Einundzwanzigster Auftritt

[97] Achilles, Diomedes treten auf. Späterhin Odysseus, zuletzt der Herold.


ACHILLES.

Hör, tu mir den Gefallen, Diomed,

Und sag dem Sittenrichter nichts, dem grämlichen

Odyß, von dem, was ich dir anvertraue;

Mir widersteht's, es macht mir Übelkeiten,

Wenn ich den Zug um seine Lippe sehe.

DIOMEDES.

Hast du den Herold ihr gesandt, Pelide?

Ist's wahr? Ist's wirklich?

ACHILLES.

Ich will dir sagen, Freund.

– Du aber, du erwiderst nichts, verstehst du?

Gar nichts, kein Wort! – Dies wunderbare Weib,

Halb Furie, halb Grazie, sie liebt mich –

Und allen Weibern Hellas' ich zum Trotz,

Beim Styx! beim ganzen Hades! – ich sie auch.

DIOMEDES.

Was!

ACHILLES.

Ja. Doch eine Grille, die ihr heilig,

Will, daß ich ihrem Schwert im Kampf erliege;

Eh' nicht in Liebe kann sie mich umfangen.

Nun schickt ich –

DIOMEDES.

Rasender!

ACHILLES.

Er hört mich nicht!

Was er im Weltkreis noch, solang er lebt,

Mit seinem blauen Auge nicht gesehn,

Das kann er in Gedanken auch nicht fassen.

DIOMEDES.

Du willst –? Nein, sprich! Du willst –?

ACHILLES nach einer Pause.

– Was also will ich?

Was ist's, daß ich so Ungeheures will?

DIOMEDES.

Du hast sie in die Schranken bloß gefordert,

Um ihr –?

ACHILLES.

Beim wolkenrüttelnden Kroniden,

Sie tut mir nichts, sag ich! Eh' wird ihr Arm,

Im Zweikampf gegen ihren Busen wüten,[97]

Und rufen: »Sieg!« wenn er von Herzblut trieft,

Als wider mich! – Auf einen Mond bloß will ich ihr,

In dem, was sie begehrt, zu Willen sein;

Auf einen oder zwei, mehr nicht: das wird

Euch ja den alten, meerzerfreßnen Isthmus

Nicht gleich zusammenstürzen! – Frei bin ich dann;

Wie ich aus ihrem eignen Munde weiß,

Wie Wild auf Heiden wieder; und folgt sie mir,

Beim Jupiter! ich wär ein Seliger,

Könnt ich auf meiner Väter Thron sie setzen.

ODYSSEUS kommt.

DIOMEDES.

Komm her, Ulyß, ich bitte dich.

ODYSSEUS.

Pelide!

Du hast die Königin ins Feld gerufen;

Willst du, ermüdet, wie die Scharen sind,

Von neu'm das oft mißlungne Wagstück wagen?

DIOMEDES.

Nichts, Freund, von Wagestücken, nichts von Kämpfen;

Er will sich bloß ihr zu gefangen geben.

ODYSSEUS.

Was?

ACHILLES das Blut schießt ihm ins Gesicht.

Tu mir dein Gesicht weg, bitt ich dich!

ODYSSEUS.

Er will –?

DIOMEDES.

Du hörst's, ja! Ihr den Helm zerkeilen;

Gleich einem Fechter, grimmig sehn, und wüten;

Dem Schild aufdonnern, daß die Funken sprühen,

Und stumm sich, als ein Überwundener,

Zu ihren kleinen Füßen niederlegen.

ODYSSEUS.

Ist dieser Mann bei Sinnen, Sohn des Peleus?

Hast du gehört, was er –?

ACHILLES sich zurückhaltend.

Ich bitte dich,

Halt deine Oberlippe fest, Ulyß!

Es steckt mich an, bei den gerechten Göttern,

Und bis zur Faust gleich zuckt es mir herab.

ODYSSEUS wild.

Bei dem Kozyt, dem feurigen! Wissen will ich,

Ob meine Ohren hören, oder nicht![98]

Du wirst mir, Sohn des Tydeus, bitt ich, jetzt,

Mit einem Eid, daß ich aufs Reine komme,

Bekräftigen, was ich dich fragen werde.

