Fünfte Szene

[1163] Berkley. Vorige.


BERKLEY. Hm! Morgen – – He! was da? was ist das?

WILD fest. Ich küßte Mylady.

BERKLEY. Und du Miß, ließest's geschehen?

CAROLINE. Mylord!

BERKLEY bitter. Adieu Miß!

WILD. Mylord, wollen Sie mich beleidigen? Ich bitte Sie Miß, bleiben Sie. Unmöglich kann Lord Berkley einen Menschen beleidigen, den er nicht kennt. Ich bin ein Engelländer, heiße Wild, und wollte Sie besuchen.

BERKLEY. Brav, mein Herr!

WILD. Ich habe gelitten in der Welt, habe gelitten und meine Sinnen sind etwas wirr geworden. Ungestüm bemeistert sich oft meiner. Ein Unglücklicher findet in der Welt so wenig Teilnehmung, ich fand sie bei Miß – Mylord und wo man das findet – ich küßte die Miß, und würde es getan haben, wenn ihr Vater gegenwärtig gewesen wäre.

BERKLEY. So jung und unglücklich? Sehn Sie mich an! Mich, Mylord!

WILD. Ja, Mylord, so jung und unglücklich, und unglücklicher, da es an Geduld fehlt, da das Gefühl so stark ist. Es hat mich bitter gemacht, und nur diesen Augenblick fühlte ich, daß noch Freude in der Welt ist.

BERKLEY. Ich könnte mich für Sie interessieren. Ich bitte Sie Sir, setzen Sie sich in ein ander Licht. Diesen Zug und diesen Zug in Ihrem Gesichte kann ich nicht ausstehn.

CAROLINE. O mein Vater, Mylord leidet so viel.

BERKLEY. Du könntest uns verlassen. Ich seh Mylord an, daß man aufrichtig mit ihm sein kann. All sein verwildertes Wesen spricht so herzlich.

CAROLINE. Wenn Sie befehlen –


Wild an der Tür bittend zuwinkend.
[1163]

BERKLEY. Und wie ich sage, Mylord – Sie müssen mir vergeben. Ich hatt einen Feind, einen gräßlichen Feind, der mich in die schrecklichste Lage versetzte, worin ein alter Mann nur kommen kann, und sahe Sie Mylord, wenn ich ihn ertapp wo's sei, bin ich gezwungen ihn zu martern, bis ich diese Züge die ich an Ihnen tadle, aus seinem Gesicht verschwinden seh. Sie scheinen ein braver Mensch zu sein, weiß Gott! ich tu mir Gewalt an, Ihnen nicht um den Hals zu fallen, und Sie wie einen Sohn zu herzen. Aber auch einen Sohn verlor ich durch ihn. Und also Mylord, müssen Sie mir vergeben.

WILD. Wie Sie wollen, wie Sie wollen.

BERKLEY. Ja in dieser Unruhe, in diesem verzweifelnden Ton, worin Sie dies sagen, ich verstehe; und wie sich Blicke durchkreuzen, die einem das Herz abgewinnen könnten. Nur Geduld! man gewöhnt sich. Und wenn Sie unglücklich sind, und Galle haben, werden wir schon einig.

WILD. Daß ich diese habe, Mylord – aber wozu das all? Nun meine Bitte an Sie! Könnten Sie einem Menschen der mir gleichsieht, erlauben, als Volontär die Kampagne gegen Ihre Feinde mitzumachen?

BERKLEY. Von Herzen gerne. Sein Sie willkommen! Ich will gleich zum General gehen. Kommen Sie doch mit!

WILD. Ich bin deswegen gekommen, und je eher, je besser.

BERKLEY. O Mylord! auf so einen Tag hab ich lang geharret. Mir ist nicht besser, als im Kanonenfeuer.

WILD. Mir wird's gut werden, hoff ich.

BERKLEY. Aus welcher Gegend von England sind Sie?

WILD. Aus London.

BERKLEY. Nun dann, Lord Berkleys Schicksal müssen Sie wissen.

WILD. Ich hab davon gehört.

BERKLEY. Nur nicht kalt drüber weg, junger Mensch.

WILD. Bin nicht kalt, Mylord, nur grimmig über die Menschen, die so vieles anders haben könnten, die sich ewig scheren.

BERKLEY. Hast du Sinne? Mensch! Hast du Herz? Ich bin Lord Berkley, verfolgt, verdrängt, ausgeworfen, um Weib und Sohn gebracht. Hast du Herz, junger Mensch, oder hat dich eignes Elend stumpf gemacht? nun denn, so strecke dich aus und segne die Welt! und kennen Sie Bushy?

WILD. Nein, Mylord!

BERKLEY. Haben Sie von ihm gehört? Ich bitte Sie, wie geht's ihm? Elend, kümmerlich?[1164]

WILD. Glücklich, Mylord!

BERKLEY. Schämen Sie sich! glücklich? haben Sie das Mädchen gesehn? Sehn Sie meine graue Haare, meine stirre Augen! Glücklich?

WILD. Hat Haus und Hof verlassen müssen. Ins Königs Ungnade gefallen, ist unsichtbar geworden.

