Zweytes Buch.

Die Geschichte des funfzigsten Lebensjahrs.

Sechszehn Jahre waren auf diese Weise dahin geflossen, ähnlich, um eines zwar verbrauchten aber durch kein treffenderes zu ersetzenden Bildes mich zu bedienen, einem Bache, der auf reinem Kieselgrunde zwischen duftenden Blumen und säuselndem Schilfrohr geräuschlos hinabrieselt. Einen einigen großen Schmerz nur hatte der Unerforschliche über mich und mein Haus verhängt, während eines so beträchtlichen Zeitraums. Von vier Kindern, die uns waren geboren worden in unsrer zweyten Heimat (Allwinen, unsre Erstgeborne, hatten wir mit herübergebracht aus der frühern) gefiel es dem, der sie gegeben, uns zweene wieder zu nehmen, das zweyte und das dritte in der Ordnung. O Julie, holdseliges ahnungsvolles Wesen, wie könnt' ich dein vergessen .... Und dein, mein Karl, mein Ebenbild, Sohn meines Herzens, in dessen dunkeln Augen eine Flamme der Begeisterung brannte, mit welcher verglichen, wenn ihr vergönnt worden wäre aufzulodern, diejenige deines Vaters nur gleich einer matten Lohe geglommen hätte .... Zwey und dreissig Monden hatte unsre Julie gelebt zur Freude der Menschen und der Engel. Da erkrankte sie ...[57] weissagte, daß nun die schwarzen Männer sie von hinnen tragen würden ... redete, einer Entzückten oder Traumwandelnden gleich, von einem schönen großen Hause, das ihr angehöre und wohin sie ziehen wolle, jenseit der großen Gewässer. Bis zum vierten Morgen lag sie schmachtend; einmal noch schlug sie auf die schweren Wimper, um die Blumen zu sehn, die Erstlinge des Frühlings, die ich über ihres Lagers weiße Decken gebreitet. Itzt, sprach sie, werde es besser werden, lächelte süß, schloß die schönen Augen, und verschied ... Am ein und zwanzigsten Tag starb auch der Bruder. Acht Monden nur hatte dieser gelebt, die acht trüben frostigen Monden eines einzigen Winters ... O Dunkelheit des menschlichen Looses! ... Nein es gibt, es gibt dennoch ein zweytes Daseyn! ein ersetzendes, entfaltendes, vollendendes!


Ihr Guten und Weisen und Reinen,

Ihr Seelen ohne Schuld und ohne Freude,

Ihr Gebrochnen in der Knospe, ihr Erstickten in der Blüte

Ihr bürget, wer wir seyn, und wer wir werden.1


Eben aber die Gräber meiner Kinder dienten, mich nur noch inniger an den Ort zu fesseln, welchen die Vorsehung mir angewiesen hatte zur Wahlstatt[58] meines Wirkens und Leidens. In der That hatte ich seit geraumer Zeit allen Gedanken an eine Veränderung meiner Lage entsagt. Mehrere bedeutende Anträge, die zumal in den ersten Jahren meiner dermaligen Amtsführung aus dem Auslande an mich ergingen, waren von mir abgelehnt worden. Was hätte mich denn bewegen sollen, jetzt, da der Mittag meines Lebens vorüber war, meine jetzige Lage zu vertauschen mit einer andern, die auf jeden Fall weder ruhiger noch würdiger ausfallen konnte, als jene, worin ich bis jetzt mir so sehr gefallen. Eines sorgenlosen Auskommens genoß ich. Von zeitlicher bürgerlicher Ehre war mir mehr zu Theil geworden, als ich bedurfte, seit der König mir aus eigner Bewegung die bis itzt in unsern Landen nicht gewöhnliche Würde seines Consistorial-Raths und zugleich mit ihr die des ersten Geistlichen in Rügen verliehen hatte. Des Zutrauens und der Zufriedenheit meiner Gemeindegenossen war ich versichert. Die Kinder, die mir Gott gelassen, liessen hoffen, in Betracht ihrer schönen Anlagen und seltnen Talente, daß ich nur Ehre und Freude an ihnen erleben würde. Meine Tage flossen dahin, getheilt zwischen belohnenden Mühen und unschuldigen Erheiterungen. Ich glaubte mich gedeckt gegen die Stürme des Lebens; und o wie oft wenn ich in der Dämmerung unter den Pappeln und Espen meines Kirchhofs wandelte, unfern des geweiheten Erdreichs,[59] in welchem meine Kinder ruhten, und wo auch ich von des Lebens Mühen dereinstens auszuruhen hofte, habe ich mit dem Psalmdichter gesprochen: »Hie sey meine Ruhe ewiglich! Hie will ich wohnen und bleiben, denn es gefällt mir wohl!«

Zwar Europa war umgewälzt worden in seinem ganzen Umfange, gerade seit den sechszehn Jahren, wo ich sammt den Meinen in diesen Winkel der Welt mich geflüchtet hatte Der majestätische, aber längst untergrabne Prachtbau des heiligen Römischen Reichs war erschüttert worden in seinen Grundfesten. Aus allen Richtungen schollen die Zeitungen zu uns herüber von länderverwüstenden Kriegen, von Schlachten, darin ganze Generationen waren abgemähet worden, von gestürzten Thronen, untergegangenen Reichen, im Elend umherwandelnden Königen und Königskindern. Mitten in der allgemeinen Erschütterung glaubten wir allein einen Frey- und Schutzbrief gewonnen zu haben, der uns sicherte gegen die Drangsale der Zeit. Wir hielten uns gedeckt vor allen Stürmen in unsrer Ferne und Enge. Nicht möglich schien es uns, daß unsre stille Insel jemals ähnlicher Zerrüttungen Tummelplatz werden könne. Wie sehr irrten wir! Wir sollten es erleben, und binnen kurzem, daß Rügen, gerade Rügen heimgesucht und überschwemmet würde, fast von allen kriegenden Völkern Europens: Russen, Preussen, Schweden, Dänen, Engländer, Holländer,[60] Franzosen, Spanier, Italier, Polen, alle Völker endlich des Rheinbundes sollten uns drängen; die Oesterreicher nur und die Türken sollten fehlen.

Schon die wachsende Erbitterung unsers Königs gegen den welterschütternden Eroberer des Tages hätte uns können ahnen lassen, was folgen müsse. Nachdem Letzterer die feindliche Stellung des Erstern lange genug nicht zu kennen, sich angestellt, konnte der wirkliche Ausbruch der Feindseligkeiten auf die Länge nicht weiter verhütet werden. Zum dritten Mal erschien Gustav Adolf in seinen deutschen Staaten, diesmal als Heerführer und als Krieger. Die einstweilige schwüle Stille, die dem Losbrechen des Gewitters vorausging, benutzte der zwar wohlmeinende und Gutes beabsichtigende König, der aber groß gesäugt worden in den Grundsätzen einer schrankenlosen Willkühr, die Verfassung unsrer Provinz umzustürzen, unsre Regierung zu entlassen, unsre Stände zu vernichten, dagegen einen Satrapen uns zu setzen, in dessen Person sich concentriren sollte die ganze ausübende Gewalt des Landes. Manches Löbliche ward beschlossen allerdings. Die Leibeigenheit, das Brandmal des Staates, ward getilgt; die Patrimonialgerichte wurden gestrichen; dem Landbau und der Schifffahrt sollte aufgeholfen, auch der Religiosität, oder wenn nicht dieser, so doch ihrer Hülse, dem Kirchenthum ein neues Leben gegeben werden. Allein auch das Löbliche ward scheltenswürdig[61] durch die Willkühr, gehässig durch die Rücksichtlosigkeit, womit es sollte durchgesetzt werden. Daß unter solchen Umständen auch der Clerus nicht wenig werde gefährdet worden seyn in seinen wohlhergebrachten Freyheiten und Gerechtsamen, läßt sich erachten. Mancherley Arbeiten wurden uns aufgebürdet, welche fremd waren unserm Beruf, und unverträglich mit dessen Würde. Jene heillose, alles erspähende, alles rubricirende, alles unter den Calcul ziehende Tabellenpedanterey, die bisher in den Schwedischen Landen obgewaltet, sollte nun auch in unsrer Provinz eingeführt werden, und wem hätte man die nutzloseste und gehässigste aller Plackereien aufschultern sollen, als den Predigern, die in Folge deren nicht nur in manche verdrießliche Reibung mit ihren Gemeindgenossen geriethen, als welche dieses unverschämte Erkundschaften aller ihrer Umstände zum äußersten verabscheun, sondern von nun an auch manche edle unschätzbare Stunde verschwenden mußten, um Buch zu halten, nicht etwa über die menschlichen Seelen, die innerhalb ihrer Sprengel ans Licht gefördert worden; sondern über Rind und Roß, Bock und Schaaf, über jede trächtige Sau, jede Brutgans und jeden Bienenschwarm; demnächst über jeden Scheffel Getreides, der in den Acker fiel, und wiederum über jeden, der davon eingeerntet wurde. Mißlicher noch ward des Clerus Lage, als eine Landwehr ausgehoben, und zu deren Behuf eine Art von Conscription eingeführt[62] ward, da dann das feindseligste und abschreckendste aller Geschäfte gerade denen aufgebürdet wurde, welche berufen worden, als Tröster nur, und als Friedensboten in den Hütten der Armen zu erscheinen. Zum Ersatz für so manche Herabwürdigung ward uns die Landstandschaft aufgedrungen, welche nur dazu dienen konnte, uns desto tiefer in die weltlichen Händel zu verwickeln. Es wurden dem zu Folge Männer erwählt, welche uns vertreten sollten auf dem Landtag, der zu Begründung einer neuen Constitution (so glaubten wir) nach Greifswald zusammen berufen worden. Ich meines Theils befand mich nicht unter den Erwählten. Um jedoch, so viel an mir war, mitzuwirken, daß über dem Zeitlichen das Ewige nicht gar vergessen würde, schrieb ich einige mahnende Worte: An die Erwählten des zweyten Standes, die dann auch des Königs Beyfall erhielten, und auf seinen Befehl auf dem Landtag vertheilt wurden.2 Auch den Katechismus des Erzbischofs Olaf Suebilius, welcher bestimmt war, von nun an ausschließend als Leitfaden gebraucht zu werden beym Religionsunterricht der Jugend unsers Volks, habe ich übersetzt in diesen Tagen, getreu dem Sinn, weniger ängstlich besorgt um den Buchstab und die Worte.[63]

Ich überreichte diese Arbeit dem König, der sie mit Güte aufnahm, versichernd, daß solche sofort dem Erzbischof von Upsala sollte zugesendet werden, welchem als dem obersten Priester des Reiches zukomme das Werk zu prüfen, und sein Urtheil darüber abzugeben.3

Inzwischen war an jenem verhängnißvollen vierzehnten October der erschütternde Schlag erfolgt, in dessen Folge die von dem zweyten großen Friedrich mit sechs und vierzigjähriger Arbeit aufgeführte Monarchie innerhalb kaum so vieler Tage zusammenstürzte, freilich nur, um nach einer kurzen Frist der Prüfung und der Läuterung aus ihrer Asche wieder hervorzugrünen, ein neuverjüngter sonnanstrebender Adler. Mit reissendem Ungestüm ward binnen wenig Wochen die Hälfte des Reiches erobert. Schon stand der Feind an unsern Gränzen. Streifende Rotten brachen in das Land, plünderten auf den Dörfern und brandschazten selbst bedeutendere Städte. Immer ängstender und beklemmender ward unsre Lage. Der König war mit dem Eintritt des Herbstes in sein Reich zurückgekehrt, und die Kriegesvölker, die er uns zurückgelassen, wurden nicht einmal stark genug geachtet,[64] auf den Fall eines ernsthaften Angrifs, die Festung gebührend zu vertheidigen, geschweige die Gränze zu decken. Unter bangen Besorgnissen verstrich der melancholische November. Im December starb mein hochbejahrter Gehülfe, nachdem er Sonntags vorher noch zugleich mit mir das erneute Kirchenjahr begrüßt, auch aus Gelegenheit des Adventtextes über Pauli Worte gepredigt hatte: »Sintemahl unser Heil jetzt näher ist, denn da wirs glaubten.« Er war mir freilich wenig hülfreich mehr gewesen seit den letzten Jahren; doch hatte er die pur mechanischen Geschäfte noch verrichtet, das Begleiten der Leichen z.B. und die Diaconalien am Altar, deren ich dann von nun an selbst wahrnehmen mußte. Die Besetzung des Diaconats ist lediglich dem Pastor heimgestellt, welcher, wann er eines Gehülfen zu bedürfen glaubt, nach einem tüchtigen Mann sich umsieht, selbigen dem Generalsuperintendenten vorstellt, und nachdem er von diesem geprüft, gebilligt und ordinirt worden, ihm die Vocation ertheilt, auch selbst bey der Gemeinde ihn einführt, und matrikelmäßig salarirt. Ich beschloß, die so mißliche Wiederbesetzung nicht zu übereilen, mithin das Amt einstweilen allein zu verwalten, was mir dann auch nicht schwer ward, vielmehr jene überweltliche Stimmung, in welcher das Gemüth des Predigers sich allewege befinden soll, auf immer gleicher Höhe zu erhalten diente.

