Zweiter Auftritt

[976] Amalia vor der Tür. Guelfo.


AMALIA. Mein Sohn, mein Guelfo, bist du hier?

GUELFO. Ich bin hier – wollt ich wäre nicht hier!

AMALIA tritt herein und fällt ihm um den Hals. O mein Guelfo, ich kann nicht schlafen, ich kann nicht wachen. Laß mich mit dir reden, laß mich um dich sein!

GUELFO. Mutter, Sie sind zu einer unglücklichen Stunde gekommen. O es aus deinem weichen Herzen zu drängen – Ich bitt Sie, gehn Sie unsanft mit mir um!

AMALIA. Was ist's, mein Guelfo?

GUELFO. Mutter, ich wollt. Sie wären nicht gekommen.

AMALIA. Warum, Guelfo? O ich suchte dich herzlich auf! Unsre[976] Kissen sind mit Tränen gebadet. Angst und Liebe trieb mich vom Lager auf. Ich schlich mich weg, mußte dich sehen. An wessen Tür ich vorüberging, hört ich Schluchzen und Weinen. Sohn, laß mich dich zufrieden sehn, alles wird's dann. Guelfo, nimm mir die Angst vom Herzen!

GUELFO. Noch einmal, wärst du nicht gekommen – um deinetwillen nicht! Guelfos Weib, kehren Sie zu ihm zurück, und werden Sie ruhig! Sie sind die einzige auf dieser weiten Erde, für die mein Herz etwas fühlt. Du wirst blutige Tränen weinen. Nein! Du sollst nicht! ich hoffe, nicht. Geh! geh von mir, wenn du meine Mutter bist! – Ha! ich beschwöre dich, sieh nicht blaß und zerschlagen, wie ein Nachtgeist! Ha, Mutter! und auch Ferdinandos Mutter!

AMALIA. Deine arme geängstete Mutter, wie seine. Laß mich um dich! Laß mich bei meinem Sohn! Mein Guelfo wird mir freundlich die Angst vom Herzen nehmen, sich mit mir aussöhnen, wenn er mir zürnt. Du bist mein innig geliebter Sohn. Keine Mutter kann ihren Sohn mehr lieben, als ich meinen Guelfo. Gib mir deine Hand, sei gut! wie wohl wird mir's dann sein!

GUELFO. Schone meiner! schone deiner! – Ich bitt Sie, wenn's aus mir bricht – Blut wird aus deinem Herzen strömen. Mutter, komm! ich will dich wegschaffen, durch diesen Sturm tragen, daß du Ruhe hast!

AMALIA. Guelfo! was denkst du? Werd ich nicht selig um dich sein, wenn du mein Sohn bist? – Weg von dir? von Ferdinando? – Mein Guelfo denkt anders. Ja, wenn du sagtest, du wolltest mein Guelfo nicht sein, mich denn zum Grabe trügst, itzt noch, dann würdest du mir einen Liebesdienst tun. Und Guelfo! das ist doch mein Schicksal, wenn du nicht besser wirst – Aber du wirst's so weit nicht kommen lassen, Liebster!

GUELFO fällt nieder. Mutter, noch einmal, schone meiner! schone deiner! Du zerdrückst mir das Herz mit dem Blick und den Reden, verwirrst meine Sinne.

AMALIA kniet zu ihm. Guelfo, ich knie zu dir und flehe, laß dich die Mutter heilen! Ruh an der bangen Brust der Mutter, und hol an ihrem Herzen Ruh! Dein Herz wird stille sein, und ruhig deine Sinne.

GUELFO. Du endest diese Stunde mit mir. Komm! ich will dich fragen; antworte mir treu![977]

AMALIA. Das will ich. Der alte Guelfo trauert, Camilla trauert, Ferdinando trauert.

GUELFO. Camilla? und wollt mich alle niederweinen? Camilla soll nicht trauern, keiner soll trauern!

AMALIA. Dein Vater rauft sich die grauen Haare über dich. Er ging hart mit mir um über dich.

