19.

[37] Es ist aber leicht einzusehn, daß diese Unvollkommenheit der menschlichen Natur sich bey den Motiven zu moralischen Handlungen, die aus der Nützlichkeit derselben hergenommen sind, nicht mehr offenbahren werde, als bey denen, die aus so genannten reinen Begriffen von Tugend und Pflicht sind abgezogen worden. Im Gegentheil![37] wen weder Gewissenhaftigkeit, noch Achtung für die bürgerlichen Gesetze, noch religiöse Empfindungen bemeistern, der wird mir gradezu die Aechtheit solcher reinen Begriffe abstreiten, und ich werde kein Mittel haben, ihn zu überzeugen; da hingegen aus der Nützlichkeit jeder Handlung Argumenta ad hominem hergenommen werden können, die sich demonstriren lassen und nicht abzuleugnen sind. Man sieht also, daß dies ein weit sichrers, allgemeiner würksames Principium, ein festeres System liefert, als jenes speculative, von der Verschiedenheit der Vorstellungsarten eines Jeden abhängige und veränderliche Grundgebäude.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 37-38.
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