Fünfter Auftritt

[262] Thusnelda und Ventidius.


VENTIDIUS.

Vergib, erlauchte Frau, dem Freund des Hauses,

Wenn er den Fuß, unaufgerufen,

In deine göttergleiche Nähe setzt.

Von deiner Lippe hört ich gern,

Wie du die Nacht, nach jenem Schreck, der gestern

Dein junges Herz erschütterte, geschlummert?

THUSNELDA.

Nicht eben gut, Ventidius. Mein Gemüt

War von der Jagd noch ganz des wilden Urs erfüllt.

Vom Bogen sandt ich tausendmal den Pfeil,

Und immerfort sah ich das Tier,

Mit eingestemmten Hörnern, auf mich stürzen.

Ein fürchterlicher Tod, Ventidius,[262]

Solch einem Ungeheur erliegen!

Arminius sagte scherzend heut,

Ich hätte durch die ganze Nacht,

Ventidius! Ventidius! gerufen.

VENTIDIUS läßt sich leidenschaftlich vor ihr nieder, und ergreift ihre Hand.

Wie selig bin ich, Königin,

Dir ein Gefühl entlockt zu haben!

Was für ein Strahl der Wonne strömt,

Mir unerträglich, alle Glieder lähmend,

Durch den entzückten Busen hin,

Sagt mir dein süßer Mund, daß du, bei dem Gedanken

An mich, empfindest – wär's auch die unscheinbare

Empfindung nur des Danks, verehrte Frau,

Die jedem Glücklichen geworden wäre,

Der, als ein Retter, dir zur Seite stand!

THUSNELDA.

Ventidius! Was willst du mir? Steh auf!

VENTIDIUS.

Nicht eh'r, Vergötterte, als bis du meiner Brust

Ein Zeichen, gleichviel welches, des

Gefühls, das ich in dir entflammt, verehrt!

Sei es das Mindeste, was Sinne greifen mögen,

Das Herz gestaltet es zum Größesten.

Laß es den Strauß hier sein, der deinen Busen ziert,

Hier diese Schleife, diese goldne Locke –

Ja, Kön'gin, eine Locke laß es sein!

THUSNELDA.

Ich glaub, du schwärmst. Du weißt nicht, wo du bist.

VENTIDIUS.

Gib eine Locke, Abgott meiner Seelen,

Von diesem Haupthaar mir, das von der Juno Scheiteln

In üpp'gern Wogen nicht zur Ferse wallt!

Sieh, dem Arminius gönn ich alles:

Das ganze duftende Gefäß von Seligkeiten,

Das ich in meinen Armen zitternd halte,

Sein ist's; ich gönn es ihm: es möge sein verbleiben.

Die einz'ge Locke fleh ich nur für mich,

Die, in dem Hain, beim Schein des Monds,[263]

An meine Lippe heiß gedrückt,

Mir deines Daseins Traum ergänzen soll!

Die kannst du mir, geliebtes Weib, nicht weigern,

Wenn du nicht grausam mich verhöhnen willst.

THUSNELDA.

Ventidius, soll ich meine Frauen rufen?

VENTIDIUS.

Und müßt ich so, in Anbetung gestreckt,

Zu deinen Füßen flehend liegen,

Bis das Giganten-Jahr des Platon abgerollt,

Bis die graubärt'ge Zeit ein Kind geworden,

Und der verliebten Schäfer Paare wieder

An Milch- und Honigströmen zärtlich wandeln:

Von diesem Platz entweichen werd ich nicht,

Bis jener Wunsch, den meine Seele

Gewagt hat dir zu nennen, mir erfüllt.


Thusnelda steht auf und sieht ihn an. Ventidius läßt sie betreten los und erhebt sich. Thusnelda geht und klingelt.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 262-264.
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