Sechster Auftritt

[322] Ein Römer tritt auf. Die Vorigen.


DER RÖMER.

Wo ist der Feldherr Roms! Wer führt mich zu ihm?

DER HAUPTMANN.

Was gibt's? Hier steht er!

VARUS.

Nun? Was bringst du mir?

DER RÖMER.

Quintilius, zu den Waffen, sag ich dir!

Marbod hat übern Weserstrom gesetzt!

Auf weniger, denn tausend Schritte,

Steht er mit seinem ganzen Suevenheere da!

VARUS.

Marbod! Was sagst du mir?

ERSTER FELDHERR.

Bist du bei Sinnen?

VARUS.

– Von wem kommt dir die aberwitz'ge Kunde?

DER RÖMER.

Die Kunde? Was! Beim Zeus, hier von mir selbst!

Dein Vortrab stieß soeben auf den seinen,

Bei welchem ich, im Schein der Fackeln,

Soeben durch die Büsche, ihn gesehn![322]

VARUS.

Unmöglich ist's!

ZWEITER FELDHERR.

Das ist ein Irrtum, Freund!

VARUS.

Fulvius Lepidus, der Legate Roms,

Der eben jetzt, aus Marbods Lager,

Hier angelangt, hat ihn vorgestern

Ja noch jenseits des Weserstroms verlassen?!

DER RÖMER.

Mein Feldherr, frage mich nach nichts!

Schick deine Späher aus und überzeuge dich!

Marbod, hab ich gesagt, steht, mit dem Heer der Sueven,

Auf deinem Weg zur Weser aufgepflanzt;

Hier diese Augen haben ihn gesehn!

VARUS.

– Was soll dies alte Herz fortan nicht glauben?

Kommt her und sprecht: Marbod und Hermann

Verständen heimlich sich, in dieser Fehde,

Und so wie der im Antlitz mir,

So stände der mir schon im Rücken,

Mich hier mit Dolchen in den Staub zu werfen:

Beim Styx! ich glaubt es noch; ich hab's, schon vor drei Tagen,

Als ich den Lippstrom überschifft, geahnt!

ERSTER FELDHERR.

Pfui doch, Quintilius, des unrömerhaften Worts!

Marbod und Hermann! In den Staub dich werfen!

Wer weiß, ob einer noch von beiden

In deiner Nähe ist! – Gib mir ein Häuflein Römer,

Den Wald, der dich umdämmert, zu durchspähn:

Die Schar, auf die dein Vordertrab gestoßen,

Ist eine Horde noch zuletzt,

Die hier den Uren oder Bären jagt.

VARUS sammelt sich.

Auf! – Drei Centurien geb ich dir!

– Bring Kunde mir, wenn du's vermagst,

Von seiner Zahl; verstehst du mich?

Und seine Stellung auch im Wald erforsche;

Jedoch vermeide sorgsam ein Gefecht.


Der erste Feldherr ab.
[323]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 322-324.
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