Erster Auftritt

[940] Ein Zimmer.

Guelfo. Grimaldi.

An einem Tisch mit Weinflaschen und ein Buch vor sich aufgeschlagen.


GRIMALDI. Guelfo, du bist auf einmal wieder sehr wild ernsthaft geworden. Ich bitt dich, verscheuch diesen starren in sich nagenden Blick mit einigem Lächeln, das deiner großen Miene mehr Zierde gibt.

GUELFO. Still und trink!


Geht auf und nieder.


GRIMALDI. Soll ich weiterlesen in Brutus' Leben?

GUELFO. Nein, ich hab's nun sehr genung. Laß mich das zusammenrechnen, was ich gehört habe. Cassius, Grimaldi! Cassius!

GRIMALDI. Du nennst ihn ebensooft, als du sonst eine gewisse Donna nanntest. Gilt der mehr bei dir, als Brutus?

GUELFO. Das glaub ich. Was in dem Menschen lag! Oh! wenn du mir jeden Tag einen solchen Charakter aufstelltest, Grimaldi! Du solltest der einzige Mensch sein, den ich liebte.

GRIMALDI. Und ich wär der einzige Mensch auf Gottes Boden, der am meisten litte. Ich zieh mir den Brutus vor.[940]

GUELFO. Ich fühl den Cassius näher. Und Grimaldi, darauf kömmt's doch an. Wieviel gewinnt der Maler, wenn er mir ein Gemälde hinstellt, wofür ich den Spiegel in mir habe. Mir geht's in allen Fällen so. Ich kann eigentlich den nur recht durchschauen, ganz meinem Herzen nachfühlen und bestimmen, der am meisten mit mir übereinkömmt; der meine Seele so trifft, daß ich gleich das Reißblei nehmen möchte, ihn lebendig hinzuwerfen. Deswegen gewinnen bei mir Dichter und Geschichtschreiber so selten. Hu, hagrer Cassius! Mir ist's, als stieg er vor mir auf. Ich werd diese Nacht unruhig schlafen.

GRIMALDI. Ich will dir mehr lesen.

GUELFO. Das tu doch! Den Pyrrhus.

GRIMALDI. Wenn du mir nur nicht so bang machtest! nicht so oft im ängstlichen Schlummer fürchterlich träumtest und riefst!

GUELFO. Wen ruf ich, Grimaldi?

GRIMALDI. Ferdinando – wie man einen Todfeind ruft.

GUELFO. Ha! da! meinen Bruder! Grimaldi, nimm den Stammbaum, streich seinen Namen durch, und denn reiß ihn hier weg. Trink dem Cassius zu! Ich wollt ihn malen, den hagren Cassius!

GRIMALDI. Das wollt ich auch.

GUELFO. Du? wenn's Juliette wäre.

GRIMALDI. Guelfo! nur diesen Namen nicht, wenn du meine Augen trocken sehen willst.

GUELFO. Du wolltest den Cassius malen? Wie machtest du das?

GRIMALDI. Ich wollte Ferdinando rufen – den Guelfo ansehen, fest, ohne Zittern, das einen Furchtsamen, wie mich, viel kostet; wollte diesen Blick nehmen, diese Farbe, diese lebenden Muskeln – he, Guelfo?

GUELFO. Willst du mich stolz machen? Trink, Grimaldi! Wacker! Trinken. Ich trink zeither gern. Der Wein ist doch gut?

GRIMALDI. Sehr gut, wenn du freundlich siehst.

GUELFO. O Grimaldi, wenn der Wein nicht wäre! Ohne ihn hätt's das Wilde, Ungestüme meines Herzens lang mit mir zu Ende gebracht. Ich kann's mit nichts so gut unter mich bringen, als wenn ich mich nach und nach in Schlaf trinke. Und Grimaldi, das sind meine besten Stunden, die vorhergehen; wenn der süße Geist des Weins meine Nerven einschmeichelt, sich der milde Geist auf mich herabläßt, und mich mit seinen[941] sanften balsamischen Fittichen deckt. – Laß ihn sprudeln! Unter mich, Teufel!


Trinken.


GRIMALDI. Es ist ein herrlicher Trunk; aber, Guelfo, mich macht er düsterer und trauriger. Nu seine Wirkung in Betracht deiner?

GUELFO. Recht, Grimaldi. Ja, wenn's auch immer so bei mir ginge. Aber selten, selten! O es hitzt mein Blut zu oft, und treibt mir die Würggedanken mit einem Feuer durch die Adern, daß sie schwellen, und mir für mich selbst bange machen. Wenn mir so dies und jens unter dem Trinken einfällt, wobei ich denn gewöhnlich schneller trinke, endigt sich's zu oft mit einer Wut, die Blut heischt – Laß nur! wir wollen ihr schon noch zur Gnüge geben!

