Fünfter Auftritt

[28] Penthesilea, Prothoe, Meroe, Asteria, Gefolge, das Amazonenheer.


DIE AMAZONEN.

Heil dir, du Siegerin! Überwinderin!

Des Rosenfestes Königin! Triumph dir!

PENTHESILEA.

Nichts vom Triumph mir! Nichts vom Rosenfeste!

Es ruft die Schlacht noch einmal mich ins Feld.

Den jungen trotz'gen Kriegsgott bändg' ich mir,

Gefährtinnen, zehntausend Sonnen dünken,[28]

Zu einem Glutball eingeschmelzt, so glanzvoll

Nicht, als ein Sieg, ein Sieg mir über ihn.

PROTHOE.

Geliebte, ich beschwöre dich –

PENTHESILEA.

Laß mich!

Du hörst, was ich beschloß, eh würdest du

Den Strom, wenn er herab von Bergen schießt,

Als meiner Seele Donnersturz regieren.

Ich will zu meiner Füße Staub ihn sehen,

Den Übermütigen, der mir an diesem

Glorwürd'gen Schlachtentag, wie keiner noch,

Das kriegerische Hochgefühl verwirrt.

Ist das die Siegerin, die schreckliche,

Der Amazonen stolze Königin,

Die seines Busens erzne Rüstung mir,

Wenn sich mein Fuß ihm naht, zurücke spiegelt?

Fühl ich, mit aller Götter Fluch Beladne,

Da rings das Heer der Griechen vor mir flieht,

Bei dieses einz'gen Helden Anblick mich

Gelähmt nicht, in dem Innersten getroffen,

Mich, mich die Überwundene, Besiegte?

Wo ist der Sitz mir, der kein Busen ward,

Auch des Gefühls, das mich zu Boden wirft?

Ins Schlachtgetümmel stürzen will ich mich,

Wo der Hohnlächelnde mein harrt, und ihn

Mir überwinden, oder leben nicht!

PROTHOE.

Wenn du dein Haupt doch, teure Königin,

An diesem treuen Busen ruhen wolltest.

Der Sturz, der dir die Brust gewaltsam traf,

Hat dir das Blut entflammt, den Sinn empört:

An allen jungen Gliedern zitterst du!

Beschließe nichts, wir alle flehen dich,

Bis heitrer dir der Geist zurückgekehrt.

Komm, ruhe dich bei mir ein wenig aus.

PENTHESILEA.

Warum? Weshalb? Was ist geschehn? Was sagt ich?

Hab ich –? Was hab ich denn –?[29]

PROTHOE.

Um eines Siegs,

Der deine junge Seele flüchtig reizt,

Willst du das Spiel der Schlachten neu beginnen?

Weil unerfüllt ein Wunsch, ich weiß nicht welcher,

Dir im geheimen Herzen blieb, den Segen,

Gleich einem übellaunigen Kind, hinweg,

Der deines Volks Gebete krönte, werfen?

PENTHESILEA.

Ha, sieh! Verwünscht das Los mir dieses Tages!

Wie mit dem Schicksal heut, dem tückischen,

Sich meiner Seele liebste Freundinnen

Verbünden, mir zu schaden, mich zu kränken!

Wo sich die Hand, die lüsterne, nur regt,

Den Ruhm, wenn er bei mir vorüberfleucht,

Bei seinem goldnen Lockenhaar zu fassen,

Tritt eine Macht mir hämisch in den Weg –

– Und Trotz ist, Widerspruch, die Seele mir!

Hinweg!

PROTHOE für sich.

Ihr Himmlischen, beschützet sie!

PENTHESILEA.

Denk ich bloß mich, sind's meine Wünsche bloß,

Die mich zurück aufs Feld der Schlachten rufen?

Ist es das Volk, ist's das Verderben nicht,

Das in des Siegs wahnsinniger Berauschung,

Hörbaren Flügelschlags, von fern ihm naht?

Was ist geschehn, daß wir zur Vesper schon,

Wie nach vollbrachter Arbeit ruhen wollen?

