Dritte Szene


[1010] Paulos Wohnung.

Nacht.

Amante und Julio treten auf.


JULIO im Hereintreten. Wo bin ich? und was fährt auf in mir? Warum ließt du mich nicht.

AMANTE. Signor, ich durfte nicht. Verzeihen Sie meinen Ungestüm. Ich hätte Sie nie verlassen, hätte Sie bis an Ende der Welt verfolgt, und wären Sie mir noch wilder und härter begegnet. Meine Donna befahl mir's, und für sie tu ich mehr, als das – Signor, ich mußte wohl, und gewiß ich tat's gerne.

JULIO. Nun dann! verlaß mich jetzo! Ich will sie hier erwarten.

AMANTE. Signor Julio!

JULIO. Amante!

AMANTE. Ihre Hand aufs Herz, und denn sehen Sie sich um.


Ab.


JULIO. Der Jung erschüttert mich, und seine verstohlne Tränen fielen wie Feuer auf mein Herz. Amante! – Ich kann den Eindruck nicht begreifen, den die Reden, das wunderliche Betragen dieses Jungens auf mich machen. – – – Nun ja, meine Hand auf meine Brust. Sieht sich um. Das der Ort, die Stelle, die Stelle, wo ich mit Laura den Himmel genoß? Ach dieses alles anders. So stumpf! so taub! – Jetzt nur Solina, allenthalben nur. Dort nur findet mein Geist Ruh bei seiner Schöpferin. Kann ich's ändern? Laura! – Ihre Stimme! Klopft an einer Tür. Laura! Eine betende Stimme! »Madonna! verzeih der heißen Liebe! wende mein Herz von dem süßen Betrüger! daß ich ganz dein sei!« Ich! Laura!


Klopft.


LAURA öffnet die Tür. Leise! leise hier! das Geräusch geziemt sich nicht. Tür zu.

JULIO. Laura!

LAURA inwendig. Wer bist du der Traurigen die Ruhe mißgönnt? Ich bin nicht hier.

JULIO. Laura! kennst du Julios Stimme nicht?

LAURA. Ich kannte sie, drum leide ich.[1010]

JULIO. Amante führte mich her.

LAURA. Bist du Julio?

JULIO. Himmlische Laura, ich bin's.

LAURA. Lüge nicht, häufe deine Sünden nicht. Deine Stimme ist so süß, so süß, sie könnte die heilige Jungfrau dem Gelübde rauben. Das kann kein Betrüger. Du bist nicht Julio! – Du Stimme süßer, als Nachtigallslied, lieblicher, als die Chöre der reinen Mädchen wenn sie in der Mette die Glorie des Herrn besingen. Locke mich nicht! Laß mich der Madonna! Locke mich nicht! Nun du süßer Schall, du bezaubernder Hauch, lieblich durch die Luft zum lauschenden Ohr!

JULIO. Ach Laura! laß mich dich sehen!

LAURA. Zum letztenmal Julios Stimme?

JULIO. Ach zum letztenmal!

LAURA. Sieh! Du bist Julio nicht. So süß und traurig Julios Stimme! Wart ich trockne meine Tränen! zum letztenmal? Noch einmal rufe stark, Todesstimme! zum letztenmal?

JULIO. Ich halt's nicht aus. Solina, Stärke! Wie klingt's dumpf in mir! warum sterben mir die Worte auf den Lippen? O teuer erkaufte Solina!

LAURA. Bist du noch da, Todesstimme?

JULIO. Laura!

LAURA. Ich komme gleich. Da hab ich Lilien, die will ich knicken, schöne Lilien und ganz frisch. Brich! brich! ach so brich! so sink! – brich! brich! und bald mein Herz. Bist du noch da?

JULIO. Ach Laura noch da!

LAURA. Stell dich weit weg und schau mir nicht durch die Tür ins Zimmer. Geh leise, mein Vater malt unten der Donna Solina Portrait. Also geh leise. Sie muß genau getroffen werden. Meines Vaters Kunst verzweifelt, den großen Geist herauszutreiben. Geh leise, daß kein Zug verfehlt werde.

JULIO. Brennender, als alle Rache. Laura du bringst mich in Verzweiflung.

LAURA tritt verschleiert heraus. Gott bewahr dich! – Mach kein Geräusch!

JULIO. Laura bist du's?

LAURA. Paulos Tochter. Ein krankes, kindisches Mädchen. Gute Nacht Julio.

