36.

[134] Kömmt nun gar der Vortheil des Staats mit dem persönlichen Eigennutze seiner Diener und mit dem ihrer Herrn Vettern und[134] Creaturen in Collision; dann pflegt jener diesem weichen zu müssen. Man weiß, wie weit in manchen, besonders von geistlichen Fürsten regierten Ländern der Nepotismus, das Verwandtschafts-Regiment und das Protectionswesen getrieben werden. Da kann der verdienstvollste Mann zu keinen Ehrenstellen, nicht einmal zu einer anständigen Versorgung gelangen, muß mit Noth und Druck kämpfen, wird aller Gelegenheit beraubt, seine Kräfte und Talente zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft zu verwenden, wenn es ihm an Familien-Verbindungen fehlt, und er, im Gefühle seiner Würde, die Schleichwege verachtet, welche allein zum Glücke und zur Beförderung führen. Da schreyet der Bedrängte vergebens um Gerechtigkeit, wenn das Interesse irgend eines Großen, oder eines von ihm beschützten Unter-Tyrannen, im Spiele ist; da hemmt das Handbillet einer vornehmen Dame den[135] Lauf der Justiz. Da sind hingegen die unwissenden, nichtswürdigen Söhne, Neffen und Schwäger der herrschenden Magnaten mit ihrem ganzen Anhange in erblichem Besitze aller Vorzüge, Aemter und Güter, welche die Regierung zu ertheilen hat. Ist noch ein Vetter zu versorgen und gerade keine bedeutende Stelle erledigt; so werden ganz neue Bedienungen erschaffen, neue Corps errichtet, um dem Lieblinge zu helfen. In solchen Ländern kann der Staats- und Addreß-Calender zugleich zum genealogischen Handbuche einiger wenigen Familien dienen.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 134-136.
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