Dritter Auftritt

[248] Hermann, Wolf, Thuiskomar, Dagobert und Selgar lassen sich, auf eine Rasenbank, um einen steinernen Tisch nieder, der vor der Jagdhütte steht.


HERMANN.

Setzt euch, ihr Freunde! Laßt den Becher

Zur Letzung jetzt der müden Glieder kreisen!

Das Jagen selbst ist weniger das Fest,[248]

Als dieser heitre Augenblick,

Mit welchem sich das Fest der Jagd beschließet!


Knaben bedienen ihn mit Wein.


WOLF.

O könnten wir, beim Mahle, bald

Ein andres größres Siegsfest selig feiern!

Wie durch den Hals des Urs Thusneldens sichre Hand

Den Pfeil gejagt: o Hermann! könnten wir

Des Krieges ehrnen Bogen spannen,

Und, mit vereinter Kraft, den Pfeil der Schlacht zerschmetternd

So durch den Nacken hin des Römerheeres jagen,

Das in den Feldern Deutschlands aufgepflanzt!

THUISKOMAR.

Hast du gehört, was mir geschehn?

Daß Varus treulos den Vertrag gebrochen,

Und mir Sicambrien mit Römern überschwemmt?

Sieh, Holm, der Friesen wackern Fürsten,

Der durch das engste Band der Freundschaft mir verbunden:

Als jüngst die Rach Augustus' auf ihn fiel,

Mir die Legionen fernzuhalten,

Gab ich der Rach ihn des Augustus preis.

Solang an dem Gestad der Ems der Krieg nun wütet,

Mit keinem Wort, ich schwör's, mit keinem Blick,

Bin ich zu Hülfe ihm geeilt;

Ich hütet, in Calpurns, des Römerboten, Nähe,

Die Mienen, Hermann, die sich traurend

Auf des verlornen Schwagers Seite stellten:

Und jetzt – noch um den Lohn seh ich

Mich der fluchwürdigen Feigherzigkeit betrogen:

Varus führt die Legionen mir ins Land,

Und gleich, als wär ich Augusts Feind,

Wird es jedwedem Greul des Krieges preisgegeben.

HERMANN.

Ich hab davon gehört, Thuiskar.

Ich sprach den Boten, der die Nachricht

Dir eben aus Sicambrien gebracht.

THUISKOMAR.

Was nun – was wird für dich davon die Folge sein?[249]

Marbod, der herrschensgier'ge Suevenfürst,

Der, fern von den Sudeten kommend,

Die Oder rechts und links die Donau überschwemmt,

Und seinem Zepter (so erklärt er)

Ganz Deutschland siegreich unterwerfen will:

Am Weserstrom, im Osten deiner Staaten,

Mit einem Heere steht er da,

Und den Tribut hat er dir abgefordert.

Du weißt, wie oft dir Varus schon

Zu Hülfe schelmisch die Kohorten bot.

Nur allzuklar ließ er die Absicht sehn,

Den Adler auch im Land Cheruskas aufzupflanzen;

Den schlausten Wendungen der Staatskunst nur

Gelang es, bis auf diesen Tag,

Dir den bösart'gen Gast entfernt zu halten.

Nun ist er bis zur Lippe vorgerückt;

Nun steht er, mit drei Legionen,

In deines Landes Westen drohend da;

Nun mußt du, wenn er es in Augusts Namen fordert,

Ihm deiner Plätze Tore öffnen:

Du hast nicht mehr die Macht, es ihm zu wehren.

HERMANN.

Gewiß. Da siehst du richtig. Meine Lage

Ist in der Tat bedrängter als jemals.

THUISKOMAR.

Beim Himmel, wenn du schnell nicht hilfst,

Die Lage eines ganz Verlornen!

– Daß ich, mein wackrer Freund, dich in dies Irrsal stürzte,

Durch Schritte, wenig klug und überlegt,

Gewiß, ich fühl's mit Schmerz, im Innersten der Brust.

Ich hätte nimmer, fühl ich, Frieden

Mit diesen Kindern des Betruges schließen,

Und diesen Varus, gleich dem Wolf der Wüste,

In einem ew'gen Streit, bekriegen sollen.