Mittlerweile fuhren die Feinde fort, sowohl die[65] östliche als die westliche Gränze unsres Landes zu bedrohen. Da uns jedoch nicht unbekannt geblieben, daß zwischen dem feindlichen Feldherrn und dem der Unsern fortwährend unterhandelt werde, da versichert wurde, daß Ersterer bey Todesstrafe verboten habe, über die Peene zu gehn, da nicht wahrscheinlich war, daß Napoleon, im Begriff, gegen den mächtigsten und furchtbarsten seiner Gegner in das Feld zu ziehn, den Widersacher im Rücken ohne Noth reizen werde; so fingen wir unsers Ortes an, Besseres zu hoffen, und in Pommern zumal war man eines Angriffs so wenig vermuthend, daß der oberste Befehlshaber fern von seinem Posten sich auf der wilden Schweinsjagd befand, während der Uebergang erfolgte, und nur kaum noch Zeit gewann, sich in die Festung zu werfen. Schon mit dem Abend des folgenden Tages wurden wir geschreckt auf unserm entlegenen Lande, durch die betäubende Zeitung: daß der Feind über die Gränze gebrochen, das offne Land überschwemmt, Greifswald mit dem Degen in der Faust genommen, und bereits unter den Wällen von Stralsund gelagert wäre; daß dreytausend Mann befehligt seyn, Rügen zu nehmen, und nur den Augenblick erwarten, wo das Eis, das angefangen unsre Gewässer zu decken, stark genug seyn würde, den Uebergang zu verstatten. Schauderhafte Geschichten wurden erzählt zugleich, wie das Land mit Feuer und Schwert verwüstet, die Dörfer[66] geplündert, die Wohnungen ausgeraubt, die Menschen gemißhandelt, Frauen und Mägdlein mit fortgeschleppt würden in das Lager. In der That sahen wir, so wie es dunkel ward, den Himmel geröthet in der Gegend von Stralsund, was freilich nur vom Wiederschein der Lagerfeuer herrührte, was aber niemand ermangelte auf die brennenden Häuser und Hütten zu beziehn. Da bemächtigten sich Angst und Entsetzen aller Gemüther. Keiner war vorhanden unter uns allen, der den Krieg anderswoher kannte, als aus den Historienbüchern, ingleichen aus den Erzählungen unserer Alten, die dann wieder nur davon reden gehört ihre Aeltern und Großältern. Denn seit Karl des Zwölften Zeiten hatten keine feindlichen Völker auch nur den Boden unsrer Insel berührt; kein Bajonet ward bey uns gesehn; kein Trommelschlag gehört; fiel einmal ein Schuß, so galt es einem Hasen oder einem Habicht. Um so ängstender traf uns der Gedanke, daß das Furchtbarste alles Furchtbaren, daß die Landplage und Gottesstrafe des Krieges nun auch von uns erprobet werden solle. Wir standen in der Mitte des Januar. Der Winter, der bis dahin ungewöhnlich milde gewesen, hatte angefangen, einen strengen Charakter anzunehmen. Unsre Gewässer befanden sich auf dem Punkt, aus dem flüssigen Zustande überzugehn in den festen. Nur noch vier und zwanzig Stunden brauchte der Frost anzuhalten, um die Brücke[67] war geschlagen, und auch unsre Insel ward ein Raub des Feindes. Bey solcher Gestalt der Sachen glaubte ein jeder bedacht seyn zu müssen auf die Rettung dessen, was ihm das Liebste war, der Seele, der Habe, der Frauen und der Kinder. Die Einen warfen sich in das Gebet; die andern gaben Almosen; mancher armer Sünder schlug in sich, und hätte sich gern Eines Schlages bekehrt, wenn er nur gewußt die Sache anzugreifen. Man bestellte sein Haus; man bezahlte die Schulden; man gönnte dem Gläubiger doch lieber das Geld, als dem feindlichen Räuber. Was übrig blieb, war man bedacht zu verbergen; was wiederum neue Sorge brachte, indem nicht leichtlich jemand dem andern traute, vielmehr jeder verrathen zu werden fürchtete von denen, die ihm die nächsten waren. So geschah denn, daß, was etwa gestern vergraben worden, heute wieder herausgeholt wurde, um morgen anderswo untergebracht zu werden, wo man es übermorgen eben so wenig sicher glaubte. Mir meines Theils ward von einem ganz glaubenwerthen Mann ein heimlicher, auch von der geübtesten Spürnase schwerlich auszuwitternder Ort in der Kirche angezeigt; dahin flüchtete ich den Kirchenschatz, sammt den eignen wenigen Kostbarkeiten; wobey mich ein Lächeln anwandelte und ein Weinen zugleich, als auch mein jüngeres Mägdlein herangeschlichen kam, und ihr einziges Kleinod, ein kleines güldnes Kreuz,[68] mir brachte, welches sie verwahrt zu sehen wünschte neben den andern Schätzen. In diesen Tagen des bleichen Entsetzens, wo »die Menschen zu verschmachten meinten vor Furcht und Erwarten der Dinge, die da kommen sollten,« brach, damit das Maß voll werde, Feuer aus an unserm Wohnorte in der nächsten Sonnabendsnacht. Ich hatte so eben meine Studien beendigt für die morgende Predigt, und war im Begriff, mich zur Ruhe zu verfügen, nicht wissend, ob mir vergönnt seyn werde, ihrer ungestört zu geniessen, denn es fror noch immer, obgleich nicht stark, als die fürchterliche Sturmglocke erklang. Schon dachte ich, der Feind sey im Lande und im Orte selber. Indem ich mich zusammennahm und zu fassen suchte, sah ich die vor meinem Fenster hoch emporschlagende Flamme, grausig abstechend mit dem blendenden frischgefallenen Schnee. Es war unsrer ärmlichsten Hütten eine, deren fast bis auf den Boden herabreichendes Strohdach war ergriffen worden von der Flamme des Herdes. Glücklicher Weise stand der Wind abwärts vom Dorf. Es kam bald Hülfe. Zweckmäßige Löschanstalten fehlten nicht; auch eine tüchtige Feuersprütze hatte ich angeschaft. Sobald nun diese in Arbeit gesetzt worden, wurden wir der Flamme bald mächtig. Es ward gerettet, was noch zu retten stand. Die gelitten hatten, waren leicht entschädigt. Und dieser Schreck blieb ohne fernere Folgen.

Aber auch aus der frühern ungleich dringendern[69] Gefahr wurden wir für diesmal gnädiglich errettet. Der Frost ließ nach. Es fiel Regenwetter ein, und nie, auch in Zeiten der lechzendsten Dürre nicht, wo das Erdreich borst, und alle Kreatur zu verschmachten drohte, ist der Regen uns erwünschter gekommen, als eben itzt, wo er die uns schützenden Gewässer zu lösen diente. Auch unsre Vertheidiger hatten sich inzwischen zusammen genommen. Von der schwachen Macht, die innerhalb Stralsunds Wällen lag, war ein Theil herübergeschickt worden auf die Insel, um die am meisten ausgesetzte Küste zu decken. Unsre Landwehr säumte nicht, ihr zur Seite zu treten. Da nun auch die Kanonenböte sich in die allmählig wieder schiffbar werdenden Engen legten, so ließ man uns hoffen, daß, falls auch ein neuer Frost einträte, dem Feinde nicht mehr möglich seyn werde uns zu nehmen; was wir in Betracht seiner unverhältnißmäßigen Ueberlegenheit zu bezweifeln Ursach hatten. Glücklicherweise kam es nicht zur Probe. Die Gewässer blieben offen. Die Witterung ward schon im März ganz milde und frühlingsmäßig. Die starken Verluste, welche Napoleon erlitten in jener Reihe von blutigen Gefechten, welche der mörderische Tag bey Eylau beschloß, nöthigte ihn, alle Schaaren, über die er nur immer verfügen konnte, um sich her zu versammeln, und auch Mortier ward abgerufen mit dem Anfang des April. Die Einschliessung Stralsunds ward nun aufgehoben; und die Unsrigen[70] ermangelten nicht, den abziehenden Feind zu verfolgen. Mehrere hundert Gefangene wurden ihm abgenommen; auch Einiges vom Gepäck ward siegprangend eingebracht. Groß war der Jubel, überschwenglich das Frohlocken. Ein Dank-und Siegesfest ward angeordnet für das ganze Land; da dann ich meiner Seits Anlaß nahm, von den Worten, die ich mir zum Text gewählt, den Worten Davids: »Nicht uns Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gebührt die Ehre!« zu warnen vor frechem Uebermuth, eitler Ruhmredigkeit, sündlicher Selbstvermessenheit; wie auch vor schnöder Verhöhnung des mit nichten durch unsre Kraft zurückgeworfenen Feindes; zu mahnen zur Demuth, Mäßigung, ruhiger Fassung, gläubiger Ergebung in die Fügung dessen, deß Gedanken nicht unsre Gedanken sind, noch seine Wege die unsern ... Es zeigte sich bald, daß solche Worte an der Zeit seyn. Noch läuteten unsre Freudenglocken, als Nachricht einging, daß die Unsrigen, die allzu kühn und weit vorgebrochen waren, von dem schnell sich wendenden Mortier mit Verlust zurückgepreßt seyn. Jedoch der Feind hatte Ernsteres zu thun. Zufrieden, die Verfolgenden in ihre Marken zurückgewiesen zu haben, schloß er den Stillstand, anfangs für zehen Tage, demnächst auf vier Wochen; jedoch gefiel dem König, nur für die früher anberahmte kürzere Frist ihn anzuerkennen.[71]

Jetzt, da die Verbindung mit dem festen Lande wie der hergestellt worden, von welchem wir waren abgeschlossen gewesen durch mehr denn hundert Tage, hatte niemand Eiligeres, als Nachricht einzuziehn, wie es den drüben wohnenden Freunden, Angehörigen und Verwandten möge ergangen seyn in den verstrichnen trübsalvollen Tagen. Leider zeigte es sich, daß gerade die, welche uns und unser Haus am nächsten angingen, das allerherbeste betroffen habe. Ein Vaterbruder meiner Gattin, ein sechs und siebenzigjähriger Greis, der auf seinem, an der Heerstraße zwischen Anclam und Greifswald belegenen Landsitz ruhig wohnte, war am Tage des Einbruchs selber, nachdem den Tag über die geregelten Schaaren in höchster Ordnung und unter strengster Mannszucht durch sein Dorf und seinem Gehöft vorüber gezogen, zu Abend überfallen worden von einer streifenden Rotte, die sofort die Thüren aufgesprengt, die Fenster eingeschlagen, Schränke und Kasten erbrochen, den Hausrath zerstört, Baarschaft und Kostbarkeiten geraubt, Betten, Kleidung, Vorräthe aller Art auf Wagen geladen und mit fortgeschleppt haben. Ihn selbst, den müden und fast kranken Greis hatte man aus dem Bette geworfen, gestoßen, geschlagen, zerhauen endlich, und in seinem Blute schwimmend liegen lassen auf dem Boden. Die Schwester meiner Gattin, welche seit vielen Jahren dem Hauswesen des Alten vorgestanden, in[72] der äußersten Gefahr jeder Mishandlung war mit Noth entsprungen, aus einer Hinterthür in den Garten geschlüpft, und von dort die halbgefrornen Teiche hinüber in den nahen Park geflüchtet, von wannen sie während der Nacht über Feld und Wald durch Schnee und Eis sich in das nächste Städtchen gerettet hatte. Als sie Tags darauf mit großer Angst und Zagen zurückgekehrt zur verwüsteten Wohnung, findet sie den Oheim noch athmend, aber bewußtlos. Er starb nach wenig Stunden. Das schöne große Gut war nun ihre; aber ausgeeleert die Scheuren, Vieh und Fahrniß geraubt, auseinander gesprengt die Leute; die Durchzüge dauerten fort; endlose Requisitionen nahmen ihren Anfang .... Daß sie es ertragen, daß sie es bestanden, und überwunden, ist mehr als der Kraft eines schwachen weiblichen Wesens möchte zugetrauet werden.

Die größere gedankenlose Menge hielt sich von nun an, wie wir hier zu Lande reden, allen Falken entflogen; sie glaubte die Krallen des Adlers für immer abgestumpft. Andre, tiefer schauende, solche zumal, die unsers Königs Eigenthümlichkeit kannten, ahnten Schlimmeres. Zum vierten Mal erschien Gustav Adolf auf unsern Küsten; und leider standen auch diesmal die Hülfsquellen, die er sich eröffnet, nicht im geringsten Verhältniß zu dem gewaltigen Werk, das er bezweckte. Zwar wurde das kleine Schwedische[73] Heer, verstärkt durch einige wohl meistens aus versprengtem Volk neugesammelte preußische Schaaren. Auch ward im Julius die brave Englisch-deutsche Legion gelandet auf dem südlichsten Punkt der Insel. Unser kleines Land gab her von Leuten, so viel es vermochte. Immer noch war das Heer viel zu unbedeutend, an dessen Spitze des ersten treflichen Gustav Adolfs Namengenosse, Nachfolger und Nacheiferer einen Kampf, wie dieser, zu bestehen wagte. Und dennoch, hätte nur der Geist des Alten auf ihm geruht, wäre nur die Energie des Handelns bey ihm so stark gewesen, als die Festigkeit des Wollens; leichtlich hätte er auch mit seinem kleinen vom besten Willen beseelten Heer im Rücken des eben damals auf Tod und Leben kämpfenden Eroberers eine Diversion bewirken mögen, die wider jenen entschieden hätte. So aber fuhr er fort, die Waffenruhe zu bewahren, so lange der Bruch derselben der gemeinen Sache noch hätte nutzen können, und hob sie auf nicht eher, als da dieses Aufheben jedes vernünftigen Zweckes ermangelte. Die Schlacht bey Friedland ging verloren. Die Zusammenkunft zu Tilsit erfolgte. Die kriegenden Mächte vertrugen sich. Die Preussen wurden abgerufen, die Hannoveraner wieder eingeschifft. Und eben jetzt, da nur Er auf dem verödeten Kampfplatz zurückgeblieben, kündigte Gustav Adolf seinen Waffenstillstand auf; sich einbildend, wie es scheint, daß[74] die Ehrerbietung, die er dem Feind, der ihm wirklich bis dahin unglaublich nachgesehn und nachgegeben, durch seine feste Haltung einzuflößen gewußt, denselben hindern würde, seine geheiligte Person, für welche dieser König selbst eine Art von religiöser Scheu zu tragen scheint, im Ernst anzugreifen. Er irrte. Die letzte Viertelstunde des aufgekündigten Waffenstillstandes war kaum abgelaufen, als Brune aufbrach, diesmal mit funfzigtausend Streitern. Im Sturmschritt ward das Land genommen. Die zwar feste Stellung der Schweden ward theils umgangen, und theils durchbrochen. Männer von Einsicht sind der Meinung, daß der König mit sammt seinem Heer habe abgeschnitten und genommen werden können, wenn es dem Marschall ein Ernst gewesen wäre. Sey dem wie ihm wolle, dem König gelang, sich zu retten hinter Stralsunds Wälle, und sofort nahm die Belagerung ihren Anfang.

