Vierundzwanzigster Auftritt

[106] Penthesilea. – Die Leiche des Achills, mit einem roten Teppich bedeckt. – Prothoe und andere.


DIE ERSTE AMAZONE.

Seht, seht, ihr Fraun! – Da schreitet sie heran,

Bekränzt mit Nesseln, die Entsetzliche,

Dem dürren Reif des Hagdorns eingewebt,

An Lorbeerschmuckes Statt, und folgt der Leiche

Die Gräßliche, den Bogen festlich schulternd,

Als wär's der Todfeind, den sie überwunden!

DIE ZWEITE PRIESTERIN.

O diese Händ –!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

O wendet euch ihr Frauen!

PROTHOE der Oberpriesterin an den Busen sinkend.

O meine Mutter!

DIE OBERPRIESTERIN mit Entsetzen.

Diana ruf ich an:

Ich bin an dieser Greueltat nicht schuldig![106]

DIE ERSTE AMAZONE.

Sie stellt sich grade vor die Oberpriesterin.

DIE ZWEITE.

Sie winket, schaut!

DIE OBERPRIESTERIN.

Hinweg, du Scheußliche!

Du Hadesbürgerin! Hinweg, sag ich!

Nehmt diesen Schleier, nehmt, und deckt sie zu.


Sie reißt sich den Schleier ab, und wirft ihn der Königin ins Gesicht.


DIE ERSTE AMAZONE.

O die lebend'ge Leich. Es rührt sie nicht –!

DIE ZWEITE.

Sie winket immer fort –

DIE DRITTE.

Winkt immer wieder –

DIE ERSTE.

Winkt immer zu der Priestrin Füßen nieder –

DIE ZWEITE.

Seht, seht!

DIE OBERPRIESTERIN.

Was willst du mir? hinweg, sag ich!

Geh zu den Raben, Schatten! Fort! Verwese!

Du blickst die Ruhe meines Lebens tot.

DIE ERSTE AMAZONE.

Ha! man verstand sie, seht –

DIE ZWEITE.

Jetzt ist sie ruhig.

DIE ERSTE.

Den Peleïden sollte man, das war's,

Vor der Dianapriestrin Füßen legen.

DIE DRITTE.

Warum just vor der Dianapriestrin Füßen?

DIE VIERTE.

Was meint sie auch damit?

DIE OBERPRIESTERIN.

Was soll mir das?

Was soll die Leiche hier vor mir? Laß sie

Gebirge decken, unzugängliche,

Und den Gedanken deiner Tat dazu!

War ich's, du – Mensch nicht mehr, wie nenn ich dich?

Die diesen Mord dir schrecklich abgefordert? –

Wenn ein Verweis, sanft aus der Liebe Mund,

Zu solchen Greuelnissen treibt, so sollen

Die Furien kommen, und uns Sanftmut lehren!

DIE ERSTE AMAZONE.

Sie blicket immer auf die Priestrin ein.

DIE ZWEITE.

Grad ihr ins Antlitz –[107]

DIE DRITTE.

Fest und unverwandt,

Als ob sie durch und durch sie blicken wollte. –

DIE OBERPRIESTERIN.

Geh, Prothoe, ich bitte dich, geh, geh,

Ich kann sie nicht mehr sehn, entferne sie.

PROTHOE weinend.

Weh mir!

DIE OBERPRIESTERIN.

Entschließe dich!

PROTHOE.

Die Tat, die sie

Vollbracht hat, ist zu scheußlich; laß mich sein.

DIE OBERPRIESTERIN.

Faß dich. – Sie hatte eine schöne Mutter.

– Geh, biet ihr deine Hülf und führ sie fort.

PROTHOE.

Ich will sie nie mit Augen wiedersehn! –

DIE ZWEITE AMAZONE.

Seht, wie sie jetzt den schlanken Pfeil betrachtet!

DIE ERSTE.

Wie sie ihn dreht und wendet –

DIE DRITTE.

Wie sie ihn mißt!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Das scheint der Pfeil, womit sie ihn erlegt.