– Das aber ist geschehn, und wenig frommt, du weißt,

In das Vergangene sich reuig zu versenken.

Was wirst du, fragt sich, nun darauf beschließen?[250]

HERMANN.

Ja! Freund! Davon kann kaum die Red noch sein. –

Nach allem, was geschehn, find ich

Läuft nun mein Vorteil ziemlich mit des Varus,

Und wenn er noch darauf besteht,

So nehm ich ihn in meinen Grenzen auf.

THUISKOMAR erstaunt.

Du nimmst ihn – was?

DAGOBERT.

In deines Landes Grenze? –

SELGAR.

Wenn Varus drauf besteht, du nimmst ihn auf?

THUISKOMAR.

Du Rasender! Hast du auch überlegt? –

DAGOBERT.

Warum?

SELGAR.

Weshalb, sag an?

DAGOBERT.

Zu welchem Zweck?

HERMANN.

– Mich gegen Marbod zu beschützen,

Der den Tribut mir trotzig abgefordert.

THUISKOMAR.

Dich gegen Marbod zu beschützen!

Und du weißt nicht, Unseliger, daß er

Den Marbod schelmisch gegen dich erregt,

Daß er mit Geld und Waffen heimlich

Ihn unterstützt, ja, daß er Feldherrn

Ihm zugesandt, die in der Kunst ihn tückisch,

Dich aus dem Feld zu schlagen, unterrichten?

HERMANN.

Ihr Freund', ich bitt euch, kümmert euch

Um meine Wohlfahrt nicht! Bei Wodan, meinem hohen Herrn!

So weit im Kreise mir der Welt

Das Heer der munteren Gedanken reichet,

Erstreb ich und bezweck ich nichts,

Als jenem Römerkaiser zu erliegen.

Das aber möcht ich gern mit Ruhm, ihr Brüder,

Wie's einem deutschen Fürsten ziemt:

Und daß ich das vermög, im ganzen vollen Maße,

Wie sich's die freie Seele glorreich denkt –

Will ich allein stehn, und mit euch mich –

– Die manch ein andrer Wunsch zur Seite lockend zieht, –

In dieser wicht'gen Sache nicht verbinden.[251]

DAGOBERT.

Nun, bei den Nornen! Wenn du sonst nichts willst,

Als dem August erliegen –?!


Er lacht.


SELGAR.

– Man kann nicht sagen,

Daß hoch Arminius das Ziel sich stecket!

HERMANN.

So! –

Ihr würdet beide euren Witz vergebens

Zusammenlegen, dieses Ziel,

Das vor der Stirn euch dünket, zu erreichen.

Denn setzt einmal, ihr Herrn, ihr stündet

(Wohin ihr es im Lauf der Ewigkeit nicht bringt)

Dem Varus kampfverbunden gegenüber;

Im Grund morast'ger Täler er,

Auf Gipfeln waldbekränzter Felsen ihr:

So dürft er dir nur, Dagobert,

Selgar, dein Lippgestad verbindlich schenken:

Bei den fuchshaarigen Alraunen, seht,

Den Römer laßt ihr beid im Stich,

Und fallt euch, wie zwei Spinnen, selber an.

WOLF einlenkend.

Du hältst nicht eben hoch im Wert uns, Vetter!

Es scheint, das Bündnis nicht sowohl,

Als die Verbündeten mißfallen dir.

HERMANN.

Verzeiht! – Ich nenn euch meine wackern Freunde,

Und will mit diesem Wort, das glaubt mir, mehr, als euren

Verletzten Busen höflich bloß versöhnen.

Die Zeit stellt, heißen Drangs voll, die Gemüter

Auf eine schwere Prob; und manchen kenn ich besser,

Als er in diesem Augenblick sich zeigt.

Wollt ich auf Erden irgendwas erringen,

Ich würde glücklich sein, könnt ich mit Männern mich,

Wie hier um mich versammelt sind, verbinden;

Jedoch, weil alles zu verlieren bloß

Die Absicht ist – so läßt, begreift ihr,

Solch ein Entschluß nicht wohl ein Bündnis zu:[252]

Allein muß ich, in solchem Kriege, stehn,

Verknüpft mit niemand, als nur meinem Gott.