Da es diesmal keine bloße Einschließung galt, kein Beobachten des Feindes, wie es im Winter der Fall gewesen; da vielmehr alles ankündigte, daß der Feind entschlossen sey, den Platz zu nehmen, es koste, was es wolle; so schien es den Einwohnern Stralsunds an der Zeit, für die Sicherheit ihrer Familien zu sorgen: Die Frauen und die Kinder wurden zu uns herübergesandt auf unsre zur Zeit noch nicht gefährdete Insel. Ihnen folgte, was sich wehrlos fühlte,[75] und sich nicht berufen fand die Schrecknisse einer mit Sturm eroberten, oder durch Brandkugeln zu Grunde gerichteten Stadt abzuwarten. Das ganze Land, das entlegene Wittow, auch unser Wohnort, unsre Wohnung endlich selber ward überfüllt mit Geflüchteten, die froh waren, für den Augenblick ein Unterkommen zu finden. Es war eine schöne schwüle gesellige Zeit. Man schloß sich inniger an einander an im Gefühl der allen gemeinsamen Gefahr. Die Lebensgeister waren geschwellt zur größtmöglichsten Höhe durch die gewaltige Spannung. Unsre Wohnung ward nicht leer von solchen, die da kamen und gingen. Allstündlich wurden neue Zeitungen einberichtet, von dem was vorgefallen innerhalb und außerhalb der Festung. Nicht selten wurden wir über der Mahlzeit geschreckt, nicht selten aus tiefem Schlummer aufgestört durch das Krachen des Geschützes, dessen Donnerschläge sich über die See zu uns herüberwälzten, wundersamlich vervielfacht und verstärkt durch die Umgebung, also daß man uns versicherte, es habe weit heftiger bey uns geknallt, als an Ort und Stelle selber. Vier Wochen verstrichen. Jetzt hieß es, alles sey bereit, die Laufgräben beendigt, das Geschütz aufgepflanzt, die Vorposten seyn geworfen, die Feste zum letztenmal aufgefodert, mit nächster Nacht werde das Bombardement seinen Anfang nehmen. Große Wehklage erhob sich nun unter den Geflüchteten. Jeden Augenblick[76] fürchteten sie die feuersprühenden Bälle steigen zu sehn, deren jeder ein geliebtes Haupt zu treffen, eine heimische vertraute Stätte zu verwüsten drohte. Da mit einmal erscholl die Nachricht: die Festung sey geräumt, die Stadt preisgegeben, der König habe mit dem letzten Mann sich zurückgezogen auf die Insel.

Dem war in der That also. Gustav Adolf, der sich nicht länger gegen die Ueberzeugung sträuben gekonnt, daß in einem Platz, der weder mit Casematten versehn, noch mit hinlänglichen Vertheidigungsmitteln ausgerüstet sey, seine Person nicht ferner gesichert wäre, war der Uebermacht endlich gewichen. Verschmähend mit dem Feinde einige Unterhandlung anzuspinnen, hatte er vorgezogen, in der Stille und in den Schatten der Nacht mitsamt seinem Volk nach der Insel überzusetzen, den belagerten Einwohnern aber heimgestellt, mit den Belagerern sich zu vertragen, so gut sie könnten. So waren denn diese eingezogen in die offnen Thore, ohne daß die geringste vorläufige Berathung wäre gepflogen worden. Keine Unordnung war gleichwohl erfolgt. Keine Gewaltthat ward verübt. Der Marschall selbst hatte nichts eiligers, als sich in den Wagen der Deputirten, welche die Stadt an ihn abgeordnet, zu setzen, und durch seine Gegenwart aller Ungebühr zu steuern. Ungesäumt wurden die Quartiere vertheilt, die Truppen eingewiesen, und Ordnung und Ruhe blieben gesichert.[77]

Während in unsern Cirkeln noch debattirt wurde, in wie fern der eingegangnen Zeitung, die vielen unglaublich däuchte, zu trauen sey oder nicht, trafen schon die Eilboten und Briefe ein von den in der Stadt Zurückgebliebnen an die geflüchteten Ihrigen: »Man solle eilig zurückkehren, man sey sicherer in der Stadt jetzt, als auf der Insel; der König gestatte die Rückkehr, und auch der Marschall habe versprochen, derselben kein Hinderniß in den Weg zu legen; man dürfe sich nicht fürchten; die Fremden seyn artig genug; strenge Mannszucht werde gehalten; die allerdings beschwerliche und kostbare Einquartierung abgerechnet, sey der Zustand ganz erträglich.« ... Ungesäumt wurden nun alle Fuhrwerke und Fahrzeuge des Landes in Beschlag genommen, und mit theurem Gelde bezahlt. Mit Wehmuth sahen wir unsre Gäste reisen. Sie hatten überstanden. Jetzt war, zu überstehen, an uns. Der König, obgleich sein schwaches Heer durch die Ausfälle, die Krankheiten, und selbst durch den Mangel bis unter die Hälfte berabgeschmolzen war, obgleich, wie ein sachkundiger Offizier mich versicherte, keine fünftausend fechtende Leute ihm übrig blieben; obgleich der Dänholm, die letzte Vorburg unsrer Insel, wenige Nächte nach der Räumung durch Ueberrumpelung war genommen worden; obgleich bekannt war, daß aus allen Seestädten Pommerns, Preussens und Mecklenburgs, daß selbst von Hamburg und Lübeck[78] her, Fahrzeuge aller Art auf Wagen herbeygeschaft würden, um mittelst ihrer die Landung zu bewerkstelligen; dennoch bestand Er, der König, darauf, die Insel vertheidigen zu wollen. Doch jetzt erkrankte er. Rath- und hülflos, in dumpfen Trübsinn versunken, gab er den Oberbefehl des Heeres auf, und zog einstweilen sich zurück nach Bergen, wo er noch einige Tage verlebte, einsam, melancholisch, unzugänglich einem jeden. Mittlerweile hatte Brune seine Anstalten vollendet. Mittelst zweyer falscher Angriffe sollte die Aufmerksamkeit der Unsrigen abgelenkt werden von dem Punkt, auf welchen der eigentlich ernstliche und schwerlich abzuschlagende Angriff berechnet war. Man mochte Kenntniß davon bekommen haben. Der König mochte gewarnt seyn. Er wich dem Verhängniß. Er willigte darein, zu reisen. So schwach fühlte er sich abgehend, daß die Räder des Wagens zum öftern gesperrt werden mußten, weil er jede raschere Bewegung nicht zu ertragen vermochte. So bald er sich eingeschifft hatte, capitulirte der zurückgebliebene Feldherr.

Die Bedingungen, die der Marschall den schwedischen Kriegern zugestand, waren in Betracht der Umstände schonend und günstig genug. Allein auch diesmal war für das Land und dessen Bewohner nicht das Geringste stipulirt worden. Der Marschall selbst, wie ich von Solchen weiß, die dabey gewesen, äußerte gegen die Abgeordneten des Landes sein Befremden über[79] diese Vernachlässigung; hinzusetzend jedoch, daß das Land nicht leiden solle unter der Gleichgültigkeit, womit es von seinen bisherigen Beherrschern behandelt werde; daß in deren Ermanglung er dasselbe in Schutz nehmen und darüber halten wolle, daß weder das Eigenthum, noch die Sicherheit der Personen im Geringsten gefährdet werde. Er hat Wort gehalten, insofern es von ihm abhing.

Mit Wehmuth gedenke ich der letzten ruhigen und stillen Tage, der letzten Sonntage zumal, die ich verlebte vor des Landes Ueberlieferung im Kreise meiner Gemeinde. Jene Geflüchteten, welche an den frühern Tagen meine Kirche fast überfüllt, waren nun heimgezogen. Ich war wieder allein mit meinen Pflegbefohlnen, die dann freilich durch den Ernst der Zeitumstände nachdenkender und gelehriger gestimmt seyn mochten, als in bessern Tagen eben allemal der Fall gewesen. So versäumte ich dann nicht, veranlaßt durch die schönen Evangelien, die auf diese Sonntage fallen, vom Tauben und Stummen, vom heilsbegierigen Jüngling, vom dankbaren Samariter, von den Lilien auf dem Felde, sie vorzubereiten zu den Dingen, die da kommen möchten, und die Fassung, Ruhe, stille und kindliche Ergebung sie zu lehren, mit deren Hülfe auch das Schwerste überstanden, und dem Feinde selbst Schonung und Achtung abgewonnen werden möge. Der letzte dieser ruhigern Sonntage war der[80] sechszehnte nach Trinitatis. Es war ein schöner blauer sonniger warmer Tag, einer jener halcyonischen Tage, dergleichen in unsern Climaten zur Herbstzeit uns bisweilen beschieden werden, zum Ersatz für das Entbehren so mancher andern Naturfreuden. Zum Text und Thema wählend jenes rührende Weine nicht, das der Erlöser zu der leidtragenden Nainitin spricht, habe ich an diesem Tage mich noch einmal mit meiner mir vertrauten Gemeinde gelabt, erquickt und mächtig gestärkt. Es war das Letztemal. Am nächsten Sonntag schon war das Land überschwemmt; Tumult überall; die Kirche öd' und leer.

Es geschah am zwölften September des achtzehnhundert siebenten Jahrs, daß auch das Wittowische Land in Folge der abgeschlossenen Convention das Loos traf von den feindlichen Völkern besetzt zu werden. Es war Sonnabend Morgen. Ich hatte gerade den letzten Federzug gemacht an dem Entwurf einer morgen zu haltenden Predigt, als ich durch einen Eilboten eingeladen wurde, den Offizieren, die von dem Oberbefehlshaber der Insel mit der Einrichtung des Cantonnements beauftragt, und zu solchem Zweck so eben in einem benachbarten Dorf eingetroffen waren, in ihrem Geschäfte zu unterstützen. Ich fuhr augenblicklich hin. Ich fand, daß der Obergeneral Befehl gegeben, die Prediger, als solche, die der Oertlichkeiten am meisten kundig seyn, über die möglichst gleiche und am[81] mindesten beschwerende Verlegung zu Rathe zu ziehn. Ich ließ dann die Zahl der über unser Land zu vertheilenden Truppen mir angeben und traf in Gemäßheit dessen die Eintheilung. Was ich vorschlug, ward unbedingt gutgeheissen von den Befehligern, deren einer ein Deutscher war, der andre ein Franzose, beyde in Diensten des Großherzogs von Berg; denn Murats Söldner waren bestimmt, uns die ersten zu besetzen. Die Zettel waren bald geschrieben, die Wegweiser wurden bestellt, die Wagen requirirt. Da ich hier nichts weiter zu thun hatte, so hielt ich mich nicht länger auf. Ich eilte zurück vielmehr zu den Meinigen, um in meinem Hause und Orte das Nöthige zu besorgen. Nach Tische erschienen dann die wenig willkommnen Gäste. Ich vertheilte die schon in Bereitschaft gehaltnen Quartierzettel. Die Hauswirthe kamen selbst, ihre Gäste abzuholen. Jeder ging seines Weges. Mir blieb keiner, als ein junger überaus wackerer Grenadier, ein geborner Düsseldorfer, der sich mir ankündigte, als Sauvegarde, befehligt vom Obersten des Regiments, in Folge eines vom Obergeneral in Betreff meiner ergangenen speciellen Ordre, meine Person und Angehörigen vor jeder Unannehmlichkeit zu schützen.


Ich hatte aber diese Aufmerksamkeit des Oberfeldherrn, so wie alle spätere Beweise der Schonung und der Achtung, welche diese fremden Befehlshaber[82] mir zu erzeigen nie aufgehört haben, hauptsächlich folgendem Umstande zu danken.

Als die Feste, auf deren Schuz wir gerechnet, so früh gefallen war; als keinem Zweifel unterworfen blieb, daß auch Rügen nächstens fallen würde; als des Königs unbezwinglicher Eigensinn fürchten ließ sogar, daß wir mit dem Degen in der Faust würden genommen werden, glaubte ich, gemahnt durch das schauderhafte Beyspiel, das wir in der Person unsers Oheim erlebt hatten, für die Sicherung meiner Familie sorgen zu müssen, so weit die menschliche Vorsicht es nur immer gestatte. Nun hatte die Königin von Baiern, die Schwester unsrer dermaligen Königin, mir mehrere Beweise ihres Wohlwollens gegeben. Da mir nun bekannt war, daß die Baierschen Heerschaaren zusammt den Völkern der übrigen Rheinbund-Genossen ebenfalls unter Brune's Oberbefehl dienten, so schrieb ich, wie ich öfter bereits gethan, an die Königin, schilderte Ihr unsre Lage, und bat sie, uns unter ihren Schutz zu nehmen. Wenige Wochen verstrichen, und die Antwort kam. Die edelmüthige Königin bezeugte die lebhafteste Theilnahme an meinen Sorgen; mit menschenfreundlicher Herablassung suchte sie wegen meiner Befürchtungen mich zu beruhigen; mit einem Zartgefühl und einer Anspruchlosigkeit, welche auf solcher Höhe des Ranges und der Macht gewiß die höchste Bewunderung verdienen, ließ sie hoffen[83] eher, als daß sie es ausdrücklich übernommen hätte, wie sie wissen werde, die Stürme zu beschwören, die unserm Frieden drohten. Daß, und auf welchem Wege sie es geleistet, bewies die Folge. Die Convention war kaum abgeschlossen, unser Land war noch nicht besetzt, als ein Adjutant des Marschalls bey mir eintraf, nach meinen Umständen sich erkundigte, und zugleich Namens des Marschalls mir anzeigte, daß er, der Marschall, dem ich auf das angelegentlichste sey empfohlen worden, in Betref meiner und der Meinigen die speciellsten und angemessensten Ordres ertheilt habe, und daß es nur auf mich ankommen werde, so oft es dessen bedürfe, mich unmittelbar an ihn selber zu wenden. Dasselbe ward mir wiederholt nach wenig Tagen von dem Divisions-General Grandjean, dem der Oberbefehl auf der Insel übergeben worden; dasselbe späterhin von dem Oberfeldherrn der Italischen Heerschaaren; dasselbe von jedem der folgenden Befehlshaber, als deren jedem von dem Abgehenden die auf mich zunehmende Rücksicht aufs neue war eingeschärfet worden. So hat die Theilnahme jener leutseligen Königin während dieser ganzen drangsalvollen Zeit gleich einem schützenden Genius über meinem Scheitel geschwebt; und ich würde glauben, der Wahrheit und Gerechtigkeit zu vergeben, wenn ich es heel hätte, daß in Folge jenes Schutzes von allen diesen ausländischen Machthabern mir mehr Schonung[84] und Achtung erzeigt worden, als ich mich rühmen kann erprobt zu haben von Seiten der eigenen für die Erfordernisse der Zeit niedergesetzten, regierenden und verwaltenden Behörden, obgleich diese aus unsern eignen Mitbürgern, und zum Theil aus der Zahl meiner Bekannten und Freunde herausgehoben wurden.4[85]

