38.

[138] Ist es zu verwundern, daß kluge Fürsten endlich so mistrauisch gegen alle Personen werden, von denen sie umgeben sind, daß ihnen jede Empfehlung, jedes Vorwort, jeder Rath, jeder ihnen vorgelegte Plan verdächtig scheint, wenn die Erfahrung sie gelehrt hat, wie oft man ihr Ansehn misbraucht, um Privatabsichten zu begünstigen, den Eigennutz und andre Leidenschaften zu befriedigen? In der That ist fast immer nur die Habsucht und der Ehrgeiz derer, die nahe am Throne stehen, Schuld an dem mannigfaltigen Elende der[138] Völker, das man dann auf die Rechnung der guten Fürsten schreibt, die doch auch Menschen sind, und denen es so schwer gemacht wird, durch den Schleyer hindurch zu blicken, den Eigennutz und Bosheit aus der Hand der Schmeicheley, vor ihre Augen fallen lassen. Wie viel Mühe hat nicht schon ein sorgsamer Hausvater, wenn er seine Wirthschaft gehörig übersehn und nicht betrogen werden will! Und ein einziger Mann sollte die Haushaltung eines ganzen Landes allein so regieren können, daß er nie in Irrthum verfiele, indeß fast alle Menschen um ihn her sich verschworen zu haben scheinen, ihn auf falsche Wege zu locken, die zu ihren eigennützigen Zwecken führen? Leider! geht diese Verschwörung so weit, daß untreue, für das Wohl des Landes wenig besorgte Räthe, um dabey im Trüben fischen zu können, die Regenten selbst verleiten, ihren Nutzen von dem der Unterthanen zu trennen[139] und diese mit Habe und Gute als ihr Eigenthum anzusehn. Wie selten wagt man es einmal, einem Fürsten Plane zu öffentlichen Anlagen, zu wohlthätigen Anstalten vorzulegen, wenn man darauf nicht zugleich einen neuen Finanzzweig pfropfen, kein Interesse damit verbinden, nicht darthun kann, daß die Chatoulle dabey gewinnen oder irgend eine Lieblings-Leidenschaft dadurch befriedigt werden kann!

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 138-140.
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