GRIMALDI. Steh uns Gott bei! wenn du so bist. Kaum sind's acht Tage, schmißt du mich an Boden, daß meine Gebeine zusammen rasselten. Und das bloß, weil deine verkehrt stehende Augen einen andern in mir zu sehen glaubten. Und wenn ich der Schreckszene gedenke –

GUELFO. Was ist das? Eine Schreckszene? Ich hör gern so was.

GRIMALDI. Als du den Della Forza durch die Lunge schossest, um seine Marter zu verlängern.

GUELFO. Sieh da! das hätt ich fast vergessen.

GRIMALDI. Nu, wer auch das vergißt!

GUELFO. Ich verbitte mir alle Bemerkungen. Erzähl mir's, es tut mir gut itzt. Noch so weiß ich, wie er die Augen drehte, und sich in Staub wälzte. Was hatt ich doch mit ihm?

GRIMALDI. Das erste war, daß er deinen Bruder bei dem Herzog herausstrich – Du wirst zu ernsthaft.

GUELFO. Trink und red fort, ohne dich um mein Gesicht zu kümmern.

GRIMALDI. Daß er deiner nicht mit einem Worte dachte, ob du schon in der Antichambre standest, und alles hören konntest.

GUELFO. Itzt fällt mir's nach und nach wieder ein. Ha! das hetzte mich grimmig.

GRIMALDI. Das zweite war, daß der Herzog deinen Bruder allenthalben zu haben suchte, und, noch mehr, ihm die reiche und schöne Gräfin Camilla verschaffte, die er nie kriegt hätte. Guelfo! Guelfo! faß dich! Camilla, die der rauhe Guelfo liebte, die der süße, empfindsame, kluge Ferdinando wegschnappte. Ein herrliches Geschöpf, die Camilla! Sie soll leben!

GUELFO. O Grimaldi! Grimaldi! Du tust meinem Bruder treffliche[942] Dienste. Drückt ihm die Hand und umfaßt ihn. Erzähle weiter!

GRIMALDI. Nur schone mich mit deinen Liebkosungen; ich bin zu schwach, in Guelfos starkem Arm zu liegen. Zu Venedig küßte Della Forza Gioconda; du verbotst es ihm, er tat's doch –

GUELFO. Begegnete mir höhnisch, und ich knallt ihn nieder. Die Geschichte tat mir damals sehr gut. Sie wickelte mir die Galle los, die mich nach und nach erwürgt hätte. Trink, Grimaldi! Deine Augäpfel ziehen sich ja schon mächtig in die Länge.

GRIMALDI. Und hier der aufgeworfne Zug an deinem Munde schwillt grimmig. Deine Augenbraunen senken sich noch tiefer – Du wirst immer mehr Cassius.

GUELFO. Schwinde immer mehr zusammen, und mein Bruder reitet auf dem Adler über mich hinaus. Aber herunterreißen will ich ihn, will ihn im stolzen Schwung haschen, und niederschmettern! Kriechen soll er bei der Erde, und ich will schweben! Zittre, Grimaldi! und ich will dich packen, dürres Geripp! Dich an Boden schmettern! Blaß sollt ihr alle stehen, bricht Guelfos Zorn los, der mich hinreißt, wie der hohe Sturm. Weg dann! ich bin nichts, nichts! schlag auf mein Herz – und nichts! Wenn ich seine Titel hinschreibe, schmier ich einen Bogen voll. Schreib ich mich gegenüber, heißt's – Ritter Guelfo, mit einem Einkommen von 500 Dukaten. Hörst du, Grimaldi! hier die großen Exzellenzen, die Gouverneurs, der Herr von des alten Guelfos fetten Gütern. Nicht so viel Land ist mein, als ich mit meinem Degen übermessen kann. Und warum denn nun? Grimaldi, warum hab ich nichts, und er alles? Such's in deinem Gehirn auf, bleicher Strudelkopf!

GRIMALDI geht ans Klavier und spielt wechselsweise einige sanfte und starke Passagen.

GUELFO. Dich und dein Instrument in die Tiber, Schwärmer! Was willst du mich locken, daß meine Seele auf diesen Saiten schwebe? Daß ich den Guelfo vergesse?

GRIMALDI spielt wie oben.

GUELFO. Grimaldi! starke, dumpfe, rasche Töne! Meine Nerven zittern einen Ton, deine Saiten springen, wenn du ihn anschlägst. Hör auf! Wirf mich nicht so nieder, Grimaldi!