GUELFO. Laß dich's nicht wundern, Mutter! Er kann nicht leiden, daß mir jemand gut sei.

AMALIA. Nicht so, Guelfo! Er glaubt, ich stärke dich im Zorn. Er meint's treu mit uns. Er bereut's, daß er dir heut hart begegnet ist; er bereut's innig.

GUELFO. Mutter! hier, wo du deine Hand niederdrückst, schlug der alte Guelfo seinen Sohn, daß es noch schmerzt.

AMALIA. Ich will meine Hand nicht niederdrücken, Guelfo! will dir sanft über den Schmerz streichen! Verzeih mir's!

GUELFO. Du legst glühende Kohlen auf meine Wunde.

AMALIA. Ich will sie mit meinen Lippen kälten und löschen. Der alte Guelfo tat's ungern, ohne Vorsatz.

GUELFO. Ohne Vorsatz? Nein, nein! Er schlug, als wollt er mich in die Erde schlagen.

AMALIA. Nicht doch! Sieh, du schossest nach der Lanze, und er fürchtete –

GUELFO. Was? Was?

AMALIA. Deinen Zorn. – Guelfo! es ist ihm leid.

GUELFO. Das soll's nicht! Hätt er mich zu Boden geschlagen, daß ich mich nicht wieder aufgerichtet hätte, dann wär's morgen Hochzeitfest, und ich brauchte nicht zu singen das Brautlied. Ich bin euch allen ein Abscheu.

AMALIA. Gott bewahr! Guelfo! gib uns Frieden! gib dir Frieden!

GUELFO. Frieden sollt ihr haben – hab ich ihn!

AMALIA. Auch die Schimmel sollst du haben, sobald Ferdinando beim Herzog aufgefahren ist. Ferdinando hätt dir sie gleich gegeben, aber Guelfo wollte nicht.

GUELFO. Still, Mutter! oder ich renn in Stall, und stech sie nieder.

AMALIA. Du wirst's nicht tun, wirst deiner Mutter schonen.

GUELFO. Keines! Wie ihr meiner schont!

AMALIA. Guelfo, ich schone deiner, wie ich deiner schonte, da ich dich als schwachen Säugling an meine Brust drückte.

GUELFO. Mutter! Mutter! – und jetzt gehn Sie.

AMALIA. Du wirst mich nicht wegstoßen.

GUELFO. Nun Mutter, sag mir! – sag mir! – ha![978]

AMALIA. Dein Auge rollt fürchterlich. Ich will mich hinter dich verstecken. Guelfo, berge mich vor deinem Blick!

GUELFO. Schau mich an, Guelfos Weib! Mach denn meiner Qual auf einmal ein Ende! Antwort mir treu!

AMALIA. Wenn ich dir helfen könnte! – Eil! eil! zögre nicht! – Was stockst du? Eil doch!

GUELFO. Weib, wer von deinen Söhnen ist der Erstgeborne? Erschrick nicht, oder deine Furcht beantwortet meine Frage! – Wo ist nun die Hülfe, die meine Mutter so schnell versprach? Antwort auf diese Frage, Mutter! Ich laß dich nicht weg, und erliegst du unter der Angst! Wer ist der Erstgeborne von deinen Söhnen?

AMALIA. Ferdinando.

GUELFO. Mutter! Auch du willst Guelfo durch Lügen betrügen? – Mit dieser Lüge stirbt die Mutter aus meinem Herzen, mit dieser Lüge stirbt alles! – Werd nicht ohnmächtig! Und wenn du ohnmächtig wirst, will ich dich aufbrüllen, vom Tod auf! Halt dich aufrecht! Ha denn! Mutter, wer von uns beiden ist der Erstgeborne?

AMALIA. Erbarm dich mein! Erbarm dich unser aller, schrecklicher Würger!

GUELFO. Belügst du deinen Guelfo?

AMALIA. Bei der Angst, die je eine Mutter wegen ihres Kindes erlitten! ich lüge nicht.

GUELFO. Ferdinando wär's?

