Erste Szene

[1167] Einbrechende Nacht.

Zimmer der ersten Szene des ersten Akts.

Blasius. La Feu.


BLASIUS. Wild ist ebenso wunderlich, so außerordentlich freudig; fährt herum, reicht nach dem Himmel, als wollte er ihn herunterziehen. Hab ihm Tränen auf den Augen glänzen sehen. Was mag der Mensch haben? Ich kann ihn nicht zum Bleiben bringen. Mir ist kalt.

LA FEU. Lieber, lieber, Blasius, mir ist gar heiß.

BLASIUS. Du bist das ewige Fieber.

LA FEU. Recht das ewige Fieber, wenn ich nicht ersticken will. Ich bin wieder verliebt durch den ganzen Körper, durch Adern und Gebein, durch die ganze Seele. Mir ist so heiß, ich fürcht noch aufzufliegen wie eine Bombe, und möchte sich denn mein reines Wesen erheben, und in den Busen der reizenden Lady niederlassen!

BLASIUS. Der alten Lady? La Feu!

LA FEU. Alt? Alt? Was ist alt? Nichts ist alt, nichts ist jung. Ich kenne keinen Unterschied mehr. O ich bin auf dem Punkt, wo's einem anfängt wohl zu sein. Glaubst du wohl daß ich alles vergessen hab, als hätt ich aus dem Lethe getrunken. Mich plagt nichts mehr. Ich kann die Krücke nehmen und betteln gehen. Es muß einem endlich so werden.

BLASIUS. O säß ich noch im Turm!

LA FEU. Es kann einem nicht übel sein im Turm. O täten sie mir den Gefallen und schmissen mich hinein! Ich wollt mich so selig träumen, so glücklich! träumen muß der Mensch lieber, lieber Blasius! wenn er glücklich sein will, und nicht denken, nicht philosophieren. Sieh! Blasius, in meiner Jugend war ich ein Poet, hatte glühende, schweifende Phantasie, das haben sie mir so lange mit ihren eiskalten Wasser begossen, bis der letzte Funken verlosch. Und die häßliche Erfahrung, die scheußliche Larven von Menschengesichtern all, wenn man alles mit Liebe umfassen will! Da ein Hohngelächter! da ein Satan! – Ich stund da wie ein ausgebrannter Berg; ging durch Zauberörter, kalt und ohne empfangendes Gefühl. Das schönste Mädel rührte mich ebensowenig, wie die Fliege die[1167] um den Turm schwirrt. Um des Elends los zu werden, bestimmte sich meine Seele anders zu fühlen, und zu sehen wo ihr kalt bleibt. Alles ist nun gut, alles lieblich und schön!

BLASIUS. Säß ich im Turm wieder, wo Spinnen, Mäuse und Ratten, meine Gesellschaft ausmachten!

LA FEU. Saßest du denn im Turm?

BLASIUS. Freilich, freilich. In einem hübschen Turm, und sah durch ein Loch das nicht größer war als ein Auge. Mit einem Auge nur konnt ich Licht sehen. Da guckte ich bald mit diesem, bald mit jenem heraus, um nicht lichtscheu zu werden. Da kriegt der Mensch Empfindungen, La Feu! da schwillt das Herz und dann dorrt das Herz – und versiegt der Mensch. Ich konnte dir einen ganzen Tag auf einen Fleck sehen – und sehen – Starr und weg. He was? In Madrid, La Feu, und in London Bitter. gepriesen sei das Menschengeschlecht! he! sie meinten's gut mit mir. Ich war der ehrlichste Kerl von der Welt.

LA FEU. Das war dein Fehler, lieber, lieber Blasius.

BLASIUS. In Madrid tat's die Inquisition wegen meiner Equipage. Und in London, weil ich einen Kerl erschoß, der mich um mein Vermögen brachte, und mir meine Ehre dazu rauben wollte.

LA FEU. Ja Blasius! lieber Blasius! erschießen muß der Mensch nichts.

BLASIUS. O wenn dann nur die Gefühle des Menschen ein Ende nehmen wollten!

LA FEU. Wie stehst du mit der Lady?

BLASIUS. Laß mich gehen! ich hab mich ennuyiert. Sie ist lustig und schön, und so kalt wie Schnee, und scheint so keusch, wie Dianens Nachthemd. Sie schert einen, ich bin tot und schläfrig. Gähnend. Gute Nacht Donna Isabella! O säß ich einmal wieder zu deinen Füßen, Gütigste! Schläft ein.

LA FEU. Ich muß vor der Lady Fenster Wache halten diese Nacht. Es ist eine gar liebe reizende Lady, zu der man alles sagen kann, und die einen versteht ehe man spricht. Ich will doch einmal ein Feenmärchen schreiben.[1168]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1167-1169.
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