DIE ERSTE AMAZONE.

So ist's, ihr Fraun!

DIE ZWEITE.

Wie sie vom Blut ihn säubert!

Wie sie an seiner Flecken jeden wischt!

DIE DRITTE.

Was denkt sie wohl dabei?

DIE ZWEITE.

Und das Gefieder,

Wie sie es trocknet, kräuselt, wie sie's lockt!

So zierlich! Alles, wie es sich gehört.

O seht doch!

DIE DRITTE.

– Ist sie das gewohnt zu tun?

DIE ERSTE.

Tat sie das sonst auch selber?

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Pfeil und Bogen,

Sie hat sie stets mit eigner Hand gereinigt.

DIE ZWEITE.

O heilig hielt sie ihn, das muß man sagen! – –

DIE ZWEITE AMAZONE.

Doch jetzt den Köcher nimmt sie von der Schulter,

Und stellt den Pfeil in seinen Schaft zurück.

DIE DRITTE.

Nun ist sie fertig –

DIE ZWEITE.

Nun ist es geschehen –[108]

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Nun sieht sie wieder in die Welt hinaus –!

MEHRERE FRAUEN.

O jammervoller Anblick! O so öde

Wie die Sandwüste, die kein Gras gebiert!

Lustgärten, die der Feuerstrom verwüstet,

Gekocht im Schoß der Erd und ausgespieen,

Auf alle Blüten ihres Busens hin,

Sind anmutsvoller als ihr Angesicht.

PENTHESILEA ein Schauer schüttelt sie zusammen; sie läßt den Bogen fallen.

DIE OBERPRIESTERIN.

O die Entsetzliche!

PROTHOE erschrocken.

Nun, was auch gibt's?

DIE ERSTE AMAZONE.

Der Bogen stürzt' ihr aus der Hand danieder!

DIE ZWEITE.

Seht, wie er taumelt –

DIE VIERTE.

Klirrt, und wankt, und fällt –!

DIE ZWEITE.

Und noch einmal am Boden zuckt –

DIE DRITTE.

Und stirbt,

Wie er der Tanaïs geboren ward.


Pause.


DIE OBERPRIESTERIN sich plötzlich zu ihr wendend.

Du, meine große Herrscherin, vergib mir!

Diana ist, die Göttin, dir zufrieden,

Besänftigt wieder hast du ihren Zorn.

Die große Stifterin des Frauenreiches,

Die Tanaïs, das gesteh ich jetzt, sie hat

Den Bogen würd'ger nicht geführt als du.

DIE ERSTE AMAZONE.

Sie schweigt –

DIE ZWEITE.

Ihr Auge schwillt –

DIE DRITTE.

Sie hebt den Finger,

Den blutigen, was will sie – Seht, o seht!

DIE ZWEITE.

O Anblick, herzzerreißender, als Messer!

DIE ERSTE.

Sie wischt sich eine Träne ab.[109]

DIE OBERPRIESTERIN an Prothoes Busen zurücksinkend.

O Diana!

Welch eine Träne!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

O eine Träne, du Hochheil'ge,

Die in der Menschen Brüste schleicht,

Und alle Feuerglocken der Empfindung zieht,

Und: Jammer! rufet, daß das ganze

Geschlecht, das leicht bewegliche, hervor

Stürzt aus den Augen, und in Seen gesammelt,

Um die Ruine ihrer Seele weint.

DIE OBERPRIESTERIN mit einem bittern Ausdruck.

Nun denn – wenn Prothoe ihr nicht helfen will,

So muß sie hier in ihrer Not vergehn.

PROTHOE drückt den heftigsten Kampf aus. Drauf, indem sie sich ihr nähert, mit einer immer von Tränen unterbrochenen Stimme.

Willst du dich niederlassen, meine Königin?

Willst du an meiner treuen Brust nicht ruhn?

Viel kämpftest du, an diesem Schreckenstag,

Viel, auch, viel littest du – von so viel Leiden

Willst du an meiner treuen Brust nicht ruhn?

