Vierter Auftritt

[31] Die drei Mütter mit ihren Söhnen, und Sunim von einer, Selima und Heman von der andern Seite.


SELIMA. Nun will ich mitgehn. Nun will ich auch hineingehn!

HEMAN. Ich will auch mitgehn, meine Selima! Ach, meine Selima! Nein, ich kann's noch nicht glauben!

EINE MUTTER. Komm, Sunim!

NOCH EINE. Was seh' ich!

DIE DRITTE. Ist Das unser Vater?

ADAM. Geh zu ihnen, mein Sohn Seth.

SETH. Schaut mich nicht an, sonst verstumme ich vor euch!


[31] Die erste verhüllt sich; die zweite sieht weg; die dritte beugt sich über ihren Sohn.


Es ist schon lange her, daß ich diese Todesangst fühle, die euch sagen muß: Ehe die Sonne die Cedern hinunter ist, stirbt – Adam! Er hat einen Todesengel gesehn. Der kömmt wieder. Wenn der Fels an der Hütte einstürzt, dann ist er da. Dann stirbt Adam! Hier ist sein Grab! – O, wendet euch und schaut nach seinem Grabe nicht hin!

ADAM. Was ist Das für eine Stimme unter den Stimmen der Weinenden, der ich mich nicht genug erinnere! Das ist keine von den Müttern! Das ist auch nicht die Stimme Selimas oder Hemans.

SETH. So freue dich denn noch einmal in deinem Leben, mein Vater! Es ist Sunims Stimme. Sie haben deinen Sohn Sunim wieder gefunden.

ADAM. Will mich mein Sohn Seth in meinem Tode täuschen, der mich in meinem Leben nie getäuscht hat, damit ich mich noch einmal freue? Wisse, Sohn, für mich ist hier keine Freude mehr!

SETH. Mein Vater! – –

ADAM. Aber – warum redet Sunim nicht, daß ich seine Stimme höre?

SETH. Der Knabe ist vor Schmerz verstummt.

ADAM. So führ' ihn denn her zu mir, daß ich seine starken Locken, daß ich die Wange des Knaben fühle.

SEH. Hier ist er.

ADAM zu Sunim, der sein Knie umfaßt. Du bist es! Du bist es, du bist mein Sohn Sunim!

SUNIM. Ich bin Sunim! –

ADAM. Geh zu deiner Mutter, mein Sohn!


Sunim geht zu Eva.
[32]

EVA. Gehe zu deinem Bruder Seth! Ach, du hast keine Mutter mehr!


Sunim lehnt sich an Seth.


SETH. O du Todesurtheil, das über sie gesprochen ward! – – – Richte dich auf, mein Sunim! Laß mich! Ich komme eilend zu dir zurück. Da er zurückkommt. Mein Vater – denn heut' ist kein Tag des Schonens, kein Tag des Schweigens – die Sonne steigt hinunter! die Cedern fangen schon an sie zu decken. Gib uns deinen Segen, mein Vater!

ADAM. Sie steigt hinunter? – Komm, komm', o Tod, so komm denn, Tod! – Ich kann euch nicht segnen, meine Kinder. Der euch geschaffen hat, segne euch! Ich kann euch nicht segnen: der Fluch ruht auf mir.