Gemäht liegt uns, zu Garben eingebunden,

Der Ernte üpp'ger Schatz, in Scheuern hoch,

Die in den Himmel ragen, aufgetürmt:

Jedoch die Wolke heillos überschwebt ihn,

Und den Vernichtungsstrahl droht sie herab.

Die Jünglingsschar, die überwundene,

Ihr werdet sie, bekränzt mit Blumen nicht,

Bei der Posaunen und der Zimbeln Klang,

Zu euren duft'gen Heimatstälern führen.[30]

Aus jedem tück'schen Hinterhalt hervor,

Der sich ihm beut, seh ich den Peleïden

Auf euren frohen Jubelzug sich stürzen;

Euch und dem Trosse der Gefangenen,

Bis zu den Mauern Themiscyras folgen;

Ja in der Artemis geweihtem Tempel

Die Ketten noch, die rosenblütenen,

Von ihren Gliedern reißen und die unsern

Mit erzgegoßner Fessel Last bewuchten.

Soll ich von seiner Fers, ich Rasende,

Die nun fünf schweißerfüllte Sonnen schon

An seinem Sturze rüttelte, entweichen:

Da er vom Windzug eines Streiches muß,

Getroffen, unter meines Rosses Huf,

Wie eine reife Südfrucht, niederfallen?

Nein, eh ich, was so herrlich mir begonnen,

So groß, nicht endige, eh ich nicht völlig

Den Kranz, der mir die Stirn umrauscht', erfasse,

Eh ich Mars' Töchter nicht, wie ich versprach,

Jetzt auf des Glückes Gipfel jauchzend führe,

Eh möge seine Pyramide schmetternd

Zusammenbrechen über mich und sie:

Verflucht das Herz, das sich nicht mäß'gen kann.

PROTHOE.

Dein Aug, o Herrscherin, erglüht ganz fremd,

Ganz unbegreiflich, und Gedanken wälzen,

So finster, wie der ew'gen Nacht entstiegen,

In meinem ahndungsvollen Busen sich.

Die Schar, die deine Seele seltsam fürchtet,

Entfloh rings vor dir her, wie Spreu vor Winden;

Kaum daß ein Speer sich noch erblicken läßt.

Achill, so wie du mit dem Heer dich stelltest,

Von dem Skamandros ist er abgeschnitten;

Reiz ihn nicht mehr, aus seinem Blick nur weiche:

Den ersten Schritt, beim Jupiter, ich schwör's,

In seine Danaerschanze setzt er hin.

Ich will, ich, dir des Heeres Schweif beschirmen.[31]

Sich, bei den Göttern des Olymps, nicht einen

Gefangenen entreißt er dir! Es soll

Der Glanz, auch meilenfernhin, seiner Waffen,

Dein Heer nicht schrecken, seiner Rosse ferner Tritt

Dir kein Gelächter einer Jungfrau stören:

Mit meinem Haupt steh ich dir dafür ein!

PENTHESILEA indem sie sich plötzlich zu Asteria wendet.

Kann das geschehn, Asteria?

ASTERIA.

Herrscherin –

PENTHESILEA.

Kann ich das Heer, wie Prothoe verlangt,

Nach Themiscyra wohl zurücke führen?

ASTERIA.

Vergib, wenn ich in meinem Fall, o Fürstin –

PENTHESILEA.

Sprich dreist. Du hörst.

PROTHOE schüchtern.

Wenn du den Rat willst gütig

Versammelt aller Fürstinnen befragen. So wird –

PENTHESILEA.

Den Rat hier dieser will ich wissen!

– Was bin ich denn seit einer Handvoll Stunden?


Pause, in welcher sie sich sammelt.


– – Kann ich das Heer, du sprichst, Asteria,

Kann ich es wohl zurück zur Heimat führen?

ASTERIA.

Wenn du so willst, o Herrscherin, so laß

Mich dir gestehn, wie ich des Schauspiels staune,

Das mir in die ungläub'gen Sinne fällt.

Vom Kaukasus, mit meinem Völkerstamm,

Um eine Sonne später aufgebrochen,

Konnt ich dem Zuge deines Heeres nicht,

Der reißend wie ein Strom dahinschoß, folgen.

