Erster Auftritt

[243] Wolf, Fürst der Katten, Thuiskomar, Fürst der Sicambrier, Dagobert, Fürst der Marsen, Selgar, Fürst der Brukterer, und andere treten, mit Pfeil und Bogen, auf.


WOLF indem er sich auf den Boden wirft.

Es ist umsonst, Thuskar, wir sind verloren!

Rom, dieser Riese, der, das Mittelmeer beschreitend,

Gleich dem Koloß von Rhodus, trotzig,

Den Fuß auf Ost und Westen setzet,

Des Parthers mut'gen Nacken hier,

Und dort den tapfern Gallier niedertretend:

Er wirft auch jetzt uns Deutsche in den Staub.

Gueltar, der Nervier, und Fust, der Fürst der Cimbern,

Erlagen dem Augustus schon;

Holm auch, der Friese, wehrt sich nur noch sterbend;

Aristan hat, der Ubier,

Der ungroßmütigste von allen deutschen Fürsten,

In Varus' Arme treulos sich geworfen;

Und Hermann, der Cherusker, endlich,

Zu dem wir, als dem letzten Pfeiler, uns,

Im allgemeinen Sturz Germanias, geflüchtet,

Ihr seht es, Freunde, wie er uns verhöhnt:

Statt die Legionen mutig aufzusuchen,[243]

In seine Forsten spielend führt er uns,

Und läßt den Hirsch uns und den Ur besiegen.

THUISKOMAR zu Dagobert und Selgar, die im Hintergrund auf und nieder gehen.

Er muß hier diese Briefe lesen!

– Ich bitt euch, meine Freunde, wanket nicht,

Bis die Verräterei des Varus ihm eröffnet.

Ein förmlicher Vertrag ward jüngst,

Geschlossen zwischen mir und ihm:

Wenn ich dem Fürsten mich der Friesen nicht verbände,

So solle dem August mein Erbland heilig sein;

Und hier, seht diesen Brief, ihr Herrn,

Mein Erbland ist von Römern überflutet.

Der Krieg, so schreibt der falsche Schelm,

In welchem er mit Holm, dem Friesen, liege,

Erfordere, daß ihm Sicambrien sich öffne:

Und meine Freundschaft für Augustus laß ihn hoffen,

Ich werd ihm diesen dreisten Schritt,

Den Not ihm dringend abgepreßt, verzeihn.

Laßt Hermann, wenn er kömmt, den Gaunerstreich uns melden:

So kommt gewiß, Freund Dagobert,

Freund Selgar, noch der Bund zustande,

Um dessenthalb wir hier bei ihm versammelt sind.

DAGOBERT.

Freund Thuiskomar! Ob ich dem Bündnis mich,

Das diese Fremdlinge aus Deutschland soll verjagen,

Anschließen werd, ob nicht: darüber, weißt du,

Entscheidet hier ein Wort aus Selgars Munde!

Augustus trägt, Roms Kaiser, mir,

Wenn ich mich seiner Sache will vermählen,

Das ganze, jüngst dem Ariovist entrißne,

Reich der Narisker an –


Wolf und Thuiskomar machen eine Bewegung.


Nichts! Nichts! Was fahrt ihr auf? Ich will es nicht!

Dem Vaterlande bleib ich treu,

Ich schlag es aus, ich bin bereit dazu.

Doch der hier, Selgar, soll, der Fürst der Brukterer,[244]

Den Strich mir, der mein Eigentum,

An dem Gestad der Lippe überlassen;

Wir lagen längst im Streit darum.

Und wenn er mir Gerechtigkeit verweigert,

Selbst jetzt noch, da er meiner Großmut braucht,

So werd ich mich in euren Krieg nicht mischen.

SELGAR.

Dein Eigentum! Sieh da! Mit welchem Rechte

Nennst du, was mir verpfändet, dein,

Bevor das Pfand, das Horst, mein Ahnherr, zahlte,

An seinen Enkel du zurückgezahlt?

Ist jetzt der würd'ge Augenblick,

Zur Sprache solche Zwistigkeit zu bringen?

Eh ich, Unedelmüt'gem, dir

Den Strich am Lippgestade überlasse,

Eh will an Augusts Heere ich

Mein ganzes Reich, mit Haus und Hof verlieren!

THUISKOMAR dazwischentretend.

O meine Freunde!

EIN FÜRST ebenso.

Selgar! Dagobert!


Man hört Hörner in der Ferne.


EIN CHERUSKER tritt auf.

Hermann, der Fürst, kommt!

THUISKOMAR.

Laßt den Strich, ich bitt euch,

Ruhn, an der Lippe, bis entschieden ist,

Wem das gesamte Reich Germaniens gehört!

WOLF indem er sich erhebt.

Da hast du recht! Es bricht der Wolf, o Deutschland,

In deine Hürde ein, und deine Hirten streiten

Um eine Handvoll Wolle sich.[245]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 243-246.
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