich vergebens

Den ganzen Morgen schon herangelockt.

ROSALIE.

Seht nur dies Federchen. Das ließ er stecken!

KUNIGUNDE gedankenvoll.[170]

Gib mir doch –

ROSALIE.

Was, mein Fräulein? Die Papiere?

KUNIGUNDE lacht und schlägt sie.

Schelmin! – Die Hirse will ich, die dort steht.

ROSALIE lacht, und geht und holt die Hirse.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 170-171.
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