THUISKOMAR.

Vergib mir, Freund, man sieht nicht ein,

Warum notwendig wir erliegen sollen;

Warum es soll unmöglich ganz,

Undenkbar sein (wenn es auch schwer gleich sein mag),

Falls wir nur sonst vereint, nach alter Sitte, wären,

Den Adler Roms, in einer muntern Schlacht,

Aus unserm deutschen Land hinwegzujagen.

HERMANN.

Nein, nein! Das eben ist's! Der Wahn, Thuiskar,

Der stürzt just rettungslos euch ins Verderben hin!

Ganz Deutschland ist verloren schon,

Dir der Sicambern Thron, der Thron der Katten dir,

Der Marsen dem, mir der Cherusker,

Und auch der Erb, bei Hertha! schon benannt:

Es gilt nur bloß noch jetzt, sie abzutreten.

Wie wollt ihr doch, ihr Herrn, mit diesem Heer des Varus

Euch messen – an eines Haufens Spitze,

Zusammen aus den Waldungen gelaufen,

Mit der Kohorte, der gegliederten,

Die, wo sie geht und steht, des Geistes sich erfreut?

Was habt ihr, sagt doch selbst, das Vaterland zu schirmen,

Als nur die nackte Brust allein,

Und euren Morgenstern; indessen jene dort

Gerüstet mit der ehrnen Waffe kommen,

Die ganze Kunst des Kriegs entfaltend,

In den vier Himmelsstrichen ausgelernt?

Nein, Freunde, so gewiß der Bär dem schlanken Löwen

Im Kampf erliegt, so sicherlich

Erliegt ihr, in der Feldschlacht, diesen Römern.

WOLF.

Es scheint, du hältst dies Volk des fruchtumblühten Latiens

Für ein Geschlecht von höhrer Art,

Bestimmt, uns roh're Kauze zu beherrschen?

HERMANN.

Hm! In gewissem Sinne sag ich: ja.

Ich glaub, der Deutsch' erfreut sich einer größern

Anlage, der Italier doch hat seine mindre[253]

In diesem Augenblicke mehr entwickelt.

Wenn sich der Barden Lied erfüllt,

Und, unter einem Königszepter,

Jemals die ganze Menschheit sich vereint,

So läßt, daß es ein Deutscher führt, sich denken,

Ein Brit', ein Gallier, oder wer ihr wollt;

Doch nimmer jener Latier, beim Himmel!

Der keine andre Volksnatur

Verstehen kann und ehren, als nur seine.

Dazu am Schluß der Ding' auch kommt es noch;

Doch bis die Völker sich, die diese Erd umwogen,

Noch jetzt vom Sturm der Zeit gepeitscht,

Gleich einer See, ins Gleichgewicht gestellt,

Kann es leicht sein, der Habicht rupft

Die Brut des Aars, die, noch nicht flügg,

Im stillen Wipfel einer Eiche ruht.

WOLF.

Mithin ergibst du wirklich völlig dich

In das Verhängnis – beugst den Nacken

Dem Joch, das dieser Römer bringt,

Ohn auch ein Glied nur sträubend zu bewegen?

HERMANN.

Behüte Wodan mich! Ergeben! Seid ihr toll?

Mein Alles, Haus und Hof, die gänzliche

Gesamtheit dess', was mein sonst war,

Als ein verlornes Gut in meiner Hand noch ist,

Das, Freunde, setz ich dran, im Tod nur,

Wie König Porus, glorreich es zu lassen!

Ergeben! – Einen Krieg, bei Mana! will ich

Entflammen, der in Deutschland rasselnd,

Gleich einem dürren Walde, um sich greifen,

Und auf zum Himmel lodernd schlagen soll!

THUISKOMAR.

Und gleichwohl – unbegreiflich bist du, Vetter!

Gleichwohl nährst keine Hoffnung du,

In solchem tücht'gen Völkerstreit zu siegen?

HERMANN.

