Fünfter Auftritt

[218] Ein Normann tritt auf. Die Vorigen.


DER NORMANN dem Greise winkend.

Armin!

DER GREIS.

Gott grüß dich, Franz! Was gibt's?

DER NORMANN dem ersten Krieger, ebenso.

Marin!

DER ERSTE KRIEGER.

Bringst du was Neues?

DER NORMANN.

– Einen Gruß von Hause.

Ein Wandrer aus Kalabrien kam an.

DER GREIS.

So! aus Neapel?

DER ERSTE KRIEGER.

– Was siehst du so verstört dich um!

DER NORMANN die beiden Männer bei der Hand fassend.

Verstört? Ihr seid wohl toll? Ich bin vergnügt.

DER GREIS.

Mann! Deine Lipp ist bleich. Was fehlt dir? Rede!

DER NORMANN nachdem er sich wieder umgesehen.

Hört. Aber was ihr hört, auch nicht mit Mienen

Antwortet ihr, viel weniger mit Worten.

DER GREIS.

Mensch, du bist fürchterlich. Was ist geschehn?

DER NORMANN laut zu dem Volk, das ihn beobachtet.

Nun, wie auch steht's? Der Herzog kommt, ihr Freunde?

EINER aus dem Haufen.

Ja, wir erhoffen's.

EIN ANDRER.

Die Kaiserin will ihn rufen.

DER NORMANN geheimnisvoll, indem er die beiden Männer vorführt.

Da ich die Wache heut um Mitternacht,

Am Eingang hier des Guiskardszeltes halte,

Fängt's plötzlich jammervoll zu stöhnen drin,[218]

Zu ächzen an, als haucht' ein kranker Löwe

Die Seele von sich. Drauf sogleich beginnt

Ein ängstlich heftig Treiben, selber wecket

Die Herzogin sich einen Knecht, der schnell

Die Kerzenstöcke zündet, dann hinaus

Stürzt aus dem Zelt. Nun auf sein Rufen schießt

Die ganze Sippschaft wildverstört herbei:

Die Kaiserin, im Nachtgewand, die beiden

Reichsprinzen an der Hand; des Herzogs Neffe,

In einen Mantel flüchtig eingehüllt;

Der Sohn, im bloßen Hemde fast, zuletzt –

Der Knecht, mit einem eingemummten Dinge, das,

Auf meine Frag, sich einen Ritter nennt.

Nun zieht mir Weiberröcke an, so gleich

Ich einer Jungfrau ebenso, und mehr;

Denn alles, Mantel, Stiefeln, Pickelhaube,

Hing an dem Kerl, wie an dem Nagelstift.

Drauf faß ich, schon von Ahndungen beklemmt,

Beim Ärmel ihn, dreh ihm das Angesicht

Ins Mondenlicht, und nun erkenn ich – wen?

Des Herzogs Leibarzt, den Jeronimus.

DER GREIS.

Den Leibarzt, was!

DER ERSTE KRIEGER.

Ihr Ewigen!

DER GREIS.

Und nun

Meinst du, er sei unpäßlich, krank vielleicht –?

DER ERSTE KRIEGER.

Krank? Angesteckt –!

DER GREIS indem er ihm den Mund zuhält.

Daß du verstummen müßtest!

DER NORMANN nach einer Pause voll Schrecken.

Ich sagt es nicht. Ich geb's euch, zu erwägen.


Robert und Abälard lassen sich, miteinander sprechend, im Eingang des Zeltes sehn.


DER ERSTE KRIEGER.

Das Zelt geht auf! Die beiden Prinzen kommen![219]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 218-220.
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