PENTHESILEA sie sieht sich um, wie nach einem Sessel.

PROTHOE.

Schafft einen Sitz herbei! Ihr seht, sie will's.


Die Amazonen wälzen einen Stein herbei. Penthesilea läßt sich an Prothoes Hand darauf nieder. Hierauf setzt sich auch Prothoe.


PROTHOE.

Du kennst mich doch, mein Schwesterherz?

PENTHESILEA sieht sie an, ihr Antlitz erheitert sich ein wenig.

PROTHOE.

Prothoe

Bin ich, die dich so zärtlich liebt.

PENTHESILEA streichelt sanft ihre Wange.

PROTHOE.

O du,

Vor der mein Herz auf Knien niederfällt,

Wie rührst du mich!


Sie küßt die Hand der Königin.


– Du bist wohl sehr ermüdet?[110]

Ach, wie man dir dein Handwerk ansieht, Liebe!

Nun freilich – Siegen geht so rein nicht ab,

Und jede Werkstatt kleidet ihren Meister.

Doch wie, wenn du dich jetzo reinigtest,

Händ und Gesicht? – Soll ich dir Wasser schaffen?

– – Geliebte Königin!

PENTHESILEA sie besieht sich und nickt.

PROTHOE.

Nun ja. Sie will's.


Sie winkt den Amazonen; diese gehen Wasser zu schöpfen.


– Das wird dir wohltun, das wird dich erquicken,

Und sanft, auf kühle Teppiche gestreckt,

Von schwerer Tagesarbeit wirst du ruhn.

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Wenn man mit Wasser sie besprengt, gebt acht,

Besinnt sie sich.

DIE OBERPRIESTERIN.

O ganz gewiß, das hoff ich.

PROTHOE.

Du hoffst's, hochheil'ge Priesterin? – Ich fürcht es.

DIE OBERPRIESTERIN indem sie zu überlegen scheint.

Warum? Weshalb? – Es ist nur nicht zu wagen,

Sonst müßte man die Leiche des Achills –

PENTHESILEA blickt die Oberpriesterin blitzend an.

PROTHOE.

Laßt, laßt –!

DIE OBERPRIESTERIN.

Nichts, meine Königin, nichts, nichts!

Es soll dir alles bleiben, wie es ist. –

PROTHOE.

Nimm dir den Lorbeer ab, den dornigen,

Wir alle wissen ja, daß du gesiegt.

Und auch den Hals befreie dir – So, so!

Schau! Eine Wund und das recht tief! Du Arme!

Du hast es dir recht sauer werden lassen –

Nun dafür triumphierst du jetzo auch!

– O Artemis!


Zwei Amazonen bringen ein großes flaches Marmorbecken, gefüllt mit Wasser.
[111]

PROTHOE.

Hier setzt das Becken her. –

Soll ich dir jetzt die jungen Scheitel netzen?

Und wirst du auch erschrecken nicht – –? Was machst du?

PENTHESILEA läßt sich von ihrem Sitz auf Knien vor das Becken niederfallen, und begießt sich das Haupt mit Wasser.

PROTHOE.

Sieh da! Du bist ja traun recht rüstig, Königin!

– Das tut dir wohl recht wohl?

PENTHESILEA sie sieht sich um.

Ach Prothoe!


Sie begießt sich von neuem mit Wasser.


MEROE froh.

Sie spricht!

DIE OBERPRIESTERIN.

Dem Himmel sei gedankt!

PROTHOE.

Gut, gut!

MEROE.

Sie kehrt ins Leben uns zurück!

PROTHOE.

Vortrefflich!

Das Haupt ganz unter Wasser, Liebe! So!

Und wieder! So, so! Wie ein junger Schwan! –

MEROE.

Die Liebliche!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Wie sie das Köpfchen hängt!

MEROE.

Wie sie das Wasser niederträufeln läßt!

PROTHOE.

– Bist du jetzt fertig?

PENTHESILEA.

Ach! – Wie wunderbar.

PROTHOE.