AMALIA. Ferdinando ist's!

GUELFO. Wie ich dich ertappe, Weib! und wie ich dich ertapp auf deinen Lügen! – Mutter, Sie hätten gehn sollen; nun ist's zu spät! – Und Sie meinen, ich wüßte den Betrug nicht? Noch einmal, wer ist der Erstgeborne?

AMALIA. Ferdinando!

GUELFO. Hör es, Guelfo! Deine Mutter rief sich mit dem Namen aus deinem Herzen. Es ist deine Mutter nicht. Ich straf meine Mutter keiner Lüge; Guelfos Weib log! – Weg, was Mutter heißt! Du bist Guelfos Weib! Werd nicht ohnmächtig, es hilft nichts! Du sollst mir sagen, wie ihr's machtet, um mich zu bestehlen.

AMALIA. Guelfo! Guelfo! Die Angst bei deiner Geburt war so schrecklich nicht. Erwürgst du deine Mutter?

GUELFO. Nein! Gott behüte mich vor allem Mord! Aber Sie müssen mir's sagen, wie's zuging? wie er der Erstgeborne geworden ist? Wir sind Zwillinge?[979]

AMALIA. Das seid ihr! Laß mich sterben!

GUELFO. So nicht! Ich will dich und dein Leben fest in meinen Armen halten. Ob du mich schon halfst zugrunde richten und klein machen, da ich unvermögend war, will ich dir doch vergeben – dir allein! denn der Tod schwebte um dich.

AMALIA. Du wirst besser.

GUELFO. Noch nicht, liebe Mutter!

AMALIA. Nenn mich fort so! ich hab Hoffnung.

GUELFO. O wie glücklich ist das Weib! so schnell überzugehen von Angst zur Freude! – Es sieht auf meinem Gesicht vielleicht ganz ruhig, ob's schon hier immer tiefer geht. Nun, Mutter! Woran erkennet Ihr, daß Ferdinando der Erstgeborne ist.

AMALIA. Ich weiß nicht – Dein Vater sagt's. Als ich zu mir kam, hielt ich euch beide, und vergaß alles. Guelfo der starke muß der zweite sein, ich litt mehr.

GUELFO. Sagen Sie das nicht. Sie machten, was sie wollten. – Nun ist's gut, daß wir so weit sind. Beruhigen Sie sich, und gehn Sie zu Bette.

AMALIA. Guelfo! was willst du mit dem allem?

GUELFO. Nichts! nichts, unglückliche Mutter!

AMALIA. O das bin ich! Als Gott den Fluch über Eva sprach, fiel er schwer auf mich, vor allen ihren Töchtern.

GUELFO. Gott bewahr dich, Mutter! – Küßt sie. Ich wollt nun, Sie gingen! – Sagen Sie dem alten Guelfo nichts von dieser Unterredung! Er haßt mich, und es würde ärger zwischen uns. – Geh, Mutter! Gott erhalt dich mir, sanfte, liebe Mutter!

AMALIA. Er liebt dich.

GUELFO. Glaub ihm nicht, wenn er's sagt! – Gott erhalt dich! Gott bewahr dich! – Küßt sie. Und wenn ich dich wiederseh – Mutter! wenn ich dich wiederseh – Gott geb dir die Stärke, die du brauchst!

AMALIA. Er gebe dir alles, und mir wenig, mein Sohn! Mein Leben ist nichts, er gebe dir alles! Du brichst mir 's Herz.

GUELFO. Noch nicht! – Lebe wohl, Mutter! Mutter, lebe wohl!

AMALIA. O Guelfo – nicht so! Morgen früh komm ich zu dir geschlichen. Noch wenige Stunden, und die Nacht ist vorüber. – Ich seh dich. –


Geht.


GUELFO. Ich bin ruhig, laß mich so! – Gute Nacht, Mutter! Gute Nacht, herrliche Mutter!

AMALIA wendet sich an der Tür um. Gute Nacht! Gute Nacht, liebster Guelfo! Ab.[980]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 976-981.
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