Erst heute, weißt du, mit der Dämmerung,

Auf diesen Platz schlagfertig treff ich ein;

Und jauchzend schallt aus tausend Kehlen mir

Die Nachricht zu: Der Sieg, er sei erkämpft,

Beschlossen schon, auf jede Forderung

Der ganze Amazonenkrieg. Erfreut,[32]

Versichr ich dich, daß das Gebet des Volks sich dir

So leicht, und unbedürftig mein, erfüllt,

Ordn ich zur Rückkehr alles wieder an;

Neugierde treibt mich doch, die Schar zu sehen,

Die man mir als des Sieges Beute rühmt;

Und eine Handvoll Knechte, bleich und zitternd,

Erblickt mein Auge, der Argiver Auswurf,

Auf Schildern, die sie fliehend weggeworfen,

Von deinem Kriegstroß schwärmend aufgelesen.

Vor Trojas stolzen Mauern steht das ganze

Hellenenheer, steht Agamemnon noch,

Stehn Menelaus, Ajax, Palamed;

Ulysses, Diomedes, Antilochus,

Sie wagen dir ins Angesicht zu trotzen:

Ja jener junge Nereïdensohn,

Den deine Hand mit Rosen schmücken sollte,

Die Stirn baut er, der Übermüt'ge, dir;

Den Fußtritt will er, und erklärt es laut,

Auf deinen königlichen Nacken setzen:

Und meine große Arestochter fragt mich,

Ob sie den Siegesheimzug feiern darf?

PROTHOE leidenschaftlich.

Der Königin, du Falsche, sanken Helden

An Hoheit, Mut und Schöne –

PENTHESILEA.

Schweig, Verhaßte!

Asteria fühlt, wie ich, es ist nur einer,

Hier mir zu sinken wert: und dieser eine,

Dort steht er noch im Feld der Schlacht und trotzt!

PROTHOE.

Nicht von der Leidenschaft, o Herrscherin,

Wirst du dich –

PENTHESILEA.

Natter! Deine Zunge nimm gefangen!

– Willst du den Zorn nicht deiner Königin wagen!

Hinweg!

PROTHOE.

So wag ich meiner Königin Zorn!

Eh will ich nie dein Antlitz wiedersehen,

Als feig, in diesem Augenblick, dir eine[33]

Verräterin schmeichlerisch zur Seite stehn.

Du bist, in Flammen wie du loderst, nicht

Geschickt, den Krieg der Jungfraun fortzuführen;

So wenig, wie, sich mit dem Spieß zu messen,

Der Löwe, wenn er von dem Gift getrunken,

Das ihm der Jäger tückisch vorgesetzt.

Nicht den Peliden, bei den ew'gen Göttern,

Wirst du in dieser Stimmung dir gewinnen:

Vielmehr, noch eh die Sonne sinkt, versprech ich,

Die Jünglinge, die unser Arm bezwungen,

So vieler unschätzbaren Mühen Preis,

Uns bloß, in deiner Raserei, verlieren.

PENTHESILEA.

Das ist ja sonderbar und unbegreiflich!

Was macht dich plötzlich denn so feig?

PROTHOE.

Was mich? –

PENTHESILEA.

Wen überwandst du, sag mir an?

PROTHOE.

Lykaon,

Den jungen Fürsten der Arkadier.

Mich dünkt, du sahst ihn.

PENTHESILEA.

So, so. War es jener,

Der zitternd stand, mit eingeknicktem Helmbusch,

Als ich mich den Gefangnen gestern –

PROTHOE.

Zitternd!

Er stand so fest, wie je dir der Pelide!

Im Kampf von meinen Pfeilen heiß getroffen,

Sank er zu Füßen mir, stolz werd ich ihn,

An jenem Fest der Rosen, stolz, wie eine,

Zu unserm heil'gen Tempel führen können.

PENTHESILEA.

Wahrhaftig? Wie du so begeistert bist. –

Nun denn – er soll dir nicht entrissen werden!

– Führt aus der Schar ihn den Gefangenen,

Lykaon, den Arkadier herbei!