So beruhigend nun diese Art von freundlichem Verhältniß, was zwischen mir und unsern Drängern fortwährend bestand, für mich und die Meinigen wurde, so ward solches in anderer Hinsicht mir doch auch zum höchsten lästig und beschwerlich. Es mochte diesen Fremdlingen bekannt geworden seyn, daß Personen vom höchsten Range sich für mich interessirten. Es mochte ihnen verrathen worden seyn, daß ich eine Art von Celebrität mir erschrieben habe unter meinem Volk. Genug, sie fingen an mich für einen Stern erster Größe an dem literarischen Himmel unsers Vaterlandes anzusehn. Sie würden geglaubt haben der Achtung, die man dem Schriftsteller-Ruhme schuldig ist, zu ermangeln, wenn sie die Insel verlassen hätten, ohne meine persönliche Bekanntschaft zu machen. So sahe ich mich dann fast täglich genöthigt, meine berühmte Person preis zu geben und zur Schau zu stellen solchen Leuten, die keine Ahnung davon hatten, noch haben konnten, von dem, was eigentlich an mir seyn möge. Diese Visiten waren mir äußerst lästig. Nicht nur raubten sie mir eine Zeit, die mir ohnehin[86] eben jetzt kostbar geworden, denn jemalen; nicht nur fühlte ich mich gedrückt durch die Gegenwart dieser Ausländer, die, ihrer auffallenden geistigen und sittlichen Inferiorität ohngeachtet, über unser braves Volk einer solchen äußern Ueberlegenheit sich zu bemeistern gewußt; es ward auch die Unterhaltung mit ihnen mir über die Maßen mühselig und angreifend weil ich ihrer Idiome nicht mächtig genug war, um darin mich mit Freyheit bewegen zu können. Noch zwängender wurden mir diese von meiner Seite meist stummen Gegenüber durch den Umstand, daß ich äußerst selten verstand, was die Leute sagten, theils weil sie ganz anders aussprachen und betonen, als ich es mich angewöhnt, theils auch in Folge der unglaublichen Behendigkeit, womit die Spule ihrer Redseligkeit ablief. In solchem Nothstande nun hätte zwar wohl mein Sohn mir zu Hülfe kommen können, der unlängst aus der Französischen Schweiz zurückgekehrt, und des Französischen vollkommen, des Italischen leidlich mächtig war. Allein auch ihm waren diese Eindränglinge in Tod zuwider. Selten nur konnte er es über sich erhalten, ihnen Rede zu stehn, und wenn sie sich gleichwohl seiner einmal bemächtigten, so fertigte er sie so kurz und einsylbig ab, daß sie lieber wieder von ihm abliessen. Auch hat er ihnen zu Trutz von den Zinnen der Thürme, die er aufgeführt zum Schutz seiner, auf Ozean unsers Hofteiches majestätisch umherkreuzenden[87] Flotten, nach wie vor die Schwedischen Wimpel wehen lassen, und die gutmüthigen Fremden, durch des patriotischen Knaben unbeugsamen Sinn ergötzt, liessen ihn gewähren .... Aber auch mir, wenn gleich ich es weder klug noch gerecht finden können, diese uns nun einmal, und wahrlich wider ihren Dank zugewiesenen Gäste durch unzeitige Sprödigkeit oder erbitternde Kälte geflissentlich abzustoßen, auch mir wird wahrlich niemand nachweisen können, daß ich zuvorkommender gegen sie gewesen, als Humanität und Wohlstand es gerade verlangten. Ich bin ihnen ausgewichen, so viel meine Lage mir es nur immer gestattete. Ich habe nicht sie gesucht, sondern ich bin gesucht worden von ihnen. Nie habe ich ihre Besuche erwiedert, selbst nicht die der Oberbefehlshaber. Nie habe ich mich eingefunden bey ihren Festen, so dringend ich auch jederzeit dazu eingeladen worden, indem sie nach der Meinung, die sie einmal von mir unterhielten, sich nicht leichtlich durch irgend eines andern Gegenwart so sehr geehrt geglaubt hätten, als durch die meine. Nie habe ich der Unabhängigkeit meiner Grundsätze, nie meiner freymüthigen Red- und Schreibweise, nie der Ehre unsers Volks oder des Schwedischen Volks ihnen gegenüber das allergeringste vergeben. In eben dem Sinn, worin der Gottfried seine Wimpel wehen ließ unter ihren Nasen, habe auch ich fortgefahren vor ihrer aller Ohren für den König und[88] sein Haus zu beten, als sein Name längst nicht mehr war gehöret worden auf allen übrigen Kanzeln des Landes.

Wenn schon in ruhigern Zeiten die bürgerliche Seite meines Berufes mir zum öftern beschwerlich gefallen, so ward dieselbe, wie leicht zu erachten, unter den jetzigen Umständen für mich ein Quell unsäglicher Unruhe, nie abreissender Mühseligkeiten, und herznagenden Verdrusses. Was in den Städten den Magisträten, Municipalitäten, und Bürgercollegien obliegt, was von diesen vertheilt wird auf mehrere Committeen und Ausschüsse, deren jeder über ein mehr, oder minder zahlreiches Personal zu verfügen hat, das alles lastete in diesem entlegenen Lande auf meinen Schultern. Ich schrieb die Fuhren aus; ich besorgte die Boten zu Pferd und zu Fuß; ich verwaltete das Proviantwesen; ich hatte endlich die Quartiere zu vertheilen, das gehässigste und dankloseste aller Geschäfte. Späterhin ward zwar eine administrirende Behörde zu Bergen niedergesetzt, welche diese Dinge für das ganze Land besorgen sollte. Allein diese saß in der Ferne. Für die Bedürfnisse des Augenblicks mußte Rath geschaft werden auf der Stelle. Ueberdies waren die Befehlshaber einmal an mich gewöhnt, und vor die rechte Thür sie zu verweisen, hätte nur gedient, diese ungeduldigen und äußerst reitzbaren Menschen in Harnisch zu jagen. So ward denn nach wie[89] vor was nur immer das Wittowsche Land anging, an mich addressirt; von mir ward alles requirirt: Holz, Stroh, Licht, Leinwand, Siegellack, Papier; das erstreckte sich bis auf das Leder, was der Regimentssattler, die Kohlen, die der Regimentsschmidt, die Corde und den Zwirn, die der Regimentsschneider bedurfte. Diese Inviten, wie sie es nannten, nahmen kein Ende. Monsieur le Ministre, alles Protestirens unerachtet, blieb le Maire malgré lui, und seine Scheuern, seine Vorräthe, und seine Casse sind dessen wohl gewahr geworden.

Die ersten feindlichen Heerschaaren, die über die ganze Insel vertheilt wurden, waren die des Rheinbundes: Baiern, Hessen, Badner, Aschaffenburger, Aremberger, Bergsche, Nassauer. Von diesen wurden zuerst die Bergschen allein nach Wittow verlegt, später die Nassauer ihnen beygesellt, da dann das Land überfüllt war, und die Menge des fremden Volks die gesammte Bevölkerung desselben bey weiten überstieg.

Nicht zu sagen ist, wie durch diese Ueberschwemmung der fremden Kriegsvölker das ganze leibliche und geistige Daseyn dieser schlichten Naturkinder versehrt, verletzt, und in seinen innersten Wurzeln angefressen wurde. Diese unsre ungebetenen Gäste waren ein vielbedürftiges, schwer zu befriedigendes Geschlecht. Sie waren verwöhnt, täglich Bouillon, Wein, Kaffee zu haben, Artikel, die unsern Eingebornen kaum dem[90] Namen nach bekannt waren, wogegen die Klöße und die Grüße der Letztern jenen Ekel und Abscheu erregten. Kein Reglement, der Leute Speisung betreffend, war bis dahin noch erschienen, keine regelmäßige Lieferung von Brod und Fleisch eingerichtet. So konnte dann nicht fehlen, daß es nicht überall und allstündlich Händel gesetzt hätte zwischen den Wirthen und ihren Gästen. Die Eingebornen, gewohnt in allen Verlegenheiten sich an den Seelsorger zu wenden, flüchteten zu mir. Mir auch wurden die murrenden Kriegesknechte zu Halse geschickt von den Befehlshabern. So hatte ich dann den ganzen Tag zu hören, zu rathen, zu vermahnen, zu verständigen, zu beschwichtigen. Und wenn ich verdrossen und erschöpft spät Abends nun endlich der Ruhe zu pflegen suchte, so war ich nie sicher, daß ich in tiefer Mitternacht nicht wieder herausgepochet würde, um etwa eine Ordre zu lesen, mit der es oft im geringsten nicht eilte, ein Reçu auszustellen, das vielleicht kaum den Werth von ein paar Groschen betrug, von den unzähligen Herumläufern, die das Land in allen Richtungen durchkreutzen, dem Einen ein Pferd zu schaffen, dem andern einen Wegweiser zu besorgen, den dritten einzuweisen für die Nacht bey einem oder andern Einwohner, die sich dann im geringsten nicht übereilten aufzustehn, und den ungebetnen Gast entgegen zu nehmen.

Vierzehn Tage mochten verstrichen seyn seit dem[91] Einrücken der Fremden. Wie gewöhnlich hatte ich bis in die späte Nacht mich zerarbeitet, und war endlich schlafen gegangen. Plötzlich fühle ich mich aufgerüttelt aus dem ersten Schlaf. Ein Offizier steht vor mir mit dem brennenden Lichte. Kennen Sie mich nicht? fragte er. Ich erkannte ihn dann endlich. Es war ein Schwedisch deutscher Offizier, der zurückgeblieben einstweilen, um einige den Schweden noch zugehörige Effecten in Aufsicht zu nehmen, und die Einschiffung zu besorgen. Er kündigte mir an, daß ich eilig aufstehn müsse, daß der Marschall Brune auf dem Wege sey mit dem ganzen Etat Major, daß beschlossen sey, bey mir einzusprechen, bey mir zu frühstücken, und darnach auf Arkona und Stubbenkammer zu gehn ... Eine feine Bescherung in Wahrheit! Und das um zwey Uhr frühe!.. Lieber Major, sprach ich, Sie kennen meine Hausbelegenheiten. Sie wissen, daß mir nicht möglich ist, so vornehme Herren aufzunehmen. Es sind hier herum so viele Edelsitze. Thun Sie mir den einzigen Gefallen, und führen Sie die Herren zu einem von diesen .... Aber mein Gott! erwiederte er, wie geht das an. Bedenken Sie doch, daß der Marschall den ganzen Weg uns hergeschleppt hat einzig und ausdrücklich Ihrethalben .... Viel Ehre für mich, antwort' ich; wiewohl es mir fast schicklicher bedünken will, ich gehe zu dem Marschall, als der Marschall komme zu mir. Warten Sie. Es[92] fällt mir etwas bey. Bringen Sie Ihre Gesellschaft nach Juliusruhe, wo dermalen nur die Gespenster hausen und die Ratten. Dort ist Raum für alle; obgleich freilich nichts zu leben. Inzwischen dazu soll Rath werden. Ich will das Nöthige hinschicken, und will selbst dort seyn mit Tages Anbruch .... Der Major übernimmt es, sitzt auf und sprengt davon. Mir blieb übrig, aufzustehn, die Leute aufstehn zu machen, aufpacken zu lassen Brod, Wein, Käse, Fleisch, Butter, Rum, Geräthe und Geschirr, auch Holz zur Feurung, hundert andre Dinge, einen ganzen Wagen voll. Sobald der Wagen nur zurückgekommen, sitz ich selber auf, und fahre hin. Die Herren waren schon da; der Marschall hatte sich niedergelegt in einem der Nebenzimmer. Die andern wankten umher, überwacht, mislaunigt, kleinlaut, die einen hatten Tücher gewunden um die fast kahlen Glatzen. General Grandjean nur, der in Göttingen studirt hat, des Deutschen völlig mächtig ist, und schöne Kenntnisse zu besitzen schien, kam mir mit großer Heiterkeit entgegen, und stellte den übrigen Herren mich vor, die nichts angelegneres hatten, als mich zu fragen, ob ich auch Paris gesehen? das denn freilich mein Fall nicht war. Grandjean bat mich, ihn in dem Park herumzuführen; die Sonne ging auf; es war kalt; mich fror jämmerlich; ich bat den General, den nichts anzufechten schien, wieder mit mir hinein zugehn, da denn der Marschall,[93] der eben aufgestanden, bald unter uns trat, und als der General mich ihm vorgestellt, mich fragte, ob die Ordres, die er in Betreff meiner ausgestellt, gebührend befolgt seyn .... Mittlerweile war auch der Eigner des Landsitzes angekommen, zu meiner großen Erleichterung, denn ich fühlte mich beklemmt und einsam unter allen diesen besternten und bekreutzten Fremden, so wie er seiner Seits von Herzen froh war, mich hier zu finden. Das Frühstück war bald fertig; mein Weniges war geschlagen worden zu dem Vielen, was der Hausvater mitgebracht. Wir speisten auf dem Saal des Landhauses, der die Aussicht auf die See hat. Englische Kreutzer kreutzten unsers Angesichtes; sie hätten einen feinen Fang gemacht, wenn sie gelandet wären. Der Marschall war sehr heiter. Während er sich von mir auseinandersetzen ließ den Inhalt der Schriften, womit ich das Publicum begünstiget, tritt ein Courier herein, der vor zehn Tagen aus Paris abgegangen, naht dem Marschall, und überreicht ihm ein Schreiben des Kaisers. Der Marschall erbricht und liest es. Es enthielt, wie sich späterhin gezeigt, seine Zurückberufung. Der Marschall, der vorhin äußerst gesprächig gewesen, wird nun mit einmal einsylbig, und in sich gekehrt. Die Tafel ward aufgehoben; die Reise nach Arkona und nach Stubenkammer eingestellt. Die Wagen fahren vor; Brune, ohne mir auch nur ein Fahrwohl zuzunicken, sitzt[94] ein, und nach wenig Tagen hörten wir, er sey abgegangen nach Paris. Brune, wie es scheint, hatte durch die Mäßigung, womit er während des ganzen Feldzugs verfahren, hauptsächlich wohl durch die allzugünstigen Bedingungen, die er dem abziehenden Schwedischen Heere eingeräumt, des Kaisers Unwillen erregt, der seit dieser Zeit sich seiner nie wieder bedient hat, bis zu diesem seinem letzten unheilbrütenden Wiederauftreten, das eben jetzt, da ich dieses schreibe, für Brune so unglücklich geendet.