GRIMALDI endigt stark.

GUELFO. Diesen Ton verstund ich.[943]

GRIMALDI. »Brutus, du schläfst! Brutus, du schläfst!« riefen alle, und trafen Brutus' Geist, schrieben's ein mit Feuerflammen. Cassius rief auch: »Brutus, du schläfst!« Brutus überdacht's bei Donner und Blitz, es reifte, Cäsar lag.

GUELFO. Ha, mein freundlicher Grimaldi? Dies ist die Erklärung deiner letzten Töne? Was soll's heißen?

GRIMALDI. Du verstehst mich, Guelfo! Es soll wenig heißen; so viel, wenn du doch willst – – Guelfo, ich weiß selten, was ich selbst will – Nun dann! Nimm's so! Guelfo, schweb auch! es breite sich dein starker Geist aus, heb sich über ihn! Jag mit dem Bruder zum blinkenden Ziel! was kömmt auch drauf an, wenn du ihm im Ringrennen ein Bein unterstellst, daß du hoch am Ziel schwebest! Tat er's doch auch, und oft, oft! Aber nur die Nase muß er sich blutig fallen, Guelfo, mehr nicht; sonst wär's unbrüderlich. Mehr nicht, und du schwebst oben! Ha, mein Guelfo, du schwebst, der Wein blinkt! Siehst du, Guelfo – auf mich wollte einstens ein ungeheurer Berg stürzen, ich hatte noch Stärke und frohen Mut, ich faßte ihn an der Wurzel, schob ihm ein Sandkorn unter. Er stund, drohte, und stund. Ich hatte Glauben, Guelfo! Wenn du Glauben hättest – oh! mit der schwarzen Melancholie und der traurigen Phantasie, die mich zerarbeitet! Ich schwitze und schrumpfe zusammen – Guelfo! Ritter Guelfo!

GUELFO. Grimaldi, dein Herz liegt mir über verschiedne Punkte verdeckt. Aber herausreißen will ich's, wie's in deinem Innern liegt. Aufgedeckt will ich lesen, ob das bloße Raketen sind, die nur manchmal beim Wein aufsteigen, und zerknallen; oder ob das Festigkeit, Größe und Entschluß ist? Itzt siehst du wieder so kleinlaut – trink! trink!

GRIMALDI. Guelfo, dir fehlt nichts, als Glauben an dich, und du bist ein gemachter Mann, der alles mit Gewalt nach sich zieht. Sieh, ich bin ein zusammengedrückter, gewürgter Wurm, der sich kaum aufwenden kann, so haben ihn Menschen in Kot gestampft, wohin er sich wandte. Und das all ist so scharf durch meinen sonst emporschwebenden Geist gefahren, hat so unedel alle große Triebe verschlungen, und das Feuer verkältet, daß mit mir nichts anzufangen ist. O Guelfo! es war eine blühende Zeit – ich kann itzt nichts, als mein Herz nach und nach aufreiben, und hassen mich und alles. Für mich ist Natur und Leben tot, weil man mir den Sinn dafür unfreundlich tötete. In meinem Leben möcht ich mich an einem rächen,[944] mich dann in mein Kissen hüllen, und mit Wollust sterben. Sieht durchs Fenster. Dort kömmt eine Chaise her!

GUELFO. Es wird der Doktor Galbo sein, ich ließ ihn rufen.

GRIMALDI. Hast du noch nichts entdeckt? – Adieu, Ritter Guelfo! Der traurige Mantel der Melancholie hat sich um mich geschlungen, ich will weinen. Adieu! Gib mir deine Hand! Adieu!

GUELFO. Mensch! Mensch! Du machst mich rasend mit deiner Zweideutigkeit. Merk dir das! Wo ich dich erwische, will ich's aus dir herausziehen, und hingen die Gedanken mit Haken in deiner Seele. Du sagst zuviel und zuwenig.

GRIMALDI. Ich schlaf die Melancholie weg. Und dann ruf ich diese Nacht, wie Cassius – »Brutus, du schläfst!«


Geht ins Nebenzimmer.


GUELFO. Was hilft das nun all, wenn ich mir mit geballter Faust vor die Stirne schlag und mit den Winden heule – droh und lärme, und bei alledem nur Luftschlösser, Kartenhäuser baue! Der Junge wird gekost, geleckt, geliebt, von Vater und Mutter, und ich steh allenthalben in der Rechnung ein garstiges Nichts. Guelfo! Guelfo! – Nichts lautet närrischer, als wenn ich mir selbst rufe. Guelfo! He dann, Guelfo! Stampft. Mein Blut wird heiß, mein Zorn drängt sich hervor.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 940-945.
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