Nun denn, so komm mir auf den Sitz zurück! –

Rasch eure Schleier mir, ihr Priesterinnen,

Daß ich ihr die durchweichten Locken trockne!

So, Phania, deinen! Terpi! helft mir, Schwestern!

Laßt uns ihr Haupt und Nacken ganz verhüllen!

So, so! – Und jetzo auf den Sitz zurück!


Sie verhallt die Königin, hebt sie auf den Sitz, und drückt sie fest an ihre Brust.


PENTHESILEA.

Wie ist mir?

PROTHOE.

Wohl, denk ich – nicht?

PENTHESILEA lispelnd.

Zum Entzücken!

PROTHOE.

Mein Schwesterherz! Mein süßes! O mein Leben!

PENTHESILEA.

O sagt mir! – Bin ich in Elysium?

Bist du der ewig jungen Nymphen eine,[112]

Die unsre hehre Königin bedienen,

Wenn sie von Eichenwipfeln still umrauscht,

In die kristallne Grotte niedersteigt?

Nahmst du die Züge bloß, mich zu erfreuen,

Die Züge meiner lieben Prothoe an?

PROTHOE.

Nicht, meine beste Königin, nicht, nicht

Ich bin es, deine Prothoe, die dich

In Armen hält, und was du hier erblickst,

Es ist die Welt noch, die gebrechliche,

Auf die nur fern die Götter niederschaun.

PENTHESILEA.

So, so. Auch gut. Recht sehr gut. Es tut nichts.

PROTHOE.

Wie, meine Herrscherin?

PENTHESILEA.

Ich bin vergnügt.

PROTHOE.

Erkläre dich, Geliebte. Wir verstehn nicht –

PENTHESILEA.

Daß ich noch bin, erfreut mich. Laßt mich ruhn.


Pause.


MEROE.

Seltsam!

DIE OBERPRIESTERIN.

Welch eine wunderbare Wendung!

MEROE.

Wenn man geschickt ihr doch entlocken könnte –?

PROTHOE.

– Was war es denn, das dir den Wahn erregt,

Du seist ins Reich der Schatten schon gestiegen?

PENTHESILEA nach einer Pause, mit einer Art von Verzückung.

Ich bin so selig, Schwester! Überselig!

Ganz reif zum Tod o Diana, fühl ich mich!

Zwar weiß ich nicht, was hier mit mir geschehn,

Doch gleich des festen Glaubens könnt ich sterben,

Daß ich mir den Peliden überwand.

PROTHOE verstohlen zur Oberpriesterin.

Rasch jetzt die Leich hinweg!

PENTHESILEA sich lebhaft aufrichtend.

O Prothoe!

Mit wem sprichst du?

PROTHOE da die beiden Trägerinnen noch säumen.

Fort, Rasende!

PENTHESILEA.

O Diana!

So ist es wahr?[113]

PROTHOE.

Was, fragst du, wahr, Geliebte?

– Hier! Drängt euch dicht heran!


Sie winkt den Priesterinnen, die Leiche, die aufgehoben wird, mit ihren Leibern zu verbergen.


PENTHESILEA hält ihre Hände freudig vors Gesicht.

Ihr heil'gen Götter!

Ich habe nicht das Herz mich umzusehn.

PROTHOE.

Was hast du vor? Was denkst du, Königin?

PENTHESILEA sich umsehend.

O Liebe, du verstellst dich.

PROTHOE.

Nein, beim Zeus,

Dem ew'gen Gott der Welt!

PENTHESILEA mit immer steigender Ungeduld.

O ihr Hochheiligen,

Zerstreut euch doch!

DIE OBERPRIESTERIN sich dicht mit den übrigen Frauen zusammendrängend.

Geliebte Königin!

PENTHESILEA indem sie aufsteht.

O Diana! Warum soll ich nicht? O Diana!

Er stand schon einmal hinterm Rücken mir.

MEROE.

Seht, seht! Wie sie Entsetzen faßt!

PENTHESILEA zu den Amazonen, welche die Leiche tragen.

Halt dort! –

Was tragt ihr dort? Ich will es wissen. Steht!