Nach sechs Wochen etwa verliessen uns diese unsre ersten Gäste. Es folgte eine Frist der Erholung, deren wir, um von den erlittnen Bedrängnissen aufzuathmen, denn auch hochnöthig bedurften. Leider war sie von kurzer Dauer. Am Sonnabend waren die Bündner abgezogen. Montag Abends sitze ich mit den Meinen über Tische. Wir reden von den überstandnen Plagen, freun uns ihres Ueberstehens, und wagen zu hoffen, daß sie nicht wiederkehren werden. Ein Bote wird gemeldet. Hereintretend überreicht er mir einen Brief vom General Fontanes, dem Anführer des ersten Italischen Linienregiments, der mit den Seinen vor wenig Stunden eingerückt sey auf dem im Lande Jasmund belegenen Schlosse Spyker. Der Brief war überschrieben an den Herrn Maire des Orts: »Der Herr Maire werde berichtet, daß nächsten Tags zu Mittag zwölfhundert Mann bey ihm[95] eintreffen würden, die er eingeladen werde, zu beherbergen innerhalb seiner Stadt und deren Umgebungen. Doch möge er Sorge tragen, daß dem Pfarrer des Orts weiter nichts als eine Sauvegarde gesendet werde; solches sey der Wille Seiner Excellenz des Herrn Obergenerals Pino.« ... Da saßen wir. Geschehn war es um unsre Heiterkeit. Des Essens wurde nicht weiter gedacht. Mit schweren Herzen setzte ich mich hin, dem General zu antworten, bescheinigte den Empfang des Briefes, bemerkte übrigens, »daß ich eigentlich nur zu befehlen habe an dem Ort, wo ich wohne; daß mir demnach die Autorität abginge, seine Aufträge innerhalb des übrigen Landes auszurichten; wolle der Herr General mir aber fein frühe und vor Ankunft der Mannschaft einen Adjutanten, oder deß etwas schicken, so getraue ich mich, mit dessen Beystand alles zu seiner Zufriedenheit anzuordnen.« Der Bote ging. Stumm und trübe verstrich uns der Abend. Die Meinigen gingen zeitig zur Ruhe. Auch ich, nachdem ich die aufgeregten Lebensgeister zu beruhigen gesucht, indem ich ein oder zwey Briefe las in des frommen Tersteegen unschätzbarer Sammlung, legte mich nieder, schlief ruhig, und fühlte erwachend mich neu gestärkt zu des Tages Mühen. Sobald es nur licht geworden, machte ich eine Anzahl gehender und reitender Boten auf, um überall im Lande die Truppen anzumelden, und die Wegweiser zu mir zu bescheiden[96] auf den Schlag zwölf. Vor neun Uhr noch erschienen des Generals Adjutanten. Statt des Einen, den ich verlangt, schickte er mir deren drey, einen Corsen, einen Römer und einen Lombarden. Ich ließ mir angeben von diesen die Liste ihrer Compagnien, deren Stärke, Rang und Ordnung; denn ich wußte schon, daß sie diese Umstände wollen berücksichtigt haben bey der Art und Weise ihrer Verlegung. Ich entwarf dem gemäß die Eintheilung, verständigte sie darüber mit Hülfe der Charte, und nachdem sie alles gut geheissen, schrieb mein Sohn die Zettel. Während wir bey Tische saßen, ward berichtet, die Truppen seyn in der Nähe. Eiligst standen die Offiziere auf von der Mahlzeit, um ihnen entgegen zu gehn, und alle Unordnung zu verhüten. Es war Zeit. Die Leute waren schon im Ort. Der Markt, die Gassen, die Häuser wimmelten von Menschen. An der Spitze ihrer Compagnien hielten die Offiziere zu Pferde. Wenig Wegweiser erst waren eingetroffen von den Dörfern; von den Höfen und Edelsitzen nicht einer. Ich machte deren so viel auf für mein Geld, als nur irgend aufzutreiben waren. Allein es wollte immer nicht zureichen. Inzwischen drängten mich die Befehlshaber. Ihrer drey oder viere, die am Ende die Geduld verloren, liessen verlauten, ich könne schon selbst mitgehn und sie führen. Ohne Anstand hätte ich es gethan, wenn ich nur hätte fehlen dürfen im Dorf und in[97] meinem Hause. Ein freundschaftlicher Pächter der Nachbarschaft, der meine Verlegenheit sahe, schlug sich ins Mittel, und übernahm die Herren zurecht zu weisen, für welchen Liebesdienst die Erde ihm leicht seyn möge; er ruht schon lange! Es war Zeit, daß ich zu den Meinen kam, die kaum wußten, sich zu rathen. Dicht angefüllt mit Menschen waren die Stuben, die Flur, die Küchen. Immer neue Schwärme kamen den Damm zwischen den Teichen heraufgezogen, Grenadiere, Fuseliere, Jäger, Voltigeurs; auch Sappeurs mit den Aexten und struppigen furchterweckenden Bärten. Erschöpft vom Marsch, und wirklich hatten sie mehrere Meilen zurückgelegt im tiefen Schnee, und bey fortwährendem Schneegestöber, warfen die Gemeinen sich die Länge lang nieder auf die Hausflur. Solche, die einen gewissen Rang behaupten zu müssen glaubten, bemächtigten sich des Besuchzimmers. Da war ein stämmiger Tambour-Major, ein Franzose und ganzer Narr, der mir mit großer Gründlichkeit auseinandersetzte, daß der Tambour-Majeur occupire le rang le plus élevé parmi tous les Sous-Officiers du regiment; item eine Espece von Sergeant, ein Magister Artium zugleich, der in Rom promovirt haben wollte, und allerdings einige Bruchstücke aus Virgil und Livius aufzusagen wußte; item ein kleiner Fifre, ein geborner Bergameser, der sich kindlich freute, einen aufgeschlagnen Tasso liegen zu sehn,[98] indem der Tasso sein Landsmann gewesen. Ich hatte das Musikchor, das einige funfzig Menschen stark seyn mochte, für mein Dorf gespart. Sie gingen, die Zettel in den Händen, um Besitz zu nehmen von den ihnen zugewiesenen Quartieren. Protestirend kamen sie zurück. »Das seyn keine Quartiere für Musiker. Die Musiciens seyn hübsche Leute, die auch hübsch behandelt seyn müßten; parceque la musique formoit les moeurs.« Während ich noch mit diesen capitulire, kommt hastig und eifrig ein kleines Weibchen hereingewipft, une petite éveillé, fragt nach dem Herrn Maire, faßt mich am Knopf, klagend, es sey eine grimmige Kälte, ihre Würmer wollten erfrieren, und, sollten Sie's glauben, Monsieur le Maire, der bourgeois habe point de feu .... Kurz es war ein Zustand, ein Wirrwarr, ein Getümmel, eine Verwirrung der Sprachen, die aller Beschreibung Hohn spricht. Ich wandte mich an jenen bedeutenden Man, den Tambour-Major, und ersuchte ihn, doch wenigstens die Bursche wegzuschicken, die auf der Hausflur niedergestreckt, meinen Leuten den Weg verlegten, die nicht aufhörten zu kommen und zu gehn, Wein, Caffee, Brandtwein u. dergl. umherzutragen. Er nahm sich dann auch zusammen, trat hinaus, und hieß sie sich ihrer Wege scheren. Mit großen Augen sahn die Bursche ihn an, maßen ihn von Haupt zu Fuß, und würdigten ihn keiner Antwort .... Ich weiß nicht[99] mehr, wie ich am Ende mich herausgefunden. Diese Leute waren so schlimm nicht, als sie sich anstellten. Als sie sahen, daß ich thue, was ich könne, und daß die Belegenheiten des Orts keine größere Bequemlichkeiten gestatteten, so gaben sie sich zufrieden, kehrten zu ihren Quartieren zurück, und hatten sich binnen wenig Tagen so eingewohnt, daß sie gar gern den ganzen Winter bey uns geblieben wären, und mir so viel Musik umsonst gemacht hätten, als ich nur immer hätte hören mögen .... Das Reiten und Fahren, Kommen und Gehn, Invitiren und Requiriren dauerte gleichwohl trotz der dicken Finsterniß und des fortwährenden Schneegestöbers den ganzen Abend durch bis tief in die Nacht hinein. Meine Leute waren erschöpft, die Gattin kleinmüthig, die Kinder stumm und in sich gekehrt. Ich selbst fing an, den Muth zu verlieren, und auch Tersteegen konnte mich diesmal nicht trösten.

Die folgenden Tage dürften denn auch wirklich leichtlich die drückendsten für mich gewesen seyn in dieser ganzen schweren Zeit. So sorgsam und gewissenhaft ich auch die Last der Einquartierung den Kräften jeder Ortschaft und jedes Einzelnen anzupassen gestrebt, so fand sich doch, daß ich es keinem Mensch zu Dank gemacht hätte. Da war keiner, der nicht mir dieselben Motive zugetraut, deren er sich selbst fähig fühlte; keiner, der sich nicht eingebildet, daß ihm[100] zu nahe geschehn, und daß der Nachbar von mir begünstigt geworden auf Kosten seiner. Die Noth war freilich groß, und drohte größer zu werden mit jedem Tage. Die Vorräthe gingen auf die Neige. Was für den Winter aufgespeichert gewesen, war daraufgegangen binnen wenig Wochen. Das Holz, das ohnehin selten ist im Lande, fehlte allenthalben. Es waren zwar, wie jeder einräumte, unsre neuen Gäste ungleich leichter zu befriedigen, als die andern, auch über Gewaltthätigkeit oder Mißhandlung klagte keiner. Allein schon die Fremdheit der Sprache bildete eine nicht zu beseitigende Scheidewand. Keine Annäherung, keine wechselseitige Verständigung war möglich zwischen den Wirthen und ihren Gästen. Auch fehlte es nicht unter diesen Italiern an einzelnen leidenschaftlichen Naturen, deren Zorn über alle Maßen fürchterlich war, ihre Rachgier heimtückisch und unaussöhnlich. Gewiß, es ist etwas ängstendes, preisgegeben zu seyn den Launen eines fremden Volks, mit welchem kein Austausch statt hat der wechselseitigen Gedanken und Gefühle. So ward ich denn angegangen, ärger denn je geschehn, von Klagenden, Verweisenden, Aufrückenden; von solchen, die mich zur Rechenschaft zogen wegen meines eigenmächtigen Thuns und Beginnens; von andern, die Erleichterung nachsuchten, oder eines Vorschusses bedurften, oder einer Fürsprache. Während diese in den vordern Zimmern saßen, mit verweinten[101] Augen die Frauen, die Männer mit verbißnem Aerger; schwärmten in den hintern Zimmern die fremden Offiziere, welche unterhalten seyn wollten, Auskunft begehrten über dieses und jenes; Bücher wollten diese haben, Zeichnungen und Charten jene. Zur Fülle der Uebel geschahe, was schwerlich ausbleiben konnte bey solcher Angst und Unruhe, bey der Verrückung der gewohnten Lebensweise, bey der unvermeidlichen Mittheilung fremder Miasmen. Ansteckende Krankheiten, Ruhr und Typhus und Nervenfieber brachen aus in der Gemeinde, wurden täglich drohender, und rafften viele Menschen weg. Wenn es nun Abend geworden, und die Fremden sich allmählig verloren hatten, saß ich auf, und fuhr umher in der dicken Finsterniß auf den von Schnee und Eis versperrten Straßen, um die Kranken zu besuchen, die Sterbenden zu berichten, das heilige Nachtmahl auszuspenden, zu wehren dem bangen Kleinmuth und der dumpfen Verzweiflung. Die Nacht war schwarz, grundlos der Schlamm und Schnee, die Wege fast unfahrbar; meinem sehr tüchtigen und zuverlässigen Kutscher wollte der Muth gleichwohl zur Zeit entfallen. Aber Gott hat mich bewahrt, daß ich nie umgeworfen worden auf diesen Irrfahrten, auch nie angesteckt worden von der Pestluft der mit Krankheitsstoff übersättigten engen Stuben. Auch ließ Er mich Gnade finden vor dem fremden Volk, den Hohen wie den Niedern, so daß weder mir noch den[102] Meinigen einiges Leid wiederfuhr, überdieß auch mir vergönnt ward, Unzähligen, die zu mir ihre Zuflucht nahmen, vermittelst meiner Verwendung, Hülfe und Erleichterung zu verschaffen.

Von allen Befehlshabern, die bey uns geschaltet, hat keiner mir aufrichtiger beseelt geschienen von dem Wunsch, die Uebel des Kriegs nach Möglichkeit zu mildern, als der Oberfeldherr des Italischen Heers, der Divisionsgeneral Pino. Er besuchte mich wenig Tage nach dem Einrücken seiner Schaaren. Ich fand einen unterrichteten Mann in ihm, der vertraut war mit den Classikern seines Vaterlandes, den ältern wie den neuern; aus Monti wußte er manches auswendig, versprach auch, dessen Werke mir zu schicken, die mir dann freilich nicht gekommen sind. Es versteht sich, daß auch gesprochen wurde von den Belegenheiten unsers Landes, von dessen Hülfsquellen, von der Noth der Einwohner, von der Aufführung der Soldaten. Der General zog ein Papier aus der Tasche; es enthielte, sprach er, einen ihm mitgetheilten Entwurf, wie die auf der Insel cantonnirenden Truppen auf eine Weise verlegt werden könnten, welche gleich zuträglich wäre für die Befriedigung der Truppen und für die Erleichterung des Landes. Nun hatte ich schon gehört von diesem saubern Plan. Es war die Absicht, daß die Truppen in den Dorfschaften zusammengepfercht, die Offiziere bey den Predigern einquartiert, die Edelsitze[103] und Pachthöfe aber frey bleiben sollten; angesehen durch diese, so ward es vorgespiegelt, daß der Bau des Landes betrieben würde, welcher nothwendig stocken müsse, so lange die Höfe belegt blieben. Die Befehlshaber waren leicht beredet. Ihnen konnte in Ermangelung der Casernen nichts willkommner seyn, als wenigstens auf diese Weise ihre Leute fein beysammen zu haben, und unter Zucht und Aufsicht zu behalten. Einen solchen Plan nun enthielt jenes Papier. Monseigneur, sagt' ich, nachdem ich ihn flüchtig durchgesehn, wenn Menschlichkeit und Billigkeit Ihnen lieb sind, so werden Sie diesem Plane Ihre Zustimmung versagen. Er stutzte. »Wie ich das verstehe? Er könne mir sagen, daß dieser Plan von der Landes-Administration selber entworfen und ihm mitgetheilt sey.« ... Das, erwiederte ich, würde mir der Geist, in dem dieser Plan gearbeitet worden, verrathen haben, wenn auch Ew. Excellenz nicht die Güte hatten, es mir zu eröffnen. Denn dieser Entwurf ist einzig und allein darauf berechnet, die Reichern und Wohlhabendern zu erleichtern, die arbeitenden und unentbehrlichen Classen aber zu Grund zu richten .... Aber, mein Gott! versetzte der General, fast ungeduldig, es soll den Quartier-Wirthen ja alles geliefert werden wie Sie sehn; Brod, Fleisch, Gemüse, Brantwein, Salz sogar; nichts sollen sie herzugeben haben als Licht, Feurung und das Quartier .... Aber, erwiederte ich, es[104] wird nichts geschehen von allem, was in diesem Plan versprochen wird. Es werden die löblichen Absichten Ew. Excellenz im Geringsten nicht erreicht werden. Die Proviantlieferungen werden zugeschlagen werden den Unternehmern. Die Unternehmer werden das Land betrügen, das ihnen zahlt, und zugleich den Soldaten, den sie zu füttern übernehmen. Die Lebensmittel, die man liefern wird, werden nichts taugen. Statt Brodes wird man Kleyen schicken, Knochen statt Fleisches, Spreu für Graupen; die Kartoffeln werden anbrüchig seyn, die Erbsen wird man kochen müssen bis an den jüngsten Tag; statt Brantweins wird der Soldat meinen, geschwefeltes Wasser hinunter zu gießen. Der Soldat wird sich halten an den Wirth; der Wirth wird geben müssen, so lang er hat. Das wird so lange nicht vorhalten. Und nachdem die Dörfler, der Nerv des Landes, zu Grunde gerichtet sind, wird der Plan dennoch aufgegeben werden müssen .... Jedoch gesetzt auch, fuhr ich fort, und mit gesteigerter Wärme, denn »der Eifer um mein Volk fraß mich« gesetzt, es würde uns alles geliefert, was hier versprochen wird; angenommen, es würden uns ersetzt überdieß bey Heller und Pfennig unsre anderweitigen Vorschüsse und Auslagen; wer ersetzt uns das Unersetzliche? Wer die Angst und Unruhe, den gestöhrten häuslichen Frieden, die schlaflosen Nächte, die gefährdete Sicherheit, die bedrohte Unschuld unsrer Kinder?[105] Die Seufzer, die man uns entpreßt, die Thränen, die man uns vergiessen macht, sollen auch diese etwa geschätzt, berechnet, ausgeglichen werden nach Heller und Pfennig? ... Ich schwieg. Der General ward nachdenkend, seine Züge verfinsterten sich sichtbarlich. Ich sah wohl ein, daß ich eine Saite berührt hatte, die nicht allzu lieblich klänge, und fand rathsam, abzubrechen das Gespräch für den Augenblick. Beym Abschied aber, als der General in den herkömmlichen Formeln mich aufforderte, so oft ich sein bedürfe, mich geraden Wegs an ihn zu wenden: Wohlan, sprach ich, ich wage, Ew. Excellenz um eine Gunst zu bitten hier auf der Stelle. Verbieten Sie, daß innerhalb meines Kirchspiels wenigstens keine Truppen vertheilt werden, ohne daß man mich deshalb zu Rathe ziehe, und ich getraue mich, Ihre Leute zufrieden zu stellen zusammt den Meinen .... Der General versprach das freilich; daß er die Ordre wirklich ausgestellt, habe ich Ursach zu bezweifeln.

Einige Tage verstrichen, ohne daß ich von dem Plan weiter hörte. Am nächsten Sonntag aber, als ich aus der Kirche kam, fand ich alles in Unruhe und in Bewegung. Die Musiker, die sich itzt verständigt hatten mit den Leuten, und denen es nunmehr bey uns überaus wohlgefiel, waren abgerufen worden zu ihrem großen Leidwesen; dagegen war andere, und zwar übermäßig starke Einquartierung angesagt worden[106] auf den folgenden Tag. Befremdet durch eine so wenig erwartete Zeitung eilte ich zu Hause. Hier erzählte mein Sohn mir, daß der ansagende Sergeant drinnen sey, daß er mit Gewalt mich habe wollen aus der Kirche holen lassen, und daß er, mein Sohn, es nur mit Mühe gehindert habe. Ich ward sehr ungehalten. Ich trat hinein noch in vollem Ornat, da dann der Herr Sergeant in die Höhe fuhr von dem Sopha, auf dem er sich hingepflanzt neben Madame son epouse, oder derjenigen, die er dafür ausgab, gegenüber der dampfenden Kaffeekanne. Es gefiel mir, diesmal aus einem höhern Ton zu reden, als ich bis dahin mir erlaubt. Ich äußerte mein Befremden, daß jemand sich herausnehme Einrichtungen zu treffen, wo niemand zu befehlen habe als ich. Ich ließ einige Worte fallen von dem Divisionsgeneral, von dem Marschall, von dem Kaiser selber. Monsieur le Sergeant ward wirklich eingeschüchtert. Das saubre Pärchen begriff, es sey diesmal unrecht angekommen, entschuldigte sich höflichst, und ging. Abends, sobald ich nur die nöthige Ruhe gewonnen, setzte ich mich hin, und schrieb einen langen Brief an den Obergeneral, welchem ich einen von mir selbst ausgearbeiteten Plan beylegte, wie die Cantonnements könnten eingerichtet werden am befriedigendsten für alle Theile. Alles schloß ich ein in einem zweyten Brief an des Generals Adjutanten, einen gebornen Römer, dessen Name[107] mir entfallen; aber nie sah ich eine gewinnendere Physiognomie, nie einnehmendere Sitten, nie eine edlere Haltung; unvergeßlich ist mir das Bild dieses Römers. Ihm empfahl ich die Sache aufs beste. Ob es gefrommt haben möge, weiß ich nicht. Tags darauf, und ehe meine Briefe noch angekommen seyn konnten, erfolgte die Umquartierung, zwar nicht nach dem Buchstab des Entwurfs, jedoch in der Hauptsache in dessen Sinn und Geist. An meinem Wohnorte nur ließ man mich gewähren, nahm auch sonst Rücksicht auf meine Vorstellungen zu Gunsten des Einen und Andern. Der Druck war gleichwohl unerträglich; die Erbitterung der benachtheiligten Volksclassen ließ die gefährlichsten Ausbrüche fürchten. Es war ein Glück, daß der Zustand nicht dauerte. Es hatten die Truppen von den neuen Quartieren kaum Besitz genommen, als schon der Befehl eintraf, daß wieder aufgebrochen werden solle am folgenden Tage. Drey Stunden verstrichen, und ein zweyter Befehl ging ein; es solle aufgebrochen werden zur Stunde selber .... So sind diese Leute dann verschwunden, wie sie gekommen. War unsre Freude groß gewesen, als die Landesleute zogen, so war sie um so größer beym Abzug der Fremden.


Und jetzt sollten wir die ächten, wahren Franzosen kennen lernen, die Helden von Friedland, Jena,[108] Austerliz, Marengo und Hohenlinden. Es war beliebt worden im Hauptquartier, daß die abgängigen Italier ersetzt werden sollten durch ein paar Linienregimenter des achten Corps; und zwar sollte der Süden der Insel besetzt werden von dem sechs und dreißigsten Regiment, der Norden von dem sechszehnten, da dann bey gleichmäßiger Vertheilung höchstens zwey oder drey Compagnien auf unser Land gekommen wären. Der Tag des Einrückens erschien, und war wie immer ein Tag der Plage und der Mühe. Es war einer jener trüben dicken Decembertage, wo es eigentlich überall nicht Tag wird, auch dann nicht, wenn die Sonne im Meridian steht. Es schnie und schloßte, und regnete dazwischen. Die Straßen waren verschneit, das Erdreich aufgelöst in bodenlosen Schlamm und Brey. Bald nach Tische traf der Fourier bey mir ein, mit dem Bericht, daß desselbigen Abends noch eine Compagnie Fuseliere bey mir einrücken werde; immer noch in Gemäßheit jenes übel berechneten Planes. Nun war dem Volke weißgemacht worden boshafter und tückischer Weise, wahrscheinlich von des Planes Urhebern selber, daß derjenige, welcher diesen verhaßten, das Volk zu Grunde richtenden Entwurf ausgebrütet habe, kein andrer sey als ihr Seelsorger, als eben der, welcher Leib und Seel dran setzte, den heillosen Plan umzustürzen, und aus der Welt zu schaffen. Während ich nun sitze, und rede mit dem Fourier,[109] kömmt ein Trupp Bauern den Hof heraufgetrabt, dringt mit Ungestüm in das Haus, und verlangt den Herrn zu sprechen. Sobald ich erschienen, umringen sie mich; der das Wort zu führen übernommen, hebt seinen Spruch an, verliert die Fassung, hustet, stottert, räuspert sich; die andern helfen ihm ein, endlich kommen sie in Athem; ein Strom von Vorwürfen folgt; wie schlecht ich an ihnen gehandelt, wie sie eines Bessern sich zu mir versehn, wie ich sie verkauft und verrathen, wie ich unter einer Decke spiele mit denen, die nur darüber aus seyn sie zu erdrücken und zu ruiniren ... Ich erstaune. Ich traue meinen Ohren kaum. Die Leute sind weder trunken gleichwohl noch rasend. Als ich mit Mühe und Noth endlich ihre Meinung begriffen, übernimmt mich der Unmuth, und ich gehe auf meine Stube sprachlos von Aerger und von der herzzerschneidenden Kränkung. Meine Gattin, Zeugin der Auftritte, nimmt statt meiner das Wort, verweist dem ungeschlachten Volk seine Unart und Dummheit, führt ihnen zu Gemüthe, wie ich mich für sie zerarbeite Tag und Nacht, und mit welchem Undank sie mir dafür lohnen .... In demselbigen Augenblick kommen die Fuseliere in langen Reihen den Hof herauf marschirt. Den Bauern dünkt nicht rathsam, länger zu säumen. Beschämt schlichen sie von dannen, und ich meines Theils, wie sich von selbst versteht, habe das arme irrgeführte Volk seine alberne Leichtgläubigkeit und[110] ungeschlachte Rohheit im Geringsten nicht entgelten lassen.

Die Compagnie war indessen eingerückt; die Offiziere, die den bösen Weg zugleich mit den Gemeinen zu Fuß zurückgelegt, erschienen, starrend von Koth, todtmüde, mißlaunigt. Die Sergeanten berichteten, daß viele Leute fehlten; sie waren stecken geblieben ohne Zweifel in dem bodenlosen Schlamm und Schnee, und in der stockfinstern Nacht mit der Laterne sie aufsuchen zu lassen, wäre vergebne Arbeit gewesen. Spät Abends trug man uns Einen davon ins Haus, der von einem aus der Mühle heimkehrenden Fuhrmann in einem Graben war gefunden worden. Er schien starrtodt; doch gelang es uns, ihn wieder herzustellen. Die übrigen fanden sich dann auch allmählig wieder zusammen in den folgenden Tagen, früher die einen, die andern später. Obgleich die Offiziere darauf bestanden, daß, ihrer Ordre gemäß die ganze sehr vollzählige Compagnie im Orte selbst untergebracht werden solle; dennoch machte ich die Vollgewalt geltend, die mir angeblich beygelegt sey, legte ihnen auch einige Briefe vor mit dem großen Kaiserlichen Adler, die freilich ganz andre Dinge enthielten, als ich sie glauben ließ. Sie ihrer seits waren müd' und verdrossen; die Briefe zu lesen war ihnen nicht gemüthlich; lieber glaubten sie mir aufs Wort, und liessen mich gewähren. So verlegte ich dann zu des Ortes Erleichterung[111] nicht nur, sondern auch zu der Leute eigner besserer Verpflegung, zwey Drittheile der Compagnie in die nächsten Dörfer und Edelsitze, die freilich nur um zwey oder drey Büchsenschüsse von dem Ort entlegen sind, mithin zur Noth für eine Fortsetzung desselben gelten können. Es ist denn auch nachher dabey geblieben. Ob etwa Pino vor der Abreise dem ihn ablösenden Oberbefehlshaber meine Briefe und Papiere mitgetheilt haben mag, weiß ich nicht zu sagen. Genug der eben so heillos ersonnene als kopflos ausgeführte Plan ward bey Seite gelegt, und es ist nicht weiter von ihm die Rede gewesen.

Unsre neuesten Gäste waren nur erst wenige Tage mit uns zusammen gewesen, als sichs zeigte, daß mit ihnen weit besser auszukommen sey, als mit den zweyten, geschweige mit den ersten. Da war keiner der Unsrigen, der nicht eingeräumt hätte, daß ihrer drey und vier ungleich leichter abgefunden und zufrieden gestellt werden könnten, als es der Fall gewesen mit zweyen von den Wälschen, und mit einem Einzigen von den Rheinbündnern. Dazu half allerdings die verhältnißmäßig geringe Zahl der Truppen, die dem Lande eben nicht zu sehr zur Last fallen konnte; ferner die Denkungsart der Befehlshaber, die über der militärischen Ehre hielten, und keine Art der Unordnung duldeten. Ich meines Theils wiewohl das mich begünstigende Verbot noch immer bestand, nahm den[112] ältesten, mithin commandirenden Offizier des Landes freywillig ins Haus, einen Mann von gesetzten Jahren, der von der Pike auf gedient, und sein Soldatenmetier recht gut verstand; übrigens der unwissendste und unbehülflichste Mensch unter der Sonne, der bey jedem nur nicht ganz alltäglichen Vorfall sich weder zu rathen noch zu helfen wußte, die Ordres gemeiniglich in die Quere verstand, unzählige Versehen machte, und dafür täglich und stündlich seine Ausputzer bekam von den Höhern, die übrigens wegen seiner Rechtlichkeit und Bravheit ihn schätzten. Er pflegte dann wohl mir und meinem Sohne seine Noth zu klagen, die wir ihn dann tüchtig auslachten für den Augenblick, fürs Künftige aber uns seiner annahmen, und ihm zurecht halfen, wenns Noth that. Das erkannte er mit größter Dankbarkeit, zog uns in allen Dingen zu Rath, und diente gelegentlich uns gern wieder. Er war ein Freund der bourgeois, und gab ihnen meistens Recht gegen die Soldaten, daher ihm denn auch jeder gewogen wurde. Er hegte alle nur ersinnliche Ehrerbietung vor meiner Person, vor meinen Büchern, und selbst vor meinem Berufe. Als ich bey der Annäherung des Weihnachtfestes ihn bat, während des Festes, wo ich viel zu predigen und zu studiren habe, mir die erforderliche Muße zu verschaffen, traf er so kräftige Anstalten, daß ich im tiefsten Frieden selber keiner so tiefen Ruhe genossen habe,[113] als diesmal. Dieser Capitain Martin hat volle sechs Monden bey uns gelegen; nie ist das gute Vernehmen gestöhrt worden zwischen ihm und uns; wir betrachteten und behandelten ihn denn auch zuletzt nicht mehr als einen Fremden, sondern als einen Freund vom Hause.

