44.

[159] Man pflegt vor allen den Dienern der verschiedenen Kirchen die Habsucht Schuld zu geben. Dieser Vorwurf wird oft von Verächtern des geistlichen Standes auf übertriebene Art ausgedehnt. Mit Grunde kann man ihn jedoch wohl freylich, so wenig wie andre Stände, ganz davon freysprechen. Und doch ist sein Loos nicht das schlechteste im Staate. Ein Candidat, der die gewöhnliche Zeit auf Universitäten und dann einige Jahre als Hauslehrer zugebracht hat, gelangt oft, bey sehr geringen Gaben und Kenntnissen, viel früher zu einer sichern Versorgung, als der Rechtsgelehrte, Arzt und Kriegsmann. Da trägt ihm dann wohl auch die mittelmäßigste Pfarre, für eine ziemlich bequeme Arbeit, so viel ein,[159] daß, wenn man freye Wohnung, Garten, Feld, Wiese, Zehnten u.d. gl. und den geringen Aufwand, den ein ländlicher Aufenthalt erfordert, mit in Anschlag bringt, mancher lange Jahre durch in Diensten gestandene Rath eines hohen Collegiums, der in der theuren Stadt nur mit Mühe, von seiner kleinen Besoldung, sich und die Seinigen standesmäßig ernähren kann, gern mit ihm tauschen würde. Und doch klagt Jener fast immer und pflegt nicht sehr bereitwillig zu seyn, die geringste ausserordentliche Arbeit unentgeltlich zu übernehmen. Uebrigens aber wäre es dann auch sehr zu wünschen, daß man die Herrn Prediger aller Orten auf feste, sichre, billige Besoldungen setzte, und ihnen die, einem Gelehrten und Geistlichen würklich übel anpassenden Landbau-Geschäfte abnähme, damit sie nicht gezwungen würden, beständig den Geldgewinn vor Augen zu haben, die unwürdige Accidenzien-Jagd[160] zu treiben, den reichern Mitgliedern ihrer Gemeine zu schmeicheln, zu Manchem stillzuschweigen, was sie, vermöge ihrer Amtspflicht, rügen sollten und zuweilen in den Familien Rollen zu übernehmen, die sich nicht für sie schicken.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 159-161.
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