Sie macht sich Platz unter den Frauen und dringt bis zur Leiche vor.


PROTHOE.

O meine Königin! Untersuche nicht!

PENTHESILEA.

Ist er's, ihr Jungfraun? Ist er's?

EINE TRÄGERIN indem die Leiche niedergelassen wird.

Wer, fragst du?

PENTHESILEA.

– Es ist unmöglich nicht, das seh ich ein.

Zwar einer Schwalbe Flügel kann ich lähmen,

So, daß der Flügel noch zu heilen ist;

Den Hirsch lock ich mit Pfeilen in den Park.

Doch ein Verräter ist die Kunst der Schützen;

Und gilt's den Meisterschuß ins Herz des Glückes,[114]

So führen tück'sche Götter uns die Hand.

– Traf ich zu nah ihn, wo es gilt? Sprecht ist er's?

PROTHOE.

O bei den furchtbarn Mächten des Olymps,

Frag nicht –!

PENTHESILEA.

Hinweg! Und wenn mir seine Wunde,

Ein Höllenrachen, gleich entgegen gähnte:

Ich will ihn sehn!


Sie hebt den Teppich auf.


Wer von euch tat das, ihr Entsetzlichen!

PROTHOE.

Das fragst du noch?

PENTHESILEA.

O Artemis! Du Heilige!

Jetzt ist es um dein Kind geschehn!

DIE OBERPRIESTERIN.

Da stürzt sie hin!

PROTHOE.

Ihr ew'gen Himmelsgötter!

Warum nicht meinem Rate folgtest du?

O dir war besser, du Unglückliche,

In des Verstandes Sonnenfinsternis

Umherzuwandeln, ewig, ewig, ewig,

Als diesen fürchterlichen Tag zu sehn!

– Geliebte, hör mich!

DIE OBERPRIESTERIN.

Meine Königin!

MEROE.

Zehntausend Herzen teilen deinen Schmerz!

DIE OBERPRIESTERIN.

Erhebe dich!

PENTHESILEA halb aufgerichtet.

Ach, diese blut'gen Rosen!

Ach, dieser Kranz von Wunden um sein Haupt!

Ach, wie die Knospen, frischen Grabduft streuend,

Zum Fest für die Gewürme, niedergehn!

PROTHOE mit Zärtlichkeit.

Und doch war es die Liebe, die ihn kränzte?

MEROE.

Nur allzufest –!

PROTHOE.

Und mit der Rose Dornen,

In der Beeifrung, daß es ewig sei!

DIE OBERPRIESTERIN.

Entferne dich!

PENTHESILEA.

Das aber will ich wissen,

Wer mir so gottlos neben hat gebuhlt! –

Ich frage nicht, wer den Lebendigen[115]

Erschlug; bei unsern ewig hehren Göttern!

Frei, wie ein Vogel, geht er von mir weg.

Wer mir den Toten tötete, frag ich,

Und darauf gib mir Antwort, Prothoe.

PROTHOE.

Wie, meine Herrscherin?

PENTHESILEA.

Versteh mich recht.

Ich will nicht wissen, wer aus seinem Busen

Den Funken des Prometheus stahl. Ich will's nicht,

Weil ich's nicht will; die Laune steht mir so:

Ihm soll vergeben sein, er mag entfliehn.

Doch wer, o Prothoe, bei diesem Raube

Die offne Pforte ruchlos mied, durch alle

Schneeweißen Alabasterwände mir

In diesen Tempel brach; wer diesen Jüngling,

Das Ebenbild der Götter, so entstellt,

Daß Leben und Verwesung sich nicht streiten,

Wem er gehört, wer ihn so zugerichtet,

Daß ihn das Mitleid nicht beweint, die Liebe

Sich, die unsterbliche, gleich einer Metze,

Im Tod noch untreu, von ihm wenden muß:

Den will ich meiner Rache opfern. Sprich!

PROTHOE zur Oberpriesterin.

Was soll man nun der Rasenden erwidern? –

PENTHESILEA.

Nun, werd ich's hören?

