Vierter Auftritt

[952] Alter Guelfo. Vorige. Hernach ein Bedienter.


AMALIA zum Vater. Guelfo, dein Sohn ist gut und sanft. Ich versichre dich, der Ritter war nie so lieb. Komm, lieber Guelfo, du sollst sehen, daß man dem Ritter viel Unrecht tut. Er ist ein herrlicher Junge, unser Guelfo, ein tapferer Ritter, dem keiner steht. Sieh ihn an, Vater! Hast du einen in Italien gesehen, der ihm gleicht? Ein bißchen wild ist mein Guelfo; aber das gibt sich: und Tapferkeit, sagt man, ist wild. Nicht, mein Guelfo?

ALTER GUELFO. Das wär was! Nun denn, Ritter, wende dich zu mir! Gib mir deine nervigte Hand, Sohn! Denk immer, daß du ein Sohn des berühmten Guelfo bist, das ich dir nicht genug sagen kann! Denk, daß wir viele Feinde haben; deine Faust kann sie schrecken, denn du bist fürchterlich berühmt im Streit. O mein Ferdinando! mein Guelfo! zwei starke Pfeiler meines beneideten Hauses, auf denen der Alte in Friede ruhen kann, fest und geschützt. Meine Ernte in Krieg und Verteidigung ist getan; ich habe mich hingestreckt, träume meine Jugend, und seh euch zu. Da stehen sie, Guelfo ein Felsen im Meer, und Ferdinando, der mehr durch Klugheit gewinnt, weil er stiller ist, reifer überlegt, und seinen Vorteil absieht.

AMALIA. Und Guelfo?

ALTER GUELFO. Wenn du edel bist, Guelfo, deine Wildheit zum Guten lenkst, deine Tapferkeit von Ferdinandos Klugheit leiten läßt, soll unser Haus bald ein Herzogtum blühen. He, Guelfo?

GUELFO. He, Guelfo! He, Herzog Ferdinando! He, Guelfo!

ALTER GUELFO. He, Ritter Guelfo!

AMALIA. He! Freude! Und mein starker Sohn Guelfo noch General! Das muß er werden. Hat er sich nicht rechtschaffen gehalten, daß ihn alle neiden? Trägt er nicht eine große Wunde unter dem Orden, die ihn mehr ziert, als der Orden? Noch einmal, ein herrlicher Junge, mein Guelfo, wenn er seine Mutter liebt, und still ist!

ALTER GUELFO. Amalia, ist das des Kinds Blick? Es kocht was in ihm! Sieh den Drachenblick! Guelfo!

AMALIA. Geh doch! laß doch! Wer weiß, was dem Guelfo ist! Er ist krank.

ALTER GUELFO. Nein doch! Ich muß sehen, wie sich Leidenschaften[952] bei meinen Kindern zeichnen. Was beißt er die Zähne? was zieht er die Faust zusammen? was wölkt sich die Stirne? So steht man vorm Feinde. Mann, dein Gesicht gefällt mir nicht.

GUELFO. Dann gebt mir eine Larve!

ALTER GUELFO. Ha! Das ist die schändlichste Larve, die du itzt trägst.

AMALIA. Er ist krank, sag ich, es schmerzt ihn was. Geh doch, Guelfo! Reit dem Sohn und der Braut entgegen! Geh doch! ich will ihn sanft machen, er ist gar willig, wenn ich allein um ihn bin.

ALTER GUELFO. Nein doch! Guelfo! sieh deines Vaters Angesicht – Blickt ich dich so an, du solltest mich hassen. Was soll ich tun?

GUELFO. Den Guelfo hassen, wie du tust.

ALTER GUELFO. War das Guelfos zweiter Sohn?

GUELFO. Guelfos Narr!

AMALIA. Guelfo, geh doch! Laß es hiermit! Guelfo wird gut; du weißt, daß das seine Krankheit ist.

ALTER GUELFO. Fluch dir, Guelfo! wenn du so siehst.

GUELFO. Fluch mir! wenn ich anders seh.

AMALIA. Segen Guelfo, wenn er noch wilder sieht. Hinaus, Alter! Will keiner gehen? Beide heiß, wie Feuer! Vater! Sohn! Heda! ich schwaches Weib will euch Wütende abhalten. Wart! ich will meine Schnürchen abreißen, und euch anheften, weit voneinander. Ich bin ein schwaches Weib, will mich an dich hängen, Alter! Keiner soll des andern Stirne sehen. He Guelfo! Wirft ihm ein Tuch aufs Gesicht. ich will dein wildes Gesicht decken, das ihn erzürnt. Blickst mir doch gut zu, mein Sohn!

GUELFO. Laßt es! Seid getrost, Mutter! Ihr sollt des Guelfos loswerden, den Ihr zugrunde gerichtet, den Ihr bei der Geburt zugrunde gerichtet habt!

ALTER GUELFO. Ein böser Geist redet aus dir! Du hast den Würgteufel, der Vater und Mutter nicht schont. Die Sorge für dich riß mich von den Feinden, als ich den erfochtenen Sieg nutzen wollte. Du bist mein Sohn nicht.

GUELFO. Sagt das noch einmal, ich bin Euer Sohn nicht.

