Zweite Scene.

[144] Der Fremde kommt, in einen Mantel gehüllt, schleichend von der Seite. Faust.


FAUST.

Wer da?

DER FREMDE in einem Zustande der Vernichtung und wie von ausgestandenen heftigen Schmerzen sich erholend.

Ich bin's!

FAUST.

Was suchst du hier mich auf!

DER FREMDE mit tückischem grollenden Tone.

Ich hört' euch wüthen aus der Ferne her![144]

FAUST mit großem Nachdrucke.

Ich quälte – ihn!!

DER FREMDE grimmig.

Ihr seid ja ganz von Sinnen!

Was treibt ihr Tolles hier in dunkler Nacht?!

FAUST wie vorher.

Er unterlag mir!!

DER FREMDE fast ausbrechend.

Ha!! –


Langsam und schaudernd.


Was soll das Buch?

FAUST.

Der Höllenzwang!

FREMDER rasch und sichtbar erzitternd.

Thut es hinweg:

FAUST mit kühnem Ausdrucke.

Ha, nimmer!

Ich habe bis an's Ende mich gewagt,

Den fürchterlichsten Zeichen Trotz geboten,

Und den Verfluchten selbst heraufgebannt,

Und eng in meine Kreise eingeschlossen,

Daß er vor mir erbebte, und sein Heulen

Im Donnersturm bis zu dem Himmel tobte![145]

Wie einen Erdwurm zwängte ich ihn ein,

Und unter meinem Fußtritt mußt' erzittern

Der Geist des Abgrunds selbst!!


Hoch übermächtig.


Ich thats – der Faust!!

FREMDER wüthend in sich hinein.

Ha, Fluch und Feuer!

FAUST auf ihn aufmerksam werdend.

Was durchbebt dich so?

Scheinst du doch wie zermalmt und aufgelös't!

FREMDER.

Ein – wildes Fieber ward so meiner Meister;

Es hat mich durchgeschüttelt! – Brr! – – Ich denk's ihm!!

FAUST.

Doch, wo ist sie?

FREMDER.

Wen meint ihr?

FAUST.

Ha, was fragst du?

Giebt's außer ihr für mich noch eine zweite! –


Düster werdend.


Die zweite – mein' ich – liegt im blassen Schlummer,[146]

Und weckt die Eifersucht wohl nimmer wieder –;

Und mit ihr schläft noch ein's – – die zweite

Sünde!

Zwei kostet sie mich!

FREMDER.

Pah! Welch reicher Mann!

Ich steh schon an der vierten, und bin ruhig!

FAUST tiefsinnig.

Hätt' ich's geahnt – – es wäre nie geschehen! –

Mein weißes Bräutlein – wolltest für mich brennen –

Du stille Liebe – – könnt' ich dich erwecken!! –


Heftig.


Verfluchter Mensch! – die Blume und die Knospe –

Den Engel erst und dann das Mütterlein!

FREMDER.

Sprecht lauter! Ich moralisire mit!

FAUST auffahrend.

Ha, hui denn! – Geschehen ist geschehen!

Ist doch die Feuerbraut nun reich bezahlt! –

Wo ist sie?

FREMDER mit scharfer Betonung.

– Sie?[147]

FAUST wild.

Nun – in des Teufels Namen!

FREMDER.

Seid nicht so toll! – Man bringt – sie bald vorüber!

FAUST.

Wo?

FREMDER.

Hier!

FAUST.

Hier geht der Weg zum Todtenacker!

FREMDER.

Die Wege führen alle zu den Todten!

FAUST dumpf.

Wohlan, hier hab' ich sie gerächt!

FREMDER.

Helenen?

FAUST sich besinnend.

Die Todte! – Sprachst du eben nicht von Todten?

FREMDER.

Von – ihr! – –


Langsam und schleichend.


Zwei Sünden, meintet ihr vorhin? –[148]

FAUST wild.

Ich habe ihn dafür in Staub getreten!

FREMDER heimlich scheu.

Gebt mir – das Buch doch!!

FAUST.

Nein, das laß' ich nicht!

FREMDER.

Die schwere Kette macht's euch unbequem!

FAUST zerstreut.

Nie fremder Hand –

FREMDER lächelnd.

Sind wir doch Feuerbrüder!

Und sollt' es hier nun zu umarmen geben –

FAUST hastig.

Sie kommt gewiß –?

FREMDER nickend.

Dann wird das Buch euch lästig!

Drum –

FAUST wie vorher.

Wann?!

FREMDER tückisch.

Sie ist schon auf dem Wege! – Gebt!


Er nimmt das Buch rasch.
[149]

FAUST.

Bewahr' es wohl!

FREMDER wie vorher.

Ihr könnt euch drauf verlassen!


Mit scharfem Nachdrucke.


Auf fröhlich Wiedersehn! – ich hoffe, bald!!


Er verliert sich in die Nacht.


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 144-150.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon