Neunzehntes Kapitel

Fortsetzung. Ehen. Kindererziehung. Väterliche Gewalt

[366] Das erste und natürlichste Band unter den Menschen ist das zwischen Mann und Weib; auch diese Verbindung muß die bürgerliche Gesellschaft veredeln, fester knüpfen und durch weise Gesetze den Unordnungen steuern, die den Ehestand verbittern oder trennen könnten, ohne ihn jedoch durch drückenden Zwang zu einem beschwerlichen Joche zu machen.

Im rohen Stande der Natur suchen beide Geschlechter, wenn sie sich verbinden, nichts als Befriedigung ihrer körperlichen Triebe; im bürgerlichen Leben soll die Frau des Mannes treue Gefährtin, Gehülfin, Gesellschafterin, Teilnehmerin an seinen Leiden und Freuden, Mitregentin seines Hauswesens und Mutter und Miterzieherin seiner Kinder sein. Vernunft, Gefühl und Kenntnis der menschlichen Natur sagen uns daher sehr laut, daß ein Mann nicht zugleich mehr Weiber, ein Weib nicht zugleich mehr Männer haben soll und daß das ehliche Bündnis nicht willkürlich, jeden Augenblick, wenn es einem der beiden Teile gefällt, wieder getrennt werden darf. Von einer andern Seite aber würde es hart sein, wenn der Staat zwei Menschen, die in[366] jugendlicher Übereilung sich verbindlich gemacht haben, miteinander zu leben, nachher aber finden, daß ihre Gemütsarten durchaus nicht zueinander passen, und daher beiderseits unter sich darüber einig geworden sind, sich wieder zu trennen, wenn er diese zwingen wollte, einander zur Qual ein unzertrennliches Paar auszumachen. Folgende Gesetze über den Ehestand wird man daher der Vernunft und Billigkeit gemäß finden:

Es muß ein dem Klima angemessenes Alter bestimmt werden, unter welchem Jünglinge und Mädchen nicht heiraten dürfen.

Er und sie melden sich bei der Obrigkeit, lassen sich als Mann und Weib einschreiben und geben zugleich an, welche Art von Gewerbe oder Beschäftigung sie künftig treiben wollen.

Es gibt keine Verwandtschaftsgrade, die ein ehliches Bündnis unter Blutsfreunden unerlaubt machten.

Die Eltern der jungen Leute haben nicht das Recht, der Wahl ihrer Kinder bei den Heiraten Zwang aufzulegen.

Werden aus der Verbindung zweier Personen, die sich nicht als Mann und Weib bei der Obrigkeit angekündigt haben, Kinder erzeugt, so entsteht die Frage, ob der Mann verehlicht oder ledig ist. In beiden Fällen trifft das Kind nicht der geringste Nachteil von dieser Unregelmäßigkeit, sondern dies erbt den Vater wie jedes andre ehliche Kind. Er muß es in sein Haus aufnehmen, und die Obrigkeit wacht darüber, daß er ihm ebensoviel Sorgfalt als den Söhnen und Töchtern widme, die in öffentlicher Ehe erzeugt werden. – Der Name Bastard ist also bei uns gar nicht schimpflich. Wo man den zufälligen Umständen der Geburt und Abstammung keine Vorteile einräumt, da muß man ihnen auch keine nachteiligen Einflüsse gestatten.

Ist nun der Vater des Kindes unverehlicht oder Witwer, so werden beide Eltern vor Gericht gefordert und befragt, was sie abgehalten haben kann, sich auf gesetzmäßige Weise zu verbinden. Zeigen sich ökonomische Hindernisse, so sucht[367] man diese aus dem Wege zu räumen. Wollen aber beide Teile oder will einer von ihnen sich auf keine ehliche Verbindung einlassen, so wird der Vater angehalten, sich des Kindes vollkommen so anzunehmen, als wenn er es in rechtmäßiger Ehe erzeugt hätte. Außerdem legt ihm das Gericht noch eine nach den Umständen zu bestimmende Strafe auf, die, wenn der Fall öfter eintritt, verstärkt wird. Das Mädchen wird nicht bestraft, teils in Rücksicht der Schwäche des Geschlechts, teils um nicht Gelegenheit zu Verheimlichung und Kindermord zu geben.

Ist der Vater ein Ehemann, so muß er das Kind in sein Haus aufnehmen, und es wird ihm eine schwere Strafe auferlegt, doch keine Geldbuße, weil dadurch sein Weib und seine andern Kinder am mehrsten gestraft sein würden.