Allein in eben dem Maaße, worin ich anfing Ruhe zu gewinnen von Seiten unsrer ausländischen Dränger, ward mir mehr und mehr zu schaffen gemacht von Seiten unsrer eignen einheimischen, für die Bedürfnisse des Augenblicks niedergesetzten Landesverwaltung, und der damit verzweigten Bureaux, Commiteen und Commissariate. Diese ephemeren Beamten, deren Bevollmächtigung und eigentlicher Geschäftskreis nicht einmal zur öffentlichen Kunde gebracht worden, fingen an, die Prediger als ihre Geschäftsträger und Commis zu behandeln, denen sie nur auftragen dürften, was ihnen gerade bequem däuchte. In Betracht dessen, daß in außerordentlichen Lagen jeder Bürger dem Vaterlande auch zu außerordentlicher Dienstleistung verpflichtet ist, übernahmen wir willig, was nur irgend mit der Würde unsers Berufs sich vertragen mochte, theilten auch alle Lasten unsrer Mitbürger, liessen ruhen einstweilen unsre wohlhergebrachten und gesetzlich begründeten Exemtionen und Immunitäten, schatzten, steuerten, lieferten, fuhren, schanzten sogar in die Wette mit den Andern. Allein nicht selten waren[114] die Aufträge und Zumuthungen jener, von den geographischen und statistischen Eigenthümlichkeiten des eignen Landes nicht allezeit zum Besten unterrichteten Männer von der Art, daß sie physischer und moralischer Hindernisse halber unmöglich ausgeführt werden konnten. Wie oft ist ihnen begegnet, Fuhren, Lieferungen, Schanzgräber, Hand- und Fußdiener auszuschreiben auf Dörfer und Höfe, von deren längst nicht mehr Vorhandenseyn der nächste beste Cadaster, oder in dessen Ermanglung die von uns unzähligemal eingesandten Tabellen sie sofort hätten überführen können. Wie oft sind sie in den Fall gekommen, die früher gegebnen Befehle zurücknehmen zu müssen durch die spätern; wie oft, dem eignen Worte zu ermangeln, und die übernommenen Verpflichtungen ungelöst zu lassen. Was freilich mit unter mag in Rechnung gebracht werden dem Druck und Drang, welchem sie selbst bloß gestellt waren von Seiten der usurpirenden Gewalt, ingleichen den allzuhäufigen Veränderungen des Personals, da dann den Neueintretenden die Lust oder die Muße mangelte, die früher abgemachten Geschäfte einzulernen.

Es wird nöthig seyn, auf eine und andre dieser wechselseltigen Reibungen mich einzulassen, im geringsten nicht, als wäre es die Absicht, diesen längst erloschenen Behörden, deren einzelne Mitglieder von dem besten Willen erfüllt seyn mochten, nach so viel verstrichnen[115] Jahren noch einen üblen Leumund machen zu wollen; sondern einzig und allein, um auch von dieser Seite den Entschluß begreiflich zu machen, den ich am Ende gefaßt und zu dessen Rechtfertigung dieser Schrift unternommen worden.

Es war beliebt worden, das Brod, was dem Militair geliefert wurde, nicht ferner durch die Fouriere und Sergeants an die Soldaten vertheilen zu lassen, was den Unterschleif allzusehr begünstigte, sondern es von nun an abzureichen an die bequartierten Hauswirthe durch rechtliche und zuverlässige Männer der einzelnen Gemeinden. Auch ich ward dem zufolge ersucht von der Administration, irgend ein taugliches Subject zu diesem Geschäft vorzuschlagen aus meinem Sprengel. Da niemand Lust hatte, sich damit zu befassen, die Maaßregel selbst aber mir beyfallswürdig schien, so entschloß ich mich das Geschäft selbst zu übernehmen, und es ging recht gut. Jeden dritten Tag requirirte ich die Zahl der Brode, die ich bedurfte, und nachdem ich sie von Bergen aus empfangen, vertheilte ich sie unter die bequartierten Dörfer und Höfe, welche ihre Quoten zur bestimmten Stunde regelmäßig bey mir abholen ließen. Aber nun verlangte die Administration, daß auch Empfangscheine eingesandt werden sollten von den Empfängern. Ich erwiederte, daß dies Begehren, an und für sich selbst betrachtet, ganz in der Regel sey; da aber die Empfänger[116] meistens des Schreibens nicht kundig wären, so würde doch nur ich ihnen die Quittungen schreiben können, im Grunde also doch nur mich selbst quittiren, was der löblichen Behörde wenig helfen könne. Ich müsse bitten, daß man mir aufs Wort glaube; widrigenfalls wolle ich mit der Sache nichts zu schaffen haben .... Sie standen nun ab von den Empfangscheinen. Ich fuhr fort zu requiriren; sie zu schicken. Die Zahl der Essenden war nicht allezeit haarscharf zu bestimmen, indem unaufhörlich die Einen kamen, die Andern gingen. Ich sorgte dann, daß ich nur nicht zu kurz kam. Mir blieben allezeit Brode übrig, dessen dann die Armen des Ortes reichlich zu geniessen hatten.

Ich hatte eins der mir zuständigen Häuser im Dorfe hergegeben, damit eine Art von Hauptwache nebst den erforderlichen Prisons und Cachots darin errichtet werde, dergleichen zur Erhaltung der Zucht und Ruhe höchst nöthig war. Allein nun mußte auch Holz geschaft werden, womit die Wache geheitzt, ingleichen Licht, womit sie erleuchtet werden könne. Unstreitig lag der Gemeinde ob, zu deren Besten die Anstalt eingerichtet wurde, diese Bedürfnisse zu liefern. Allein das Holz fehlte überall, und das Licht war eben kein Gegenstand von sonderlicher Bedeutung. Also gab ich willig her von meinen Vorräthen, ließ auch, damit nur die Wache geheitzt und erleuchtet werden[117] möge, meine Studirstube, die mir ohnehin fast überflüssig war unter den dermaligen Umständen, die Sonnabende und Sonntage ausgenommen, lieber ungeheitzt und unerleuchtet. Nun trug sich zu, daß während dieser Zeit des Obergenerals Adjutant mich einmal besuchte, und meine Bücher, von denen er gehört haben mochte, zu sehen wünschte. Ich führte ihn dann auf meine Studirstube. »Schön, rief er aus, recht schön! ... Aber kalt! die Hände reibend, verzweifelt kalt!« ... Er griff an den Ofen. Wie? sagte er, Sie heizen nicht ein bey solcher Kälte? ... Sonst wohl, erwiedert' ich, aber nicht für jetzt .... Ob es mir etwa an Holz fehle, fragte er. Mein Holz, antwortete ich, brennt im Ofen der Wachtstube .... Was? schrie er, die Wachtstube heizen Sie? Der Mensch hub Hände und Augen gen Himmel. Und mit dem diesem Volk eigenthümlichen lebendigen Gebehrdenspiel. Unerhört! Unverantwortlich! Ueber diese Administration! Nun ich gebe Ihnen mein Wort, es soll anders werden .... Ich bekam denn auch wirklich mit nächster Post ein überaus höfliches Sendschreiben von besagter Administration, worin sie beklagte, daß ich, gemeinem Besten zu Liebe, mich so mancher Unbequemlichkeit unterzöge. Ich begriffe indessen wohl, daß bey jetzigen Wegen und Wetter kein Holz angefahren werden könne; ich möchte mich nur noch einige Zeit gedulden; sobald die Umstände es verstatteten,[118] solle alles ersetzt werden .... Ich habe mich denn auch geduldet. Den ganzen Winter hab' ich fortgefahren, die Wache zu heizen. Es ward Frühling. Es ward Sommer. Weg und Wetter liessen nichts zu wünschen übrig. Kein Holz ist mir gekommen ... Ich habe die Forderung am Ende auf meinen Nachfolger übertragen; ob er sie geltend zu machen verstanden, weiß ich für den Augenblick nicht zu sagen.

Es war versprochen worden, jedem Prediger, welcher Offiziere beherberge, eine Vergütung zukommen zu lassen von täglich anderthalb Thalern auf den Mann. Ich schickte dann auch einstens meine Bons ein, und bekam den Belang. Als ich aber nach geraumer Frist eine ungleich stärkere Forderung zu liquidiren vermeinte, hatte die löbliche Behörde indeß ihre Ansicht der Sache verändert, wunderte sich gewaltig, wie ich Entschädigung begehren möge für Einen Offizier, da mir deren eigentlich drey zu erhalten zukämen, und erklärte die ganze Forderung für unstatthaft. Ich, ihrer Statthaftigkeit gewiß, beschwerte mich bey der Gouvernements-Commission, der damaligen obersten Behörde des Landes, und die Administration erhielt Befehl zu zahlen. Allein jetzt fehlte es am Baaren. Mein Recht ward nun nicht ferner bestritten; mit der Zahlung aber wurde ich vertröstet bis zur dereinstigen allgemeinen Landes-Liquidation, das ist, bis zu den Griechischen Kalenden.[119]

Abermal ward mir geschrieben von der Administration, daß unaufhörlich Klagen eingingen wegen schlechter Qualität des dem Militär zu reichenden Brantweins; daß rathsam befunden worden, wie seither mit dem Brode geschehn, so auch künftig die Rationen zumessen zu lassen den Quartierwirthen; ich werde demnach ersucht, einen tauglichen Menschen auszumitteln in meiner Gemeinde, der den Brantwein, welcher so und so viel Grad halten müsse, den Wirthen zu liefern übernehme, da dann die Administration für jedes Oxhoft des also qualifizirten Getränkes sechs und funfzig Thaler zu zahlen verspreche. Ich beschied des Dorfes ersten Gastwirth zu mir, und forderte ihn auf, diese Lieferung zu übernehmen. Er war bereit dazu, dafern er nur mit Sicherheit auf die Zahlung rechnen könne. Daran, meinte ich, sey nicht zu zweifeln, und zeigte ihm das Schreiben der Administration. Der Mann zuckte die Achseln. Mit der löblichen Administration habe er nichts zu schaffen, erklärte er, wenn aber ich für die Zahlung ihm einstehn wolle, so werde er alles aufs beste besorgen. Im Vertrauen auf das mit äußerster Bestimmtheit ausgesprochne Wort einer öffentlich anerkannten Behörde, nahm ich keinen Anstand, die Bürgschaft zu leisten. Das erste Oxhoft kam, die Waare war gut, und ward bald alle. Ich zeigte es an, fragend zugleich, ob ich fortfahren solle. »In alle Wege! man achte sich mir höchlich[120] verpflichtet für meinen Eifer!« Als nun auch das zweyte Oxhoft erschöpft war, und der Lieferant ohnehin in Bergen zu thun hatte, rieth ich ihm die Bons mitzunehmen, und den Belang einzucassiren. Ganz betreten kam der Mann zurück, erzählend, daß man vor der Administration ihn tüchtig ausgelacht und wieder vorbeschieden habe auf den Tag der allgemeinen Landesliquidation. Ich war sehr ungehalten, wie natürlich. Ohne mit der treulosen Behörde mich weiter einzulassen, klagte ich sofort bey der Gouvernements-Commission. Auch diesmal ward die Administration verurtheilt, ungesäumt zu zahlen. Die Administration citirte nun die Häupter der Gemeinde. Die Gemeinde wußte nichts von solchen Häuptern. Es hat so wenig die Gemeinde der Administration gehorcht, als die Administration gehorcht hat der Gouvernements-Commission. Es ward der alte Singsang von dem Hausvater, der den Jödel ausschickte den Hafer zu schneiden, und hinterher den Pudel und hinterher den Knittel; allein der Knittel schlug den Pudel nicht, der Pudel biß den Jödel nicht, der Jödel schnitt den Hafer nicht und kam auch nicht zu Hause .... Müde des Querulirens zahlt' ich dem Gastwirth, und lebe nun der tröstlichen Hoffnung diese Forderung nebst hundert ähnlichen getilgt zu sehn, wenn nicht im Termin der allgemeinen Landes-Liquidation, so doch am Tage der großen letzten Ausgleichung.[121]

Daß unter solchen Umständen meine Casse mir endlich habe versagen müssen, läßt sich denken. Der Ausgaben waren unzählige, wogegen die meisten Einflüsse stockten. Die Zehnten blieben aus; die Pächter säumten zu zahlen; was zufällig einging, wollte nicht langen. Uebrigens ward nach wie vor von mir requirirt unter hundert Titeln. Die Handwerker des Ortes, wenn sie für das Militär gearbeitet hatten, wurden mit Bons abgefunden, ausgestellt auf die Landesadministration. Die Administration nahm die Bons, und schrieb den Belang den Leuten in das Credit. Da aber weder dem Schmiede die Kohlen, noch dem Sattler die Juchten, noch dem Schreiner die Bretter creditirt wurden, so weigerten sich die Leute von nun an zu arbeiten, dafern nicht ich für die Zahlung ihnen einstände. Was sollt' ich thun? Wollt' ich nicht täglichen Händeln entgegensehn, wollt' ich mich nicht aussetzen den Ausbrüchen roher Gemeinheit, so mußte ich schon zugeben, daß die Pöste mir in Rechnung gestellt wurden. So sind denn das ganze Jahr hindurch die Pferde behufeist, die Rüstwagen beschlagen, die Monturen ausgebessert, es sind hundertley Geräthe, kleinere und größere neuverfertigt oder altgeflickt worden für meine Rechnung. Ich gab hin, so lang ich hatte. Als ich selbst nicht mehr hatte, half ich mir mit Borgen. Wohl war zu fürchten, daß, wenn solches dauerte, alle Hülfsquellen mir endlich versiegen, und unser[122] Wohlstand unwiederbringlich erschüttert werden würde. Allein ich habe um die Dinge dieser Art mich nie von Herzen bekümmern können. Es hat weder der Mangel meinen Muth zu dämpfen getaugt, noch der Ueberfluß vermocht, ihn zu heben. »Nackend bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen; nackend werde ich wieder von dannen fahren!« Dies war Hiobs Wahlspruch. Es ist der Meine.5

Also nicht dieses war es, das mich kränkte, das mich verstimmte, das alle Heiterkeit und Geistes-Gleichmüthigkeit mir raubte. Es war etwas Anderes, Tieferes,[123] Ernsteres. Es war die Zerstöhrung meines bisherigen Lebensglücks, die Zerrüttung jener patriarchalischen Lebensweise, das Verschwinden aller Ruhe und alles Friedens, die Unmöglichkeit obzuliegen meinen liebsten Beschäftigungen, dem Studiren, der Betrachtung, der Unterweisung meiner Kinder. Hiezu kam, daß ich mich nicht mehr von Herzen erfreuen konnte meiner Gemeinde. Die alte Einfalt war nun dahin, verloren jene rührende Treuherzigkeit und Wahrheit. Selbst die Sprache ward anbrüchig, und artete aus in ein unausstehliches Roth- und Kauderwelsch, das mir Uebelkeit und Ekel erregte. Das Volk verwilderte. Die Sitten verfielen. Die Dirnen hängten sich an die fremden glatten Buben. Die Kinder gingen verwahrlost umher und sahen und hörten wenig Gutes. Die Gottesdienste wurden zwar wohl noch besucht; allein das Feuer der Andacht war erloschen. Mein schönes Zion drohte umzuschlagen in ein verwildertes Edom. Meine Paradiese lagen wüste. In meinem Saronsgarten wühlten die Säue .... Was Wunder dann, wenn Trübsinn und Mismuth mich übermannten, und eine finstre Melankolie an den Wurzeln meines Lebens nagte.