JULIO. Laura!

LAURA. Halt mich nicht auf. Mir ist's nicht gut hier.

JULIO. Laß mich dein Gesicht sehen.[1011]

LAURA nimmt den Schleier ab.

JULIO. Gott! Totenblaß und Tränen.

LAURA verschleiert sich wieder. Die Lilien sind gebrochen und Lauras Herz. Warum ich dich rufen ließ – – – Julio, ein schwaches Mädchen denkt allerlei. Ich wollte dir wohl Lebewohl sagen. Und – vergiß mich, denke meiner, gut, und ohne Kummer. – Dies nimm von mir, ich malte es.

JULIO. Ein betend Mädchen auf den Knien, die Tränen den Wangen herunter – Du selbst Laura!

LAURA. Denk nicht drüber. Willst du mir den Petrarca, meinen ehmaligen Liebling lassen, den du mir an jenem schönen Morgen schenktest? Ich les die »Canzoni sorelle« nicht mehr. Kein süßes Liebesliedchen mehr. Ich hab sie alle mit Band verbunden, daß mir keins vor die Augen komme. Du weißt, wir lasen sie; aber, Julio, da war ein Band um uns gewunden, das den Himmel bindet, und seine Treue lieben. Es riß, und dir ist's gut. Jetzo laß mir ihn bloß des »Trionfo di Morte« wegen. Willst du?

JULIO. Laura! alles.

LAURA. Nicht so. Lebe wohl Julio, und gib auch mir Lebewohl.

JULIO. Du gehst, und ich kann nicht sagen – Ha! wie nun, daß ich ganz vergeh, und nichts! nichts! – Laura!

LAURA. Julio! ich werd ausdulden und lebe wohl. Schöner, lieber, süßer Betrüger, tausend treue Lebewohl. Die Liebe in Lauras Brust war heiß. Du schöner Betrüger! Madonna segne dich. Macht 's Kreuz über ihn. Adieu! Adieu! sterben ohne Klagen – Adieu! Adieu! Rosen sprossen, wo du gehst, und liebe, laute Freude, wo du bist. Laura sagt gute Nacht, gute Nacht! Ins Nebenzimmer ab.

JULIO. Laura höre mich!

LAURA inwendig. Gott bewahre dich! zum ewig letztenmal gute Nacht.

JULIO nach langem Schweigen. So schwach und klein war ich nie. Wie ich in der Gegenwart dieses Engels ganz erlag. Und kann ich's zurückrufen? Kann ich mir's wiedergeben? Solina! – Die Stätte brennt unter mir, und jeder Gegenstand senkt mich in Schwäche und Trauren. Ha! und Mut brauch ich. Ab.


Eine lange Pause.


AMANTE tritt auf mit seiner Laute. Nacht! Freundin meiner Liebe! und Teilnehmerin meiner Leiden, umgib mich, umfange mich! Und ach! in all der Finsternis ihr Bild! ihr Bild! – Dieser[1012] Tag, meine Laura, war ein harter Tag. Bewahre mich zu klagen! aber es war ein harter Tag, und noch einen, und wieder einen – Leiden und Lieben, so dein, meine Laura. – Hier auf dieser Stelle, wo du den Kummer meines Vaters in Freude wandeltest, daß er in Friede lebt, will ich liegen, ruhen, leben, sterben und lieben. – Schlummre sanft, himmlische Liebe! Höre nicht die Klage der Liebe. Klage! klage Laute! und wenn meine Tränen deine Trauertöne nicht verstimmten, so klage leis bis an Morgen.


Singt und spielt.


Dumpf ruft die Glocke Mitternacht,

Es schwirrt und hallt so öd um mich.

Verloren, einsam irr ich hier,

Klag durch die Nacht, sie hört mich nicht.


Sie hört mich nicht und schlummert süß.

Ihr Sterne weint! ach weint um mich!

Ihr Lüfte klagt! sie liebt mich nicht!

Blick bleicher Mond! sie liebt dich nie!


Schall Trauerglocke durch die Nacht!

Der letzten Stunde, Totenruf!

Nimm ödes Grab den Liebenden!

Schließ bald mich ein! sie liebt mich nicht!


Vom holden Aug der Liebe fließ,

Nicht eine Trän aufs stille Grab!

Mein bleicher Schatten weinte dir,

Laura! ich liebte treu und warm!


Sinkt in eine schwermütige Stellung.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1010-1013.
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