ALLE. Gib uns deinen Segen! Gib uns deinen Segen! – –

ADAM. Ich habe keinen Segen! – Vor sich. Sie ist noch nicht vorüber, die namlose Angst! Sie steigt noch! Mit diesen neuen Empfindungen steigt sie! Mein Leben, das Leben meiner ersten Tage empört sich noch einmal ganz in mir! Meine erste Unsterblichkeit, sie, sie ist es, die in meinen Gebeinen bebt! – Wo werd' ich hingeführt? – Auch die Dunkelheit fällt von meinen Augen! Aber, ach, sie fällt, daß ich diese todesvollen Gefilde sehe! – Kehrt eure Blicke von mir, ihr starren Augen! Du rufst laut, Blut, Blut der Erschlagenen! Du rufst laut, trübes, schwarzes, zu schreckliches Blut! Wende deinen Strom und fleuch! Oder daß jene Gebirge dich bedecken! – Ach! und diese Mutter mit gerungnen Händen, die gen Himmel ruft! Und dieser todte Jüngling mit der stummen Lippe! Er war ihr einziger Sohn! Jener fortgerissene Arm! – Dieser rauchende Schädel! Flieht! flieht! Erbarmt euch meiner,[33] meine Kinder, ihr einsamen Uebrigen, und führt mich von diesem Gefilde weg!

SETH der gen Himmel sieht. Wenn diese gerungenen Hände, wenn dieß Herz, das mit seinem Herzen bricht – –

ADAM. Ist Seth, ist mein Sohn Seth so nahe bei mir? Ich hörte deine Stimme, Seth. Ach, ich habe so sanft geschlummert.

SETH. O ihr Engel, er lächelt! – Kommt, kommt! Komm', Eva! komm', Heman und Selima! und Sunim, du! Kommt, ihr Mütter! laßt uns sein letztes Lächeln sehn! Wir sind Alle hier. Segne uns, mein Vater!

ADAM. Kommt her, meine Kinder! Wo bist du, Seth, daß ich meine Rechte auf dich lege, auf dich, Heman, meine Linke. Selima neige sich an Heman, und Sunim an Seth. Kommt, ihr Mütter, und führt mir eure Söhne her. Eva segne ihre Kinder mit mir!


Sie knien um ihn.


EVA indem sie zuletzt auch niederkniet. Du mußt mich auch segnen, Adam!

ADAM. Ich soll Eva auch segnen? Da hast du meinen Segen: Komm mir eilend nach! Du wurdest bald nach mir geschaffen, du Mutter der Menschen! So müssest du nach mir sterben! Hier ist mein Grab!

EVA. Das waren Worte eines Engels, die du sprachst, o Adam!

ADAM. Das ist mein Segen, meine Kinder, Das ist mein Segen, mit dem ich die Enkel eurer Enkel, mit dem ich das ganze Geschlecht der Menschen segne. – Der Gott eures Vaters, der Staub zum Menschen emporgehoben und ihm eine unsterbliche Seele eingehaucht hat, dessen Erscheinungen ich gesehen habe, der mich gesegnet und gerichtet[34] hat – er, der große Angebetete, gebe euch – viel Schmerzen – und viel Freude! und so erinnere er euch oft, daß ihr sterben müßt, wieder unsterblich zu werden. Was nur die Erde gibt, und der Leib des Todes nur empfängt, Das nehmt, wie der Wandrer, der sich an der Quelle nicht hinsetzt, sondern eilt. Seyd weise, daß euer Herz edel werde! Seyd so edel, daß ihr den großen Werth der Trübsale dieses Lebens ganz verstehn lernt. Liebt euch untereinander! Ihr seyd Brüder! Menschlichkeit müsse eure Wonne seyn! Der sey der größte Mann unter euch, der der menschlichste ist! Es müsse euch an Seths nicht fehlen, die euch an Gott erinnern! Und, wenn der Gott eures Vaters und euer Gott den großen Verheißnen, zu dem ich jetzt gehe, euch sendet: so hebt euer Haupt auf und schaut gen Himmel und betet an und dankt, daß ihr geschaffen seyd! – Aber auch dann noch seyd ihr Erde und müßt zu Erde werden!


Indem er diese letztern Worte spricht, wird ein dumpfes Geräusch in der Ferne gehört.


SETH der ängstlich aufspringt. Hört ihr die Felsen beben?

EVA. Adam!

SETH. Sie beben immer näher herauf!

ADAM. Richter der Welt! ich komme! Indem der Fels krachend einstürzt. O Tod! – Du bist's! Ich sterbe!

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 31-35.
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