MEROE.

– O meine Königin,

Bringt es Erleichterung der Schmerzen dir,

In deiner Rache opfre, wen du willst.

Hier stehn wir all und bieten dir uns an.

PENTHESILEA.

Gebt acht, sie sagen noch, daß ich es war.

DIE OBERPRIESTERIN schüchtern.

Wer sonst, du Unglückselige, als nur –?

PENTHESILEA.

Du Höllenfürstin, im Gewand des Lichts,

Das wagst du mir –?

DIE OBERPRIESTERIN.

Diana ruf ich an!

Laß es die ganze Schar, die dich umsteht,

Bekräftigen! Dein Pfeil war's der ihn traf,[116]

Und Himmel! wär es nur dein Pfeil gewesen!

Doch, als er niedersank, warfst du dich noch,

In der Verwirrung deiner wilden Sinne,

Mit allen Hunden über ihn und schlugst –

O meine Lippe zittert auszusprechen,

Was du getan. Frag nicht! Komm, laß uns gehn.

PENTHESILEA.

Das muß ich erst von meiner Prothoe hören.

PROTHOE.

O meine Königin! Befrag mich nicht.

PENTHESILEA.

Was! Ich? Ich hätt ihn –? Unter meinen Hunden –?

Mit diesen kleinen Händen hätt ich ihn –?

Und dieser Mund hier, den die Liebe schwellt –?

Ach, zu ganz anderm Dienst gemacht, als ihn –!

Die hätten, lustig stets einander helfend,

Mund jetzt und Hand, und Hand und wieder Mund –?

PROTHOE.

O Königin!

DIE OBERPRIESTERIN.

Ich rufe Wehe! dir.

PENTHESILEA.

Nein, hört, davon nicht überzeugt ihr mich.

Und stünd's mit Blitzen in die Nacht geschrieben,

Und rief es mir des Donners Stimme zu,

So rief ich doch noch beiden zu: ihr lügt!

MEROE.

Laß ihn, wie Berge, diesen Glauben stehn;

Wir sind es nicht, die ihn erschüttern werden.

PENTHESILEA.

– Wie kam es denn, daß er sich nicht gewehrt?

DIE OBERPRIESTERIN.

Er liebte dich, Unseligste! Gefangen

Wollt er sich dir ergeben, darum naht' er!

Darum zum Kampfe fordert' er dich auf!

Die Brust voll süßen Friedens kam er her,

Um dir zum Tempel Artemis' zu folgen.

Doch du –

PENTHESILEA.

So, so –

DIE OBERPRIESTERIN.

Du trafst ihn –

PENTHESILEA.

Ich zerriß ihn.

PROTHOE.

O meine Königin!

PENTHESILEA.

Oder war es anders?[117]

MEROE.

Die Gräßliche!

PENTHESILEA.

Küßt ich ihn tot?

DIE ERSTE PRIESTERIN.

O Himmel!

PENTHESILEA.

Nicht? Küßt ich nicht? Zerrissen wirklich? sprecht?

DIE OBERPRIESTERIN.

Weh! Wehe! ruf ich dir. Verberge dich!

Laß für der ew'ge Mitternacht dich decken!

PENTHESILEA.

– So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,

Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,

Kann schon das eine für das andre greifen.

MEROE.

Helft ihr, ihr Ew'gen, dort!

PROTHOE ergreift sie.

Hinweg!

PENTHESILEA.

Laßt, laßt!


Sie wickelt sich los, und läßt sich auf Knien vor der Leiche nieder.


Du Ärmster aller Menschen, du vergibst mir!

Ich habe mich, bei Diana, bloß versprochen,

Weil ich der raschen Lippe Herr nicht bin;

Doch jetzt sag ich dir deutlich, wie ich's meinte:

Dies, du Geliebter, war's, und weiter nichts.


Sie küßt ihn.


DIE OBERPRIESTERIN.

Schafft sie hinweg!

MEROE.

Was soll sie länger hier?

PENTHESILEA.

