Fünfter Auftritt

[987] Grimaldi. Guelfo.


GRIMALDI. Bist du da? Gott sei Dank! Wo ist dein Bruder?

GUELFO springt auf und Grimaldi sinkt zurück. Was störst du mich im Schlaf? Weg! ich will den Schlaf herzaubern. Ich muß, muß schlafen. Hinaus! Faßt ihn an.

GRIMALDI. Mann mit diesem Würgblick, schone meiner, daß du dein Gewissen nicht beschwerest mit Mord!

GUELFO. Mord? hi! Steh auf, Grimaldi! Mich deucht, du bist's? – Sieh mich an! und wenn du lügst, hol ich meine Lanze, und spieß dich! – Was steht auf meiner Stirne? Wischt sich die Stirne mit Angst. Ich will's tilgen! herausbrennen!

GRIMALDI. Guelfo!

GUELFO. Was steht auf meiner Stirne, Unglücklicher?

GRIMALDI. Brudermord!

GUELFO. Ha! So will ich dich zerstieben! die Winde sollen deine Asche davonwehen! – Brudermord? Schändlicher Lügner!

GRIMALDI. Gott sei Dank, wenn's anders ist!

GUELFO. Ha! Du Demütiger! was dankst du? Ich steh da, traue mein Haupt nicht zu heben zum Himmel. Die Sonne würde mich blenden, und der Rächer aus den Wolken Blitze senden, meine Seele zu vernichten, richtete ich meine Augen zu seinem Sitz. Steht's nicht auf meiner Stirne?

GRIMALDI. Gefolterter Geist, Wut und Verzweiflung.

GUELFO. Schäm dich, Betrunkner. Süßer, sanfter Schlaf hängt auf meinen Augenlidern, der mich einwiegte, wenn ihr alle[987] gingt, die ihr so gräßlich um mich heult. Mir war nie so wohl. Und ich hab ihn doch ermordet, hab ihn erschlagen, als er mir nicht geben wollte die Erstgeburt, als er mir nicht geben wollte das Weiblein; als er sagte: »Ich bin Herzog, auch du sollst steigen!« – Ich hab ihn gestreckt in Staub, als er bat um ein Gebet zum Rächer! – Er winselte und röchelte dumpf aus hohler, langsamer Brust. Ich habe meinen Feind erlegt, hab der Schlange den Kopf im Staube zertreten! Er liegt! Als er lag, rief ich: »Verflucht, die mich geboren!« schwung mich auf, und die Sonne verkroch sich. Wolken raubten ihr das Licht, wie ich's dem Feinde stahl – Ich nahm Staub und warf ihn hinter mich mit seinem Gedächtnis! – Als er schrie: »Guelfo! Guelfo!« fuhr mir ein Feuer durchs Herz, daß ich ächzte. Wo ich hinseh, zieht's blutig um mich, heult und winselt – mir ist wohl!

GRIMALDI. Du hast den Bruder ermordet?

GUELFO. Den Feind! Stößt nach ihm. den Dieb der Erstgeburt! Ha! werden sie heulen, ihre Hände starr zum Rächer erheben: »Wehe! Wehe!« – werden sie ihn mit Tränen baden, wegschwemmen sein Blut – rufen: »Einziger, steh auf!« – Aber stark ist Guelfos Faust. Schrei mit! Ich will meine Ohren zustopfen, will mich verschanzen hier vor Rache und Weh! Wer mir nahe kommt – hi!

GRIMALDI. Flieh! flieh! Dein Anblick tötet.

GUELFO. Nein! Bleiben will ich, und sie quälen! Ich will ihnen nach und nach das Herz zerreißen mit Fluchen! Grimaldi! Was faßt du mich an so hart? was drückst du mich, daß Tropfen aus meinen Augen springen?

GRIMALDI. Ach Guelfo!

GUELFO. Du hältst mich immer fester – Deine Hand wird immer feuriger – Hast du den Bund mit ihm gemacht? Ist sein Geist in dich gefahren? Ich will ihn herausjagen noch einmal. So sah er aus – so, so! Wie er an die Eiche sunk – rief: »Bruder!« – und wie ich in den Wald lachte, daß es ins Echo pfiff! – Laß mich los! was hältst du mich? – Bist du nicht Grimaldi, der mir gut war?

GRIMALDI. Guelfo, meine Stunde ist da. Wo du ihn erschlugst, sah er gestern seinen Geist.

GUELFO. Der Geist log nicht. – Jetzt will ich schlafen, jetzt will ich mir Guts tun mit Schlafen! So lange nicht geschlafen – werd ich einmal schlafen! Legt sich nieder. Ha, Kain! kannst[988] du nicht schlafen? Wie sie ächzen, den Toten mit Tränen salben, den Einzigen mit Küssen zum Leben rufen! Heult! heult! heult! Guelfo schläft ja. O laß mich schlafen, fünf Augenblicke nur! – Laß mich schlafen einen Augenblick – o denn nur einen halben! – Ha, Grimaldi! Er faßte die dicke Eiche, schlung sich drum herum, als wollt er sein Leben halten – und ich riß ihm Eich und Leben aus der Hand, das er festhielt! – Er sah nach mir mit einem Blick, der so tot, bittend und voll Angst war – »Bruder! Bruder! Camilla!« – Die rief er zuletzt, und das war gut. Da kriegt' er den Schlag! – Guelfo! mußt er »Camilla« rufen? – Ha! Schreckgeister! Guelfo schläft. –


Der Vorhang fällt.



Ende des vierten Aufzuges.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 987-989.
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