ALTER GUELFO. So nicht.

GUELFO. Los von Vater! – Mutter, bin ich dein Sohn?

AMALIA. Mein Sohn? Still! still! Ihr endet mit mir!

GUELFO. Ha dann! von euch beiden los! entsagt! Hast du noch[953] etwas, berühmter Guelfo? – Ich hab's gehört, und das zittert mir in der Seele – Ich bin Guelfos Sohn nicht! Gott, du hast's gehört! Ich bin Guelfos Sohn nicht. Ich hab's gehört, wie Guelfos Fluch den Bastard Guelfo traf. Kniet. Hier knie ich und schwör dir ab – schwör dir ab, ich bin dein Sohn nicht, grauer Guelfo! bin dein Sohn nicht, sanftes Weib! Nun dann! ich ziehe mein Schwert, und beginne den Schwur – Ich armer Ritter Guelfo – laßt eure Träne nicht um mich in Staub fallen! mischt sie mit Ferdinandos Freudentränen! – Ich armer Ritter und Bastard –

ALTER GUELFO indem sie ihm beide um den Hals fallen. Du bist mein Sohn! mein lieber Sohn.

AMALIA. Du sollst mein Sohn sein, und wenn du mir das Herz noch mehr bluten machtst! und wenn du mir den bittern Todeskelch reichtest! Du bist mein Sohn! mein Guelfo! den ich unter meinem Herzen trug, ihm freudig entgegenweinte, eh ich ihn sah! bist mein Guelfo!

ALTER GUELFO. Tausend väterlichen Segen für den zu raschen Fluch, mein Sohn! Sei deines Hauses Zierde!

GUELFO. Ihr spielt mit mir – mißbraucht mich! Wohl dann! ich will's sein – kann ich's sein.

AMALIA. Laß du die Tränen fallen vom Aug, alter Guelfo! Sie zieren dich. Und laß sie uns mischen mit Freudentränen! O Guelfo, sei der Mutter Lust! – Sagt ich dir nicht, der Ritter ist gut; du kennst ihn nicht, wie ihn die Mutter kennt. Sieh gut, Sohn!


Während daß Amalia spricht, bringt ein Diener dem alten Guelfo einen Brief, er liest.


ALTER GUELFO. Erschrecklich! Ich hab dir meinen Segen geben, ich hab dir meine Tränen geben – und da – und da – lies! lies! – Was zitterst du, Weib? Hinaus! ich will dich hinausstoßen und da –

AMALIA. Und da ist mein Sohn, der soll mich schützen für Guelfos Grimm.

ALTER GUELFO. Und er hat den Mann gepeitscht, daß er auf den Tod liegt – den Mann, der seinen vielen Kindern Brot gab. Er hat sie hingebracht, Hungers zu sterben! zu laufen in die Wildnis! Ich gab ihm meinen Segen, weinte ihm meine Tränen. Ha! ich will meine Augen ausreißen, weinen sie noch einmal über Guelfos zweiten Sohn! Hast du gelesen?

GUELFO. Ich tat's; ja doch, ich tat's. Ich schüttle mich, und Guelfo nehm seinen Segen und trag ihn über Ferdinando! Verdient[954] das Fluch? Ich peitschte meinen Pachter, weil er mir das Reh stahl – das schönste Reh im Forst; peitschte ihn, weil er meinen Hund stach, daß er starb. Wer will Rechenschaft?

AMALIA. Tat er das?

GUELFO. Ob er's tat? Lügt Ritter Guelfo? – Wart einen Augenblick, alter Guelfo! Sucht im Schreibtisch. Hier ist die Abtretung des Guts; und so zerreiß ich sie. Nimm's nun, gib's dem Erstgebornen! Hier hast du deinen Segen; gewirkt hat er noch nichts. Nimm's, nimm alles! Hier steh ich ohne alle Ansprüche. Nimm, daß ich kahl werde! Heda! Ritter Guelfo! leg deinen Degen an, und zieh gegen die Türken! Was fehlt dir noch? Du bist reich mit deinem Herz und Arm.

ALTER GUELFO. Nein! nein! Du sollst das Gut behalten, und mehr dazu. Ich will dem Pachter Entschädigung geben; es wird so arg nicht sein.

GUELFO. Ich will nichts, ich bin reich.

AMALIA. Nimm's doch, Guelfo! Ich will dir einen prächtigen Schmuck geben, für deine künftige Braut.

GUELFO. Ha, ha, ha! – Guelfo, geben Sie mir den Zug Apfelschimmel zum Erbteil; und ich gehe, der verfluchte, verlorne Sohn! Geben Sie mir den Zug Apfelschimmel; ich will mich reich halten, will mich mit diesem Mut durch die Welt schlagen.

AMALIA. Gib ihm die Schimmel, gib ihm die Pferde all.

ALTER GUELFO. Guelfo, die Schimmel hat dein Bruder schon.

GUELFO. Mag er sie behalten!

ALTER GUELFO. Er kömmt in einer halben Stunde mit seiner Braut; er gibt sie dir. Guelfo, freu dich mit uns!

AMALIA. Du sollst sie haben. Komm uns nach! Ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 952-955.
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