Ehescheidungen können statthaben, wenn entweder beide Teile es verlangen oder wenn nur der eine Teil darum anhält. In beiden Fällen wird die Klage nicht eher angenommen, als nachdem Mann und Frau drei Jahre lang miteinander gelebt haben, es müßte dann ein bewiesener Ehebruch oder Lebensgefahr von einer Seite die Ursache der verlangten Scheidung sein.

Halten Eheleute, die nach dreijährigem Ehestande durchaus nicht länger miteinander leben zu können glauben, gemeinschaftlich um die Trennung an, so wird ihnen noch ein halbes Jahr Bedenkzeit gegeben. Melden sie sich dann wieder, so werden sie geschieden, dürfen wieder heiraten; dem Mann liegt die Versorgung der Kinder ob, und die Frau muß sich zu ernähren suchen, so gut sie kann.

Bittet einer von den beiden Teilen um die Ehescheidung, so kömmt es auf die Ursache an, weswegen er die Trennung fordert. Bei einem Ehebruche, welcher erwiesen der Frau zur Last fällt, darf der Mann sogleich wieder heiraten; die Frau wird auf eine nach den Umständen zu bestimmende Zeit entweder in ein Strafarbeitshaus oder gar in ein Gefängnis gesetzt und darf nach Verlauf dieser Zeit, wenn sich ein Mann findet, der ihrer begehrt, wieder heiraten. Sie kann[368] sich gebessert haben, und es wäre grausam, sie lebenslang den Qualen eines heftigen Temperaments auszusetzen. Die Kinder, welche der Mann nicht für die seinigen erkennen kann, nimmt der Staat in die Waisenhäuser auf.

Fordert die Frau die Scheidung wegen eines erwiesenen Ehebruchs von seiten des Mannes, so muß dieser die Frau lebenslang unterhalten. Seine Strafe wird ebenso bestimmt wie im vorigen Falle.

Ehescheidungsklagen wegen Unfruchtbarkeit werden nicht angenommen.

Unvermögenheit oder solche Kränklichkeit, die den vertrautesten Umgang unter Eheleuten unmöglich oder gefährlich macht, muß von Ärzten bestätigt werden. Die Scheidung geschieht dann auf gute Weise; beide Teile treten in die Rechte unverheirateter Personen zurück. Sind Kinder da, so muß sie der Mann ernähren. Ist die Frau während der Ehe kränklich geworden, so muß der Mann für ihren Unterhalt sorgen.

Eheleute, die über sechs Jahre lang, ohne gerichtliche Klage gegeneinander, zusammengelebt haben, können, auf Verlangen des einen Teils, nicht so leicht, nach zehnjähriger ruhiger Ehe aber gar nicht geschieden werden; es sei denn, daß bewiesener Ehebruch oder Lebensgefahr die Ursache wäre.

Ehescheidungsklagen von einem Teile, wegen Verschiedenheit der Gemütsart oder dergleichen, werden nicht angenommen; aber gegen Mißhandlungen, Verschwendung des Vermögens etc. schützen die Gerichte und können, wenn gar kein andres Mittel da ist, ex officio scheiden.

Geschiedene Eheleute, die sich zum zweiten Male miteinander verheiraten, können nie wieder getrennt werden.

Da bei uns, wie man in der Folge sehen wird, jeder arbeitsame Mensch mit Weib und Kindern Unterhalt finden, folglich im ganzen Reiche kein Bettler geduldet werden kann, also auch die Schwierigkeit, eine Familie zu ernähren, niemand abhalten darf, sich zu verheiraten, so kann man[369] desto strenger alle Hurerei bestrafen. Deswegen werden Personen beiderlei Geschlechts, welche überwiesen sind, daß sie sich einer liederlichen, ausschweifenden Lebensart ergeben haben, bei der ersten Ertappung scharf gezüchtigt und, wenn sie zum zweitenmal eines solchen Lebenswandels überwiesen werden, sowohl wie Kuppler und Kupplerinnen nach den Umständen zu kurzer, langer oder immerwährender Gefängnisstrafe oder zur Landesverweisung verurteilt.

Es kann dem Staate nicht gleichgültig sein, wie die Kinder der Bürger im Physischen, Intellektuellen und Moralischen erzogen und gebildet werden. Ein großer Teil der Möglichkeit, unsre neue Staatsverfassung einzuführen und dauerhaft zu machen, beruht auf der Hoffnung, daß die folgende Generation so geartet sein soll, daß gesunde Vernunft, gemäßigte Begierden, veredelte Leidenschaften und einfache Sitten bei ihnen die Oberhand über Vorurteile, Phantasie, Sinnlichkeit, Reizbarkeit, Kränklichkeit und Korruption aller Art gewinnen werden, so daß es kaum des Zwanges der Gesetze bedürfen wird, um sie zu solchen Handlungen und Unterlassungen zu bewegen, die verständiger, an Leib und Seele gesunder Menschen würdig sind. Obgleich nun also wirklich der Staat sich als den gemeinschaftlichen Vater seiner jungen Mitbürger ansehen kann und, wenn es ihm obliegt, dafür zu sorgen, daß sie nicht Not leiden und daß sie Genuß des Lebens und der Freiheit haben, ihm auch das Recht zugestanden werden muß, dafür zu sorgen, daß sie nützliche, verständige Menschen werden, die diese Sorgfalt nicht erschweren und vereiteln, so ist es doch der Klugheit und Billigkeit gemäß, sich in das Erziehungsgeschäft nur grade soviel zu mischen, als zweckmäßig ist, die süßen häuslichen Verhältnisse nicht zu trennen, den Eltern die Freude nicht zu rauben, ihre Kinder unter ihren Augen aufwachsen zu sehen, nicht zu veranlassen, daß die Eigenheiten, kleinen Familiensonderbarkeiten, Verschiedenheiten und Mannigfaltigkeiten, die dem geselligen Leben soviel Reiz geben, gänzlich ausgelöscht und alle Menschen[370] im Lande pedantisch nach einerlei Norm und Form gemodelt werden – ohne zu erwähnen, daß wirklich eine vernünftige häusliche Erziehung manche unverkennbare Vorzüge vor der öffentlichen hat. Um hier die Mittelstraße zu halten, schlage ich folgende Einrichtungen vor:

Da wir allen Unterschied der Stände aufheben, so muß man dafür sorgen, daß künftig in ganz Abyssinien wenigstens kein eigentlicher Pöbel gefunden werde, daß folglich alle Bürger im Staate zu einem gewissen Grade von Aufklärung gelangen, ohne jedoch die einzelnen zu hindern, diesen Grad noch zu erhöhen. Unter dieser Aufklärung verstehe ich: eine Sammlung von klaren Begriffen über Menschenverhältnisse, gesellige und bürgerliche Pflichten, eine nicht gelehrte, aber richtige Kenntnis von dem Erdboden und besonders von dem Vaterlande, endlich einige Fertigkeit in solchen Dingen, die uns bei Erlernung und Ausübung jeder Kunst, Wissenschaft und Hantierung zu Hülfe kommen. Deswegen sollen in allen Städten und Dörfern, auf Kosten des Staats, öffentliche Schulen angelegt werden, in welchen allen Kindern, sie mögen künftig bestimmt sein, zu welcher Lebensart es auch sei, unentgeltlich ein gleicher Unterricht im Lesen und Schreiben der Muttersprache sowie im Rechnen erteilt werde; dabei mache man sie mit einigen Hauptsätzen der Naturlehre und Naturgeschichte, des Landbaues und der Meßkunst bekannt, lehre sie ein wenig Geschichte und Erdbeschreibung, rede mit ihnen von den verschiednen Temperamenten der Menschen, von den Regeln der Klugheit und Redlichkeit, die man im Umgange mit diesen verschieden gestimmten Leuten zu beobachten hat, von den natürlichen und geselligen Pflichten, von den Mitteln zu Beförderung eigner und fremder, innerer und äußerer Glückseligkeit und lege ihnen endlich einen Auszug aus den wichtigsten Gesetzen des Landes vor, wobei der vernünftige Grund jedes Gesetzes erklärt werden muß! Dies sind die wichtigsten Vorkenntnisse für jeden Bürger eines gut eingerichteten Staats. Was[371] die Religion betrifft, so rede man mit Ehrfurcht von dem unbegreiflichen Wesen Gottes, des Schöpfers und Erhalters, lehre sie, daß treue Berufserfüllung die beste Weise sei, sich seiner Wohltaten wert zu machen, verbinde mit dem Studium der Geschichte eine Nachricht von den verschiednen Meinungen verschiedner Völker über das Wesen Gottes und der Art, ihm äußere Verehrung zu bezeugen, und überlasse ihnen, sich bei reiferm Alter eine von diesen Methoden zu wählen!