Er will der Königin sich gefangen geben?

DIOMEDES.

Du hörst's!

ODYSSEUS.

Nach Themiscyra will er gehn?

DIOMEDES.

So ist's.

ODYSSEUS.

Und unseren Helenenstreit,

Vor der Dardanerburg, der Sinnentblößte,

Den will er, wie ein Kinderspiel, weil sich

Was anders Buntes zeigt, im Stiche lassen?

DIOMEDES.

Beim Jupiter! Ich schwör's.

ODYSSEUS indem er die Arme verschränkt.

– Ich kann's nicht glauben.

ACHILLES.

Er spricht von der Dardanerburg.

ODYSSEUS.

Was?

ACHILLES.

Was?

ODYSSEUS.

Mich dünkt, du sagtest was.

ACHILLES.

Ich?

ODYSSEUS.

Du!

ACHILLES.

Ich sagte:

Er spricht von der Dardanerburg.

ODYSSEUS.

Nun, ja!

Wie ein Beseßner fragt ich, ob der ganze

Helenenstreit, vor der Dardanerburg,

Gleich einem Morgentraum, vergessen sei?

ACHILLES indem er ihm näher tritt.

Wenn die Dardanerburg, Laertiade,

Versänke, du verstehst, so daß ein See,

Ein bläulicher, an ihre Stelle träte;

Wenn graue Fischer, bei dem Schein des Monds,

Den Kahn an ihre Wetterhähne knüpften;

Wenn im Palast des Priamus ein Hecht

Regiert', ein Ottern- oder Ratzenpaar

Im Bette sich der Helena umarmten:

So wär's für mich gerad soviel, als jetzt.[99]

ODYSSEUS.

Beim Styx! Es ist sein voller Ernst, Tydide!

ACHILLES.

Beim Styx! Bei dem Lernäersumpf! Beim Hades!

Der ganzen Oberwelt und Unterwelt,

Und jedem dritten Ort: es ist mein Ernst;

Ich will den Tempel der Diana sehn!

ODYSSEUS halb ihm ins Ohr.

Laß ihn nicht von der Stelle, Diomed,

Wenn du so gut willst sein.

DIOMEDES.

Wenn ich – ich glaube!

Sei doch so gut, und leih mir deine Arme.

DER HEROLD tritt auf.

ACHILLES.

Ha! Stellt sie sich? Was bringst du? Stellt sie sich?

DER HEROLD.

Sie stellt sich, ja, Neridensohn, sie naht schon;

Jedoch mit Hunden auch und Elefanten,

Und einem ganzen wilden Reutertroß:

Was die beim Zweikampf sollen, weiß ich nicht.

ACHILLES.

Gut. Dem Gebrauch, war sie das schuldig. Folgt mir!

– O sie ist listig, bei den ewigen Göttern!

– – Mit Hunden, sagst du?

DER HEROLD.

Ja.

ACHILLES.

Und Elefanten?

DER HEROLD.

Daß es ein Schrecken ist, zu sehn, Pelide!

Gält es, die Atreïden anzugreifen,

Im Lager vor der Trojerburg, sie könnte

In keiner finstrern Greuelrüstung nahn.

ACHILLES in den Bart.

Die fressen aus der Hand, wahrscheinlich – Folgt mir!

– Oh! Die sind zahm, wie sie.


Ab mit dem Gefolge.


DIOMEDES.

Der Rasende!

ODYSSEUS.

Laßt uns ihn knebeln, binden – hört, ihr Griechen!

DIOMEDES.

Hier nahn die Amazonen schon – hinweg!


Alle ab.
[100]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 97-101.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
Penthesilea
Penthesilea: Ein Trauerspiel. Studienausgabe
Penthesilea: Ein Trauerspiel
Penthesilea: Ein Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 2. Dramen 1808-1811. Penthesilea / Das Käthchen von Heilbronn / Die Herrmannsschlacht / Prinz Friedrich von Homburg

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon