Elftes Kapitel

[405] Schluß


1.


Und nun, wertester Leser, eile ich zum Schlusse dieses Werks über den Umgang mit Menschen. Finden Sie etwas darin, das Ihrer Aufmerksamkeit wert ist, wird dies Buch vom Publico gütig aufgenommen und billig beurteilt, so wird mir das mehr Freude machen, als mir bis jetzt selbst der beste Erfolg irgendeiner meiner Schriften gewährt hat. Wenigstens hoffe ich, Sie werden hier keine Grundsätze antreffen, deren sich ein rechtschaffner und verständiger Mann schämen dürfte, und, wenn es sonst kein anders Verdienst hat, ihm doch das der Vollständigkeit nicht absprechen; denn ich glaube, daß doch nicht leicht irgendein Verhältnis im geselligen Leben gefunden werden könne, über welches ich nicht etwas gesagt hätte – ob gut oder schlecht oder beides vermischt oder mittelmäßig von Anfang bis zu Ende, das darf ich nicht entscheiden.


2.


Daß ein solches Buch aber, vorausgesetzt nämlich, daß der Gegenstand mit gehöriger Einsicht, Erfahrung und Menschenkenntnis behandelt wäre, nicht nur Jünglingen, sondern selbst Männern Nutzen gewähren könnte, das darf ich wohl behaupten. Man verlangt von feinen, hellsehenden Leuten immer auch esprit de conduite; aber man hat darin unrecht. Dieser Geist des Umgangs erfordert Kaltblütigkeit, Achtsamkeit auf geringe Dinge, auf Kleinigkeiten, die man bei feurigen Genies selten antrifft. Ein Wink hingegen aus einem solchen Buche kann manchen aufmerksam auf Fehler in Behandlung der Menschen machen, auf Fehler, die er an sich aus zu großer Lebhaftigkeit bis jetzt übersehn hatte.
[405]

3.


Ich habe aber in diesem Werke nicht die Kunst lehren wollen, die Menschen zu seinen Endzwecken zu mißbrauchen, über alle nach Gefallen zu herrschen, jeden nach Belieben für unsre eigennützigen Absichten in Bewegung zu setzen. Ich verachte den Satz, daß man aus den Menschen machen könne, was man wolle, wenn man sie bei ihren schwachen Seiten zu fassen verstünde. Nur ein Schurke kann das und will das, weil nur ihm die Mittel zu seinem Zwecke zu gelangen, gleichgültig sind; der ehrliche Mann kann nicht aus allen Menschen alles machen und will das auch nicht; und der Mann von festen Grundsätzen läßt auch nicht alles aus sich machen. Aber das wünscht und das kann jeder Rechtschaffene und Weise bewirken, daß wenigstens die Bessern ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen; daß niemand ihn verachte; daß er Frieden von außen her habe; daß man ihn in Ruhe lasse; daß er Genuß aus dem Umgange mit allen Klassen von Menschen schöpfe; daß andre ihn nicht mißbrauchen oder bei der Nase herumführen. Und wenn er ausdauert, immer konsequent, edel, vorsichtig und grade handelt, so kann er sich allgemeine Achtung erzwingen, kann auch, wenn er die Menschen studiert hat und sich durch keine Schwierigkeit abschrecken läßt, fast jede gute Sache am Ende durchsetzen. Und hierzu die Mittel zu erleichtern und Vorschriften zu geben, die dahin einschlagen – das ist der Zweck dieses Buchs.
[406]

4.


Daß ich bei dieser Gelegenheit die Schwachheiten mancher Klassen von Leuten habe aufdecken müssen, ohne jedoch auf einzelne Subjekte unedle Fingerzeige zu geben, das war wohl sehr natürlich. Aber oh, was hätte ich sagen können, wenn ich mein Buch mit: wirklichen Anekdoten hätte auszieren und spezielle Erfahrungen aus meinem Leben erzählen wollen! – Schmeichle ich mich zu viel, wenn ich hoffe, daß man den Wert dieser Schonung fühlen und mir wenigstens von dieser Seite wird Gerechtigkeit widerfahren lassen?

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Frankfurt a.M. 1977, S. 405-407.
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