Sobald einem Vater ein Kind geboren wird, ist er verbunden, der Obrigkeit Anzeige davon zu tun, damit das Kind, unter dem Namen, den ihm der Vater gleich bei der Geburt gibt, in die Listen eingetragen werde.

Bis in das zehnte Jahr bleiben die Kinder der Sorgfalt der Eltern einzig überlassen, und der Staat mischt sich nicht in ihre Erziehung.

Hinterläßt ein Hausvater bei seinem Tode unmündige Kinder, so werden denselben Vormünder gesetzt, und zwar jedem Kinde ein eigner. Von den Vormündern hängt es ab, ob sie die Kinder in ihre Häuser aufnehmen und mit ihren Söhnen und Töchtern erziehen oder aber, besonders wenn ökonomische Rücksichten dies notwendig machen, sie dem Staate übergeben wollen. Im letztern Falle werden die Kinder, welche unter zehn Jahre alt sind, dem Waisenhause anvertrauet, diejenigen aber, welche dies Alter schon erreicht haben, bei einem Mitbürger in die Kost gegeben. Der Staat bezahlt eine bestimmte, im ganzen Reiche gleichförmige Summe dafür, und die Kinder besuchen die öffentliche Schule des Orts, wovon schon vorhin ist geredet worden und woselbst sie unentgeltlich in den jedem Bürger nötigen Kenntnissen unterrichtet werden.

Unter einem Waisenhause darf man sich keine solche Anstalt denken, darin armer Leute Kinder dürftig ernährt, unterrichtet und zu den niedrigsten Bestimmungen im Staate zubereitet werden, sondern ein öffentliches Gebäude, worin die Kinder aus allen Klassen der Bürger, wenn sie früh[372] ihre Eltern verlieren, aufgenommen und nicht weniger sorgsam als alle übrige Kinder gebildet und gepflegt werden.

Von den Schulanstalten ist noch folgendes zu sagen. Sobald ein Kind das zehnte Jahr erreicht hat, so ist der Vater oder Vormund verbunden, der Obrigkeit anzuzeigen, ob er demselben häuslichen Privatunterricht geben und geben lassen oder es in die öffentliche Schule schicken will. Im ersten Falle hält die Obrigkeit ein wachsames Auge darauf, daß auch in der Privaterziehung nichts vernachlässigt werde. Zu diesem Endzwecke wird jährlich an gewissen Tagen die Jugend, welche die öffentliche Schule nicht besucht, versammelt und in Gegenwart eines Richters und einiger Zeugen von den öffentlichen Lehrern und Lehrerinnen geprüft. Diese Prüfung erstreckt sich, wie sich das versteht, nicht eigentlich auf gelehrte Kenntnisse; auch wird dabei Rücksicht auf Fähigkeiten, Temperamente und Umstände genommen. Findet sich's aber, daß der Vater oder Vormund sich eine auffallende Nachlässigkeit in der Bildung des Kindes hat zuschulden kommen lassen, so wird er ernstlich zu größerer Sorgsamkeit ermahnt und, wenn dann die nächstjährige Prüfung nicht besser ausfällt, gezwungen, das Kind in die öffentlichen Lehrstunden zu schicken. Hat der Vater Vermögen oder, wenn er nicht mehr lebt, dergleichen hinterlassen, so muß er das festgesetzte jährliche Schulgeld in die Staatskasse bezahlen, wo nicht, so bleibt es bei der Einrichtung, daß die Kinder unentgeltlich die Wohltat des Unterrichts genießen.

Die Wahl der Lehrer und Lehrerinnen liegt der Obrigkeit ob. Es gehören aber diese Personen zu der geachtetsten Klasse unsrer Mitbürger, und wenn wir nicht alle Rangordnungen abgeschafft hätten, so würden sie gewiß zu dem ersten Range gerechnet werden müssen. Sie werden vom Staate so besoldet, daß sie gemächlich und ohne häusliche Sorgen leben können. Unverheiratete Personen werden nie zu öffentlichen Lehrern und Lehrerinnen gewählt, wohl aber Witwer und Witwen.[373]

Es versteht sich, daß in jedem Dorfe und jeder Stadt wenigstens eine besondre Schule für Knaben und eine andre für Mädchen errichtet werde. In letztern wird der literarische Unterricht als Nebensache, die Anweisung zu aller Art weiblichen häuslichen Handarbeit als der Hauptgegenstand betrachtet.

