Erster Auftritt

[981] Der Saal.

Amalia. Camilla, mit Kleidern beschäftigt.


CAMILLA. Nein, dieses werd ich nicht anziehn, Mutter.

AMALIA. Warum?

CAMILLA. Die Farbe ist mir zu hell. Und ich weiß nicht, mich deucht – nach meinem Gefühl würd ich lieber schwarz gehen.

AMALIA. Wenn Sie nur viel sprächen, und nicht so oft im Reden einhielten. Ich muß näher zu Ihnen rücken. Mir ist so bang, so gar ängstlich, wo ich mich hinwende. Camilla! ich möchte nichts, als weinen. Ich weiß nicht, warum? Lassen Sie mich nah bei sich sitzen – solche Angst hab ich nie gefühlt.

CAMILLA. Mutter, wenn ich stärker wäre, wollt ich Sie trösten;[981] aber mir fährt's mit tausend Stichen durchs Herz, und jetzt – Ferdinando!

AMALIA. Wie erschrecken Sie mich! Was ist Ihnen?

CAMILLA. Nichts, nichts! Es ergriff mich am Herzen, und drückte mich, und 's ward mir etwas dunkel vor den Augen. – Mutter – verzeihen Sie, ich konnte nicht wider mich halten. Wir wollen nun den Brautputz aussuchen. Wenn wir nur nicht so viele Gäste hätten – Hat der Vater so viele bitten lassen?

AMALIA. Er war nicht abzubringen. Bei solchen Gelegenheiten macht er's nicht anders. Es muß prächtig bei ihm hergehn an solchen Tagen. Wir wollen ihm seine Freude lassen.

CAMILLA. Von Herzen gern, Mutter. Ich will mir Gewalt antun, lustig zu sein; aber wirklich bin ich weit davon.

AMALIA. Horch! – Ha! kömmt jemand?

CAMILLA. Erschrecken Sie mich nicht –

AMALIA. Mich deucht, es käme jemand geschlichen nahe zu mir.

CAMILLA. Ich hör so oft meinen Namen mit banger Stimme rufen.

AMALIA. Das geschieht einem oft. Sie machen mich gar traurig.

CAMILLA. Das will ich nicht. Sieht hinaus. Es ist ein lieblicher Morgen nach dieser stürmischen Nacht. Möcht er sich so ändern!

AMALIA. Guelfo! nicht wahr? Sein Sie getrost, Camilla! er wird sich ändern. Wir zwei wollen ihn schon besänftigen. Wir wollen immer zusammen sein; wollen ihn aufsuchen, er mag flüchten, wohin er will. O wir wollen den lieben Guelfo mit Liebe verfolgen! Ferdinando tut's auch.

CAMILLA. Ich will alles tun, ich bin ihm sehr gut. Unser Leben wird dann erst Leben sein.

AMALIA. Gott segne dich, meine Tochter! – Was fahren Sie schon wieder auf?

CAMILLA. O wenn ein Vögelchen von einem Ast auf den andern fliegt, und nur ein Blättchen rauscht, rauscht mir's durchs Herz. Ferdinando! kehre schnell zurück!

AMALIA. Um Gottes willen!

CAMILLA. Warum weinte er, als er ging? Warum fiel er mir so geängstet um den Hals, und sagte ein so gepreßtes Lebewohl? Noch fühl ich, wie seine heißen Tränen meine Wangen herabrollten. Nahm er nicht auch so von Ihnen Abschied?

AMALIA. Ebenso. Aber das macht seine Liebe. Ich bitte Sie –

CAMILLA. Mußt er denn just heute ausreiten! Nahm er ein wildes Pferd? Sagen Sie mir's! Wenn er stürzte![982]

AMALIA. Ich weiß nicht.

CAMILLA. Schicken Sie doch Boten nach ihm! Ich kann nicht ruhen; ich laufe nach ihm, wenn's länger dauert.

AMALIA. Ich vergeh für Angst.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 981-983.
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