Wie manche, die am Hals des Freundes hängt,

Sagt wohl das Wort: sie lieb ihn, o so sehr,

Daß sie vor Liebe gleich ihn essen könnte;

Und hinterher, das Wort beprüft, die Närrin!

Gesättigt sein zum Ekel ist sie schon.

Nun, du Geliebter, so verfuhr ich nicht.

Sieh her: als ich an deinem Halse hing,

Hab ich's wahrhaftig Wort für Wort getan;

Ich war nicht so verrückt, als es wohl schien.

MEROE.

Die Ungeheuerste! Was sprach sie da?

DIE OBERPRIESTERIN.

Ergreift sie! Bringt sie fort![118]

PROTHOE.

Komm, meine Königin!

PENTHESILEA sie läßt sich aufrichten.

Gut, gut. Hier bin ich schon.

DIE OBERPRIESTERIN.

So folgst du uns?

PENTHESILEA.

Euch nicht! – –

Geht ihr nach Themiscyra, und seid glücklich,

Wenn ihr es könnt –

Vor allen meine Prothoe –

Ihr alle –

Und – – – im Vertraun ein Wort, das niemand höre,

Der Tanaïs Asche, streut sie in die Luft!

PROTHOE.

Und du, mein teures Schwesterherz?

PENTHESILEA.

Ich?

PROTHOE.

Du!

PENTHESILEA.

– Ich will dir sagen, Prothoe,

Ich sage vom Gesetz der Fraun mich los,

Und folge diesem Jüngling hier.

PROTHOE.

Wie, meine Königin?

DIE OBERPRIESTERIN.

Unglückliche!

PROTHOE.

Du willst –?

DIE OBERPRIESTERIN.

Du denkst –

PENTHESILEA.

Was? Allerdings!

MEROE.

O Himmel!

PROTHOE.

So laß mich dir ein Wort, mein Schwesterherz –


Sie sucht ihr den Dolch wegzunehmen.


PENTHESILEA.

Nun denn, und was? – – Was suchst du mir am Gurt?

– Ja, so. Wart, gleich! Verstand ich dich doch nicht.

– – Hier ist der Dolch.


Sie löst sich den Dolch aus dem Gurt, und gibt ihn der Prothoe.


Willst du die Pfeile auch?


Sie nimmt den Köcher von der Schulter.


Hier schütt ich ihren ganzen Köcher aus!


Sie schüttet die Pfeile vor sich nieder.


Zwar reizend wär's von einer Seite –


Sie hebt einige davon wieder auf.
[119]

Denn dieser hier – nicht? Oder war es dieser –?

Ja, der! Ganz recht – Gleichviel! Da! Nimm sie hin!

Nimm alle die Geschosse zu dir hin!


Sie rafft den ganzen Bündel wieder auf, und gibt ihn der Prothoe in die Hände.


PROTHOE.

Gib her.

PENTHESILEA.

Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder,

Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz,

Mir ein vernichtendes Gefühl hervor.

Dies Erz, dies läutr ich in der Glut des Jammers

Hart mir zu Stahl; tränk es mit Gift sodann,

Heißätzendem, der Reue, durch und durch;

Trag es der Hoffnung ew'gem Amboß zu,

Und schärf und spitz es mir zu einem Dolch;

Und diesem Dolch jetzt reich ich meine Brust:

So! So! So! So! Und wieder! – Nun ist's gut.


Sie fällt und stirbt.


PROTHOE die Königin auffassend.

Sie stirbt!

MEROE.

Sie folgt ihm, in der Tat!

PROTHOE.

Wohl ihr!

Denn hier war ihres fernern Bleibens nicht.


Sie legt sie auf den Boden nieder.


DIE OBERPRIESTERIN.

Ach! Wie gebrechlich ist der Mensch, ihr Götter!

Wie stolz, die hier geknickt liegt, noch vor kurzem,

Hoch auf des Lebens Gipfeln, rauschte sie!

PROTHOE.

Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte!

Die abgestorbne Eiche steht im Stumm,

Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,

Weil er in ihre Krone greifen kann.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 106-120.
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