Um aber auch in männlichen Schulen die Kinder an Arbeitsamkeit zu gewöhnen, so ist mit denselben eine Industrieschule verknüpft. Ein mehrere Stunden lang fortdaurender trockner Vortrag ermüdet; recht bequem kann nebenher und in den Zwischenfristen eine nützliche Handarbeit getrieben werden, und es ist ein abgeschmacktes Vorurteil, daß dergleichen für das männliche Geschlecht, besonders für die, welche sich den Wissenschaften widmen, unanständig wäre. Die Arbeiten, welche hier verfertigt werden, liefert der Lehrer in die öffentlichen Magazine ab und erhält von daher die Materialien und Werkzeuge. Was in den Mädchenschulen gearbeitet wird, kömmt gleichfalls dahin. Man wird in der Folge hören, wozu diese Magazine genützt werden.

Der Unterricht in den öffentlichen allgemeinen Schulen wird vom zehnten bis zum funfzehnten Lebensjahre der Kinder fortgesetzt. Sobald ein Kind dies Alter erreicht hat, so ist der Vater oder Vormund verbunden, der Obrigkeit anzuzeigen, zu welcher Lebensart er den jungen Menschen bestimmt. (Die Mädchen bleiben als Gehülfinnen bei ihren Müttern oder Verwandten oder andern guten Leuten, bis sie Gelegenheit finden, sich zu verheiraten.) Leiden es die ökonomischen Umstände, so sorgt nun der Vater oder Vormund dafür, daß der junge Mensch, je nachdem er aus ihm einen Handwerker, Gelehrten, Künstler, Kaufmann, Landmann, oder was er aus ihm machen will, auf eigne Kosten seine Lehrjahre in der neuen Laufbahn antrete; wo nicht, so übernimmt der Staat diese Sorgfalt; dann aber wird der Knabe erst geprüft, und es hängt von der Obrigkeit ab, wenn man ihn zu einem Geschäfte untauglich findet, ihm[374] dazu keine Unterstützung zu geben. Gezwungen wird niemand zu irgendeiner Lebensart; aber dem Staate kann man auch nicht zumuten, Kosten zu verwenden, um Menschen auf Plätze zu stellen, auf welchen sie sich und andern zur Last sind und immer eine schlechte Rolle spielen.

Zwingen darf auch kein Vater den Sohn, eine Lebensart zu ergreifen, zu welcher er keine Neigung hat. Beklagt sich der Sohn desfalls bei der Obrigkeit, so wird die Sache untersucht, und findet man, daß er Geschick und Lust zu einem andern Studium hat, als wozu ihn der Vater bestimmt, so wird dieser angehalten, soviel herzugeben, als er seinem Plane nach verwenden wollte, der Sohn folgt seinem bessern Berufe, und der Staat trägt den Rest der Unkosten.

Bis in das funfzehnte Jahr der Kinder leidet die väterliche Gewalt weiter keine Einschränkung als die, von der vorhin in Ansehung des Unterrichts ist geredet worden; es müßte denn sein, daß grausame, durch Zeugen bewahrheitete Mißhandlungen von seiten der Eltern die Obrigkeit nötigten, sich in ihre häuslichen Geschäfte zu mischen. Nach dem funfzehnten Jahre hingegen gehören die Kinder schon mehr dem Staate als ihren Eltern, können sich gänzlich der väterlichen Gewalt entziehen und sich in den Schutz des Staats begeben. Dann aber ist der Vater auch nicht mehr verbunden, den Sohn zu unterhalten, und dieser muß sich's gefallen lassen, welche Art von Laufbahn ihm der Staat anweisen will, damit er nicht dem gemeinen Wesen zur Last falle. Ist hingegen der Vater von dem Sohne unzufrieden, so kann er gleichfalls (jedoch nicht vor dem funfzehnten Jahre) seine Hand von ihm abziehen. Indem er ihn aber dem Staate übergibt, muß er zugleich eine zu bestimmende Summe zu Abkaufung seiner Verbindlichkeiten in den öffentlichen Schatz erlegen.

Mit dem zwanzigsten Jahre des Jünglings hört alle Gewalt des Vaters über ihn, aber auch alle Verbindlichkeit desselben, ihn zu ernähren, auf.[375]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Traum des Herrn Brick. Berlin 1979, S. 366-376.
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