– Nimm, du Unkriegerische Jungfrau, ihn,

Entfleuch, daß er dir nicht verlorengehe,

Aus dem Geräusch der Schlacht mit ihm, bergt euch

In Hecken von süß duftendem Holunder,[34]

In der Gebirge fernsten Kluft, wo ihr

Wollüstig Lied die Nachtigall dir flötet,

Und feir' es gleich, du Lüsterne, das Fest,

Das deine Seele nicht erwarten kann.

Doch aus dem Angesicht sei ewig mir,

Sei aus der Hauptstadt mir verbannt, laß den

Geliebten dich und seine Küsse, trösten,

Wenn alles, Ruhm dir, Vaterland und Liebe,

Die Königin, die Freundin untergeht.

Geh und befreie – geh! ich will nichts wissen!

Von deinem hassenswürd'gen Anblick mich!

MEROE.

Oh, Königin!

EINE ANDERE FÜRSTIN aus ihrem Gefolge.

Welch ein Wort sprachst du?

PENTHESILEA.

Schweigt, sag ich!

Der Rache weih ich den, der für sie fleht!

EINE AMAZONE tritt auf.

Achilles nahet dir, o Herrscherin!

PENTHESILEA.

Er naht – Wohlauf, ihr Jungfraun, denn zur Schlacht! –

Reicht mir der Spieße treffendsten, o reicht

Der Schwerter wetterflammendstes mir her!

Die Lust, ihr Götter, müßt ihr mir gewähren,

Den einen heißersehnten Jüngling siegreich

Zum Staub mir noch der Füße hinzuwerfen.

Das ganze Maß von Glück erlaß ich euch,

Das meinem Leben zugemessen ist. –

Asteria! Du wirst die Scharen führen.

Beschäftige den Griechentroß und sorge

Daß sich des Kampfes Inbrunst mir nicht störe.

Der Jungfraun keine, wer sie immer sei,

Trifft den Peliden selbst! Dem ist ein Pfeil

Geschärft des Todes, der sein Haupt, was sag ich!

Der seiner Locken eine mir berührt!

Ich nur, ich weiß den Göttersohn zu fällen.

Hier dieses Eisen soll, Gefährtinnen,[35]

Soll mit der sanftesten Umarmung ihn

(Weil ich mit Eisen ihn umarmen muß!)

An meinen Busen schmerzlos niederziehn.

Hebt euch, ihr Frühlingsblumen, seinem Fall,

Daß seiner Glieder keines sich verletze.

Blut meines Herzens mißt ich ehr, als seines.

Nicht eher ruhn will ich, bis ich aus Lüften,

Gleich einem schöngefärbten Vogel, ihn

Zu mir herabgestürzt; doch liegt er jetzt

Mit eingeknickten Fittichen, ihr Jungfraun,

Zu Füßen mir, kein Purpurstäubchen missend,

Nun dann, so mögen alle Seligen

Daniedersteigen, unsern Sieg zu feiern,

Zur Heimat geht der Jubelzug, dann bin ich

Die Königin des Rosenfestes euch! – Jetzt kommt! –


Indem sie abgehen will, erblickt sie die weinende Prothoe, und wendet sich unruhig. Darauf plötzlich, indem sie ihr um den Hals fällt.


Prothoe! Meiner Seelen Schwester!

Willst du mir folgen?

PROTHOE mit gebrochener Stimme.

In den Orkus dir!

Ging ich auch zu den Seligen ohne dich?

PENTHESILEA.

Du Bessere, als Menschen sind! Du willst es?

Wohlan, wir kämpfen, siegen miteinander,

Wir beide oder keine, und die Losung

Ist: Rosen für die Scheitel unsrer Helden,

Oder Zypressen für die unsrigem.


Alle ab.
[36]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 28-37.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
Penthesilea
Penthesilea: Ein Trauerspiel. Studienausgabe
Penthesilea: Ein Trauerspiel
Penthesilea: Ein Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 2. Dramen 1808-1811. Penthesilea / Das Käthchen von Heilbronn / Die Herrmannsschlacht / Prinz Friedrich von Homburg

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon