Erste Szene


[917] Franz. Julie.


FRANZ. Meine Minna!

JULIE. Soll ich so heißen?

FRANZ. Auch so meine Julie, und meine Minna. Ich bin dein Tellheim. Lose, wie hast du mich geneckt? Eben das mutwillige Mädchen, aber immer – ich sah doch, wie dein Herz durch die Augen sagte, glaub's nicht, Tellheim! Ich mußte denn nun den Komödianten machen.

JULIE. Haust du ihn nie gemacht, Tellheim!

FRANZ. Meine Minna!

JULIE. Ich wollte, du wärst nie Tellheim gewesen, oder vielmehr du solltest du nicht sein! o Franz!

FRANZ. Was stört deine Ruhe, traute Liebe?[917]

JULIE. Sei edel, Franz; du bist's; bleib's! Ich geb dir mein alles, meine warme, unverfälschte Liebe. Nun sieh, wie edel du sein mußt, da du das alles hast. Ohne Mißtrauen bin gegen dich. Möchtest du einem Mädchen, das so mit dir redet – Franz, du hast mein Herz, sei edel!

FRANZ. Gib mir's, gib mir's, wie du meins hast! Laß mich fühlen den ganzen Umfang des himmlischen Glücks! Sei ohne Sorge; kann der, der dich liebt, der sich deinem heiligen Wesen naht, kann der was begehen, das dich nur einen Augenblick betrüben sollte? Liebe, was sind Beteuerungen, Schwüre?

JULIE. Was sind die? ich kenne dich.

FRANZ. Mein Blick muß dir alles sagen. Ich kann nicht beteuren, mein Gefühl leidt's nicht. Wie kann ich so was beteuren? Mein Herz ist dein; ich kann dir nichts sagen, als, ich lebe durch dich. Leb jetzo erst.

JULIE. Ich glaub dir. Wie doch alles wunderbar ist! Franz, ich konnte die Liebe auf meiner Harfe wegspielen, wie eine leichte Sorge. Sie muß es wohl nicht gewesen sein.

FRANZ. Ich komme –

JULIE. Du Stürmer du! da stellt er sich vor einem hin, redt kein Wort, und redt doch tausendmal mehr als die andern alle. Und zwischen der Komödie kommt er – – geh, ich bin dir doch nicht gut; so auf einen Wurf; das verliebteste Mädchen hätte länger standgehalten. Nicht wahr, Franz, ich hätt mich nicht sogleich ergeben sollen, es wär dir selbst lieber gewesen? Ich wette drauf, Tellheim, es wär dir lieber gewesen, hätt sich deine Minna nicht sogleich ergeben?

FRANZ. Mutwillige!

JULIE. Was das für ein gutes Mädchen sein muß! Nun wie er da sitzt, mir ins Aug sieht! Ich darf mir wohl in die Augen sehen lassen. – – – Ich mag doch nicht.

FRANZ. Das Seelenvolle, das hier liegt, hier in den schwarzen Augen. Meine Augen auf deine gerichtet – kann ich das sagen? Engel! ich habe dich gefunden, ich habe den Traum gefunden, der immer vor meiner Seele stund.

JULIE. Ich muß dem Strom ein Ende machen. Franz, ich singe. Nimmt die Harfe. Parto, parto amato ben mio.

FRANZ. Warum denn das?

JULIE. Es ist gut gesetzt.

FRANZ. Sing's nicht!

JULIE. Ich sah dir's an den Augen an. Da ist ein andres. Del suo[918] gentil – nein behüt! Herr Franz, Er säße dabei, und ließ mich so was singen. Nun wundert Er sich. Wenn lesen wir wieder im Petrarka? Erst das Stück im Metastasio.

FRANZ. Täglich, täglich, solang ich hier bin. Der Lehrmeister darf doch kommen? Erlaubt's der Papa?

JULIE. Der wohl; ich bitt mir aber sehr aus, daß nur der kommt. Der Petrarka taugt nichts für uns, seh ich wohl, und Seine »Héloïse« kann Er auch wieder holen lassen. Ich und Julie trennten uns, sobald ich an den Brief kam, mourons, mourons ma douce amie!

FRANZ. Schilt mir das Buch nicht! Es ist das einzige von den vielen – und ist von meinem Rousseau.

JULIE. Was geht mich das an? Ich hab's ganz gelesen, sei nur zufrieden! Der Lehrmeister kommt denn.

FRANZ. Versteht sich. Schelm!

JULIE singt.

Mi lagnerò tacendo

Del mio destino avaro,

Ma ch'io non t'ami, o caro

Non lo sperar da me.


Crudele, in che t'offendo

Se resta a questo petto

Il misero diletto

Di sospirar per te?

FRANZ. Mehr, mehr Harfenklang, und Engelstimme!

JULIE. Nun, noch was, Franz. Wenn du geschickt wärest.

FRANZ. Gestrenge, was soll ich tun? Macht über Leben und Tod hast du in deinen Händen.

JULIE. Wenn du geschickt wärst, wollt ich dir was geben.

FRANZ. Was soll ich tun? alles – nur nicht –

JULIE. Still nur, das will ich dir in die Tasche stecken, greif nicht darnach, bis zu Haus! Es ist nur, daß du dich meiner erinnerst!

FRANZ. Was das wieder geredt ist; als wenn das nicht mein einziger Gedanke wäre?

JULIE. Ich lieb so was, daß man einem eine Kleinigkeit zum Andenken gibt. Ein Ort sogar, an welchem ich einmal mit einer lieben Person war, macht mir immer wieder eine süße Stunde, komm ich dahin. Wie draußen, Franz, im grünen Hüttchen auf der Rasenbank.[919]

FRANZ. Nun begegnen wir uns; das ist mir immer heilig. Und da denk ich so an die lieben Altväter, wie die einen simplen Stein aufrichteten zum währenden Denkmal, dabei sagten, »hier war mir der Herr gnädig«; die Nachkommen die Kinder hinführten, denen die Erinnerung heilig ward, und sich immer fortpflanzte. Da kann ich nun so ganz gegenwärtig bei sein, mich im stillen freuen über die edle werte Einfalt. Und hab ich so was, Minna! Ich hab ein Gläschen von dir, und wenn ich daraus trink, ist alles heilig um mich.

JULIE. Ich merkte es wohl, daß du's wegnahmst.

FRANZ. Minna, das sind doch Stunden, die man so lebt, wofür der heißeste Dank zu wenig. Wahrhaftig, des Menschen Leben ist ein Himmel, wenn er damit umzugehen weiß, und die guten Stunden nutzt. Mich ficht nun alles nicht an. Trag alles leicht, und hier liegt's doch bloß an uns, ob wir genießen und fühlen wollen. Vergällten sich die Menschen die guten Stunden nicht so oft, sie würden denn das Leben erst zu schätzen wissen.

JULIE. Ich war auch immer so ein närrisch Ding, ließ mich von jedem leichten Windchen irremachen, man lernt's erst nach und nach schätzen, Lieber! Werd ich denn die Szene bald bekommen, die du mir versprachst aus deinem Shakespeare zu übersetzen? Von Romeo und Juliette mein ich.

FRANZ. Ich will sie diese Nacht noch machen. Wenn so alles in mir ruht, ich dich im stillen ganz in meinem Busen trag, und du vor mir stehst. Denn sondre ich uns beide von aller Welt ab, vergeß alles Necken und Lärmen, das ich Tag über tragen mußte, schau nach dem Mond und meinen lieben Sternen; denke, vielleicht sieht jetzt deine Liebe hin, winke dir –

JULIE. Tust du das?

FRANZ. Die Gemeinschaft, die darinnen liegt –

JULIE. Lieber Franz, alle Abend tu ich das, und ich denk immer, vielleicht sieht dein Franz jetzt hin. Da kann ich weinen, ich weiß nicht, wie's kommt, aber ich kann weinen!

FRANZ. Sanfte Liebe, kannst du das? Willst du diesen Abend nach dem Mond sehen? Gegen elfe geht er auf. Willst du hinsehen? Der heutige Tag verspricht Mondhelle und Sternenhimmel.

JULIE. Ich will. Ich werde dich dort sehen, meine Harfe nehmen, und dir ein feierliches Lied singen. Gegen elfe such ich dich dort.

FRANZ. Sobald er dasteht, und alles heilig – ich schau nach dir.[920]

JULIE. Adieu, Lieber! sei gut, Lieber!

FRANZ. Ich müßte dich nicht gesehen haben.

JULIE. Nimm leichtes Blut; laß dich alles nicht so stark angehen! du machst dir und allen Verdruß, die dich lieben.

FRANZ. Lebe wohl!


Küßt sie.


JULIE. Gegen elfe such ich dich.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 917-921.
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