Wahrhaftig, nicht die mindeste,

Ihr Freunde. Meine ganze Sorge soll

Nur sein, wie ich, nach meinen Zwecken,[254]

Geschlagen werd. – Welch ein wahnsinn'ger Tor

Müßt ich doch sein, wollt ich mir und der Heeresschar,

Die ich ins Feld des Todes führ, erlauben,

Das Aug, von dieser finstern Wahrheit ab,

Buntfarb'gen Siegesbildern zuzuwenden,

Und gleichwohl dann gezwungen sein,

In dem gefährlichen Momente der Entscheidung,

Die ungeheure Wahrheit anzuschaun?

Nein! Schritt vor Schritt will ich das Land der großen Väter

Verlieren – über jeden Waldstrom schon im voraus,

Mir eine goldne Brücke baun,

In jeder Mordschlacht denken, wie ich in

Den letzten Winkel nur mich des Cheruskerlands

Zurücke zieh: und triumphieren,

Wie nimmer Marius und Sylla triumphierten,

Wenn ich – nach einer runden Zahl von Jahren,

Versteht sich – im Schatten einer Wodanseiche,

Auf einem Grenzstein, mit den letzten Freunden,

Den schönen Tod der Helden sterben kann.

DAGOBERT.

Nun denn, beim Styxfluß –!

SELGAR.

Das gestehst du, Vetter,

Auf diesem Weg nicht kömmst du eben weit.

DAGOBERT.

Gleich einem Löwen grimmig steht er auf,

Warum? Um, wie ein Krebs, zurückzugehn.

HERMANN.

Nicht weit? Hm! – Seht, das möcht ich just nicht sagen.

Nach Rom – ihr Herren, Dagobert und Selgar!

Wenn mir das Glück ein wenig günstig ist.

Und wenn nicht ich, wie ich fast zweifeln muß,

Der Enkel einer doch, wag ich zu hoffen,

Die hier in diesem Paar der Lenden ruhn!

WOLF umarmt ihn.

Du Lieber, Wackrer, Göttlicher –!

Wahrhaftig, du gefällst mir. – Kommt, stoßt an!

Hermann soll, der Befreier Deutschlands, leben!

HERMANN sich losmachend.

Kurz, wollt ihr, wie ich schon einmal euch sagte,[255]

Zusammenraffen Weib und Kind,

Und auf der Weser rechtes Ufer bringen,

Geschirre, goldn' und silberne, die ihr

Besitzet, schmelzen, Perlen und Juwelen

Verkaufen oder sie verpfänden,

Verheeren eure Fluren, eure Herden

Erschlagen, eure Plätze niederbrennen,

So bin ich euer Mann –:

WOLF.

Wie? Was?

HERMANN.

Wo nicht –?

THUISKOMAR.

Die eignen Fluren sollen wir verheeren –?

DAGOBERT.

Die Herden töten –?

SELGAR.

Unsre Plätze niederbrennen –?

HERMANN.

Nicht? Nicht? Ihr wollt es nicht?

THUISKOMAR.

Das eben, Rasender, das ist es ja,

Was wir in diesem Krieg verteidigen wollen!

HERMANN abbrechend.

Nun denn, ich glaubte, eure Freiheit wär's.


Er steht auf.


THUISKOMAR.

Was? – Allerdings. Die Freiheit –

HERMANN.

Ihr vergebt mir!

THUISKOMAR.

Wohin, ich bitte dich?

SELGAR.

Was fällt dir ein?

HERMANN.

Ihr Herrn, ihr hört's; so kann ich euch nicht helfen.

DAGOBERT bricht auf.

Laß dir bedeuten, Hermann.

HERMANN in die Szene rufend.

Horst! Die Pferde!

SELGAR ebenso.

Ein Augenblick! Hör an! Du mißverstehst uns!


Die Fürsten brechen sämtlich auf.


HERMANN.

Ihr Herrn, zur Mittagstafel sehn wir uns.


Er geht ab; Hörnermusik.


WOLF.

O Deutschland! Vaterland! Wer rettet dich,

Wenn es ein Held, wie Siegmars Sohn nicht tut!


Alle ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 248-256.
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