BERKLEY. Tausend Dank, Mylord! tausend Dank! he, Bushy! so bin ich in etwas gerochen! Geht's ihm recht kümmerlich? Es kann ihm nicht elend genug gehen. Nicht wahr? er hat kein Haus, das ihm Obdach gebe, keine Hand, die sein Alter pflegte?

WILD. Er ist glücklich, Mylord!

BERKLEY. Ich bitte Sie, gehn Sie aus meinem Zimmer. Sie sind ein Freund von ihm, und mein Feind. Haben seine Sprache, seine Mienen – und bei Gott! ich seh Bushy in Ihnen. Gehn Sie doch, wenn Sie einen alten Mann nicht aufbringen wollen.

WILD. Glücklich, daß er's nicht achtet. Glücklich in seinem Sinn, mein ich.

BERKLEY. Das sollt er nicht sein. Seine Haare sollten ihm zu stechenden Schlangen werden, und die Fasern seines Herzens zu Skorpionen. Sir! er sollte nicht schlafen, nicht wachen, nicht beten, nicht fluchen können, und so wünschte ich ihn zu sehen. Dann wollt ich großmütig sein, ihm eine Kugel vor dem Kopf geben, sehn Sie! das hat er verdient, Ewigkeit Qual zu leiden; aber großmütig wollte ich sein, Sir, meiner Miß zu Gefallen. Hätten Sie meine Lady gekannt, Mylord, die aus Schmerz starb, Wilds Hand anfassend, der sie bei den letzten Worten zurückzieht. ich weiß, Sie würden mit mir Ihre Hände aufheben und Bushy und seinen Nachkommen fluchen. Aber sagen Sie mir, Mylord, wie geht's Bushys Sohn?

WILD. Zieht in der Welt herum ohne Ruhe. Elend durch sich, elend durch das Schicksal seines Vaters.

BERKLEY. Das ist gut, Mylord! Das ist gut! Glauben Sie, daß er noch lebt?

WILD. In Spanien jetzt.

BERKLEY. Aber ich habe Hoffnung, daß sein Vater ihn nie mehr sehen soll. Habe Hoffnung, daß der junge Bushy durch Liederlichkeit seinen Körper ruinieren, und in der besten Jugend hinwelken soll. Er soll ihn nie mehr sehen. Mylord, die Freude wäre zu groß einen Sohn wiederzusehen. Denken Sie, seinen Sohn wiedersehen, was das einem sein muß, ich könnte rasend werden. Wenn ich meinen Harry, meinen süßen störrischen[1165] Jungen so manchmal in Gedanken vor mir auf seinem Klepper reiten seh, und »Vater! Vater!« rufen und klatschen – Er soll ihn nie mehr sehen! Wild, der abgehen will. Bleiben Sie doch noch, Mylord! Aber sagen Sie mir, hat Bushy Vermögen davongebracht? Mylord, wenn mir einer ewig von Bushys Unglück erzählte, ich wollte in der Welt nichts tun, als zuhören. Hat er davongebracht?

WILD. Genug, Mylord, um in seinem ruhigen Sinn zufrieden leben zu können.

BERKLEY. Das ist mir leid. Ich wünschte ihn bei mir um ein Pfund betteln zu sehen. Glauben Sie daß ich's ihm gäbe?

WILD. Warum nicht Mylord? Er gäbe Ihnen was er hat.

BERKLEY. Meinen Sie? Nun, wenn meine Miß dabei stünde, vielleicht, vielleicht auch nicht. O es ist ein erschrecklicher Heuchler, der alte Bushy. Ich fürcht, er brächte mich um ein Pfund mit seiner heuchlerischen Miene. Ist er nicht ein Heuchler, Mylord?

WILD. Nein, wahrhaftig nein!

BERKLEY. Was wissen denn Sie! Freilich müssen Sie seine Partie nehmen, da Sie seine Nase tragen.

WILD. Mylord, ich gehe schon.

BERKLEY. Vergeben Sie mir doch! Sagen Sie mir nur noch, wo ist der neidische Hubert hingekommen?

WILD. Begleitet den alten Bushy.

BERKLEY. Dank Sir! Elend?

WILD. Findt Stoff genug für seinen rauhen Neid, und befindet sich wohl in seinem Humor.

BERKLEY. Behüte Sir! das verbitt ich mir. Er muß so viel leiden als Bushy. Ich bitt Sie, lassen Sie ihn leiden! Lügen Sie mir vor, er litte!

WILD. Nun Mylord, ich muß zu meinen Freunden. Sie besorgen doch, daß ich enrolliert werde?

BERKLEY. Ja Mylord, leben Sie wohl. Sie haben mir viele Freude gemacht. Kommen Sie bald zu mir, diesen Abend noch zu Tische. Ich könnte Sie fast liebhaben. Wild ab. Nun ist mir's wohl. Ha! Ha! Bushy und Hubert, liegt's schwer auf euch? Gesegnet sei der König! – Geh doch! Es macht mir recht kindische Freude. Der Mensch da ist mir nur halb recht. Er hat so was Fatales und Starkes in seinem Wesen, just wie Bushy. Das weiß der Teufel! – Ich muß doch meiner Miß die Freude erzählen. Ab.[1166]

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1163-1167.
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