Meine Laune verstimmte sich. Mein Gemüth versauerte sich. Es kam mir vor, als sey ich ein Anderer geworden mit sammt den Andern. Ich, der sonst eines gütigen leutseligen Gemüthes sich rühmen durfte,[124] war nun heftig, auffahrend, jachzornig. Wie ich nur die Hausthür klingeln, nur die Stufen der Treppe krachen hörte, gerieth ich in Harnisch. Keinen Widerspruch konnte ich ertragen, fertigte kurz und barsch die Leute ab, die eines Bessern von mir gewohnt waren, und ertappte mich ein oder zweymal auf wirklichen Härten.

Wenn ich dieser krankhaften Empfindlichkeit den eignen Angehörigen gegenüber mich micht allzeit zu ermächtigen vermochte, so ist begreiflich, wenn selbige gegenüber den Fremden anwuchs bis zum entschiednen Widerwillen. Es kam dahin, daß ich eine Art idiosynkratischer Beklemmung empfand in deren Gegenwart. Es war nicht mein reflectirtes Urtheil, dem sie widerstanden; vielmehr konnte ich manchem unter ihnen meine Achtung, Einem und Andern meine Werthschätzung nicht versagen; es war die blinde willkührlose Natur, welche sich beängstigt fühlte in ihrer Nähe, ohngefähr wie die, welche mit der Katzenscheu behaftet sind, sich geängstigt fühlen in der Nähe der Katzen. Daß ich bey solcher Stimmung ihnen werde ausgewichen seyn, so viel nur immer thunlich war, läßt sich denken. Und eben daß ich es nicht vermochte, daß ich mich vor ihnen nicht retten noch bergen konnte, war meine größte Plage. Trat ich vor die Thür, so saßen sie auf den Bänken. Ging ich in den Garten, so spatzierten sie zwischen den Hecken. Wagt'[125] ich mich hinaus aufs Feld, so führte der leidige Feind flugs Einen oder Zween mir in Weg, die nichts Eiligeres hatten, als mit ihren hohlen Phrasen und schaalen Höflichkeitserweisungen mich zu quälen. Da ich nun auch auf meiner Studirstube im geringsten nicht gesichert war, so blieb nichts, wohin ich mich hätte flüchten können, als meine Kirche. Dorthin mich zu verfolgen, von dort mich abzurufen, wagte niemand. So bin ich dann stundenlang fast täglich in meiner Kirche auf- und abgewandelt, den langen Mittelgang zwischen den Gestühlen hinunter, vom Chor herab bis unter die Säulen der Orgel, die Gräber unter mir, die Gewölbe über mir, umringt von den halbverblichnen Bildnissen meiner längst in Staub zerfallnen Vorfahren. Ich pflegte dann wohl die große Foliobibel aufzuschlagen, die auf des Küsters Lesepult lag, und einen oder andern Psalm, der meiner Lage und Stimmung zusagte, halblaut mir vorzulesen. O wie oft hab' ich vor mich hingesprochen aus des Herzens innersten Tiefen jenes Lied im höhern Chor, das einhundert sechs und zwanzigste aus jenem unausschöpflichen Lieder-Schatze:


»Wenn der Herr die Gefangenen Zion erlösen wird, so werden wir seyn wie die Träumende.

Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens seyn. Da[126] wird man sagen unter den Heyden: Der Herr hat Großes an ihnen gethan!

Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich.

Herr wende unser Gefängniß, wie du die Wasser gegen Mittag trocknest.

Die mit Thränen säen, werden mit Freuden erndten.

Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Saamen; und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.«


Daß der hinfällige gebrechliche Leib das Kränkeln des an ihn gebundnen Zwillingbruders nicht werde haben ungetheilt gelassen, mag leicht erachtet werden. Ich war nicht eigentlich krank zwar, nicht in dem Sinn, daß ich eine förmliche Heilkur hätte brauchen können; auch möchten die Aerzte in Verlegenheit gewesen seyn, eine solche für mich auszufinden. Aber ich befand mich in einem gewissen Hinschmachten, das mißlicher seyn mochte, als jede entschiedne Krankheit. Eine Müde, eine Schwere empfand ich. Es lag mir wie Bley in den Röhren. Die Füße weigerten sich, den Leib zu tragen, also daß ich nach jedem zwanzigsten und dreißigsten Schritt niedersitzen mußte.

Ohne mit irgend einem Menschen Rücksprache zu pflegen über diesen Zustand, konnte ich gleichwohl nicht[127] umhin, ernstlich darüber zu Rath zu gehn mit mir selber. Ich empfand, daß es nicht besser, daß es eher schlimmer mit mir werden würde, bis entweder ich die Lage veränderte, oder das Land die seine. Daß Letzteres geschehen würde, dazu war nicht die allerfernste Aussicht vorhanden; kannten wir doch unsers Königs felsenfeste Standhaftigkeit, und seinen unwiederruflichen Entschluß, lieber unterzugehn als mit dem Widerwärtigen den Frieden zu schliessen. So blieb denn nur das erstere mir übrig; die Veränderung der eignen Lage. Nichts blieb übrig, dafern ich mich mir selber, den Meinigen, der Welt (welche letztere freilich meiner leichtlich entbehrt hätte), noch eine Weile erhalten wollte, als eine Lage mir zu wählen, wo ich, der ängstenden Verhältnisse, die mir die Brust einschnürten und das Herz zerpreßten, entstrickt, unter einem schönen Himmel, und in einer freundlichen Umgebung, neue Lebenskraft in mich saugen; dann aber, wann ich leiblich und geistig gestärkt mich fühlte, mit Ruhe und Ergebung zurückkehren möchte, zu neuem Wirken und Dulden. Zwar band mich das Amt, das mir war vertrauet worden; allein eben meines Amtes konnt' ich nur unvollkommen wahrnehmen während meiner dermaligen geistigen Verfinsterung und leiblichen Lähmung. Es fesselte mich die Gemeinde, welche eben jetzt meiner dringender bedurfte, als jemalen; aber eben diese war ungleich besser berathen, wenn ich[128] in Gemäßheit der mir zustehenden Gerechtsame, einen jüngern kräftigern Gehülfen mir zugesellte, welcher ausgerüstet mit den erforderlichen Gaben, Tugenden und Einsichten, feuernd noch von der ersten Liebe, und stark im Glauben, dem hartbedrängten Volk hülfreicher und heilbringender werden mußte, als ich es vermochte mit meiner schon gebrochnen Kraft, und meiner unherstellbar getrübten Stimmung.

Ueber denjenigen, welchem ich allein so Großes anvertrauen dürfte, war ich längst bey mir entschieden. Minder war ich es in Betracht der Parthey, die ich zu ergreifen, des Ortes, den ich zu erwählen, der Maaßregeln, die ich zu nehmen hätte, um eine würdige und anständige Stellung zu behaupten bis zur Entscheidung alles Schicksals.

Mein erster Gedanke war, überzugehn nach Schweden, für welches Land ich von jeher eine eigne Vorliebe genährt, und welches zu vertauschen mit der deutschen Heimath mir kaum eine Verwechselung des Vaterlandes gedäucht hätte. Ich bedurfte jedoch zu einem solchen Schritt der Genehmigung des Königs. Daß sie mir nicht entstehen werde, glaubte ich hoffen zu dürfen. Ich kannte den König. Er kannte mich. Ich wußte, daß er mir gewogen sey. Ich durfte nicht zweifeln, daß er mir ein einstweiliges oder bleibendes Asyl in seinem Reiche gestatten werde. Die Frage war nur, auf welche Weise mein Wunsch ihm zu[129] offenbaren, auf welchem Wege ein Brief von mir in seine Hände zu bringen sey, da das Land gesperrt, und aller Verkehr mit dem sogenannten Feinde hoch verpönt war. Jedoch auch hiezu bot sich mir ein Ausweg dar, den ich ungesäumt benutzte.

Auf einer Reise nach Bergen, der einzigen, die ich seit der Besetzung des Landes dringender Geschäfte halber mir erlaubt hatte, lernte ich in dem gastfreundlichen Hause meines Jugend- und Universitäts-Freundes, des verehrungswürdigen Probst Droysen, einen Schwedischen Rittmeister, Aquilon, kennen. Er war zurückgeblieben nach des Schwedischen Heers Abzuge, um der Kranken, die in den Hospitälern zurückgelassen werden mußten, einstweilen wahrzunehmen, und stand eben jetzt auf dem Punkt, mit den Genesenen sich einzuschiffen für die Heimath. Dieser Aquilon schien mir eines ernsten Sinns zu seyn und eines gesetzten Wesens. Ich glaubte zu lesen in seinen stark ausgeprägten Zügen die Eigenthümlichkeiten des Nationalkarakters, eine Treue, die alle Proben besteht, und eine Festigkeit, die keinem Sturm sich beugt. Da der Probst die Meinung, die ich von ihm gefaßt, bestätigte, so offenbarte ich ihm, daß ich an den König zu schreiben habe, und fragte ihn, ob er sich getraue, den Brief zu besorgen. Er übernahm es mit Eifer. Er versicherte, daß er den Brief eher vernichten, als ihn in andre Hände geben würde, als die des Königs selber.[130] Nachdem ich das Nöthige mit ihm verabredet, reiste ich zu Hause und schrieb. Ausführlich berichtete ich dem König, was vorgegangen bey uns seit seiner Abreise, verbreitete mich über des Landes gegenwärtigen Zustand, entwarf sodann ein erschütterndes aber wahres Gemählde meiner eignen Lage, und bat, nachdem ich für meine Gemeinde gesorgt haben würde, in sein schönes und sichres Reich mich retten zu dürfen, wo ich bereit sey jedes Geschäft, dessen ich mich fähig fühlte, und das er mir anzuvertrauen geruhen würde, einstweilen zu übernehmen und zu verwalten. Mittlerweile hatte Probst Droysen mir gemeldet, daß Aquilon bereits in der Lanker Bucht liege, und mit dem nächsten günstigen Winde absegeln werde. Ich schickte dann meine Briefe an den Probst, welcher sie weiter spedirte an den Pastor zu Lanken, und mir zurückschrieb in dessen Auftrag, daß Aquilon alles wohlempfangen, daß er bereits abgegangen sey, uns aber wohl leben heisse, und des Bewußten halber ihm gänzlich vertrauen.

Ich fühlte mich ruhiger nach dem Abgang meines Briefes. Hatte ich doch einen Faden angeknüpft, mittelst dessen ich hoffen durfte, aus diesem Irr- und Drangsal herausgeführt zu werden .... Diese Hoffnung ward jedoch nicht erfüllt. Ich sollte nicht fremd werden der vaterländischen Erde. Es war nur nicht verhängt, eingebürgert zu werden in »Odins riesenhaftem[131] Reiche« ... Ich habe keine Antwort erhalten auf jenen Brief.

Daß der trefliche Schwede den übernommenen Auftrag getreulich ausgerichtet habe, daran zweifelte ich keinen Augenblick. Wie er es gethan, erfuhr ich erst volle sechs Jahre später.

Im Frühling nemlich des achtzehnhundert dreyzehnten Jahrs, als auch die Schwedischen Krieger von ihren Küsten herüberschifften, um wegen der erlittenen Verhöhnungen sich die Genugthuung zu nehmen, war auch Aquilon sammt den andern gelandet auf dem Mönchguthischen Gestade. Nun führte aber die Marschlinie, die man den gelandeten, und nach Stralsund bestimmten Kriegern abgesteckt hatte, durch das Städtlein Garz und nicht durch Bergen. Aquilon, begierig der ihn drückenden Rechenschaft sich zu entbürden, läßt die andern ihres Weges ziehn, lenkt ab, da die Straße sich theilt, auf Bergen, nimmt die Nacht zu Hülfe, und tritt früh morgens zu meinem eben aufgestandenen überraschten Freunde in das Zimmer; meldet in wenig Worten, woher er komme, wie die Zeit ihn dränge, wie er den Umweg genommen, eigends nun Bericht abzustatten von der Ablieferung des anvertrauten Briefes, wie er bitte, solches mir zu überschreiben, indem er, mich selbst zu sprechen, schwerlich hoffen dürfe. Was er aber berichtet, ist dieses:

Aquilon, sobald er nur auf der Schwedischen Küste[132] gelandet, hat nichts Angelegneres, als sich nach des Königs dermaligem Aufenthalt zu erkundigen. Er erfährt, daß der König in einer kleinen entlegenen Landstadt liege, einsam und zugänglich keinem. Aquilon, ohne einen Weg von zwanzig Schwedischen Meilen sich verdrießen zu lassen, reist hin. Da er merken läßt, daß er komme den König zu sprechen, bedauert man ihn; er habe die Reise sparen können, meint man; der König spreche niemand. Aquilon läßt gleichwohl sich melden, und wird abgewiesen. Aquilon erklärt, wie er sich unmöglich könne abweisen lassen; er habe dem König einen Brief zu überreichen von mir; er habe seine Ehre verpfändet, den Brief in keine andre Hände zu geben, als die des Königs; er müsse gar sehr bitten, daß der König ihm gestatte sein Wort zu lösen. Sofort läßt der rittersinnige König ihn vor, hört seinen Bericht, empfängt den Brief, und entläßt den Ueberbringer mit Güte.

Daß mein Brief auf den König gewirkt, läßt dessen gefühlvolle edelmüthige Sinnesweise mich nicht zweifeln. Daß der Brief ohne Antwort geblieben, ist zu begreifen. Auf dem graden Wege konnte die Antwort mir nicht zukommen. Mittelst eines Schleichweges sie mir zuzufördern, war unter des Königs Würde .... Wie dem auch sey; Friede müsse seyn mit des hart geprüften, auch ohne Krone sattsam gekrönten, Königs Gott liebenden und die Menschen achtenden[133] Gemüthe! ... Und nie müsse mangeln ein Freund in der Noth jenem ächten Schweden, dem zuverlässigen unverdroßnen Bewahrer anvertrauter Pfänder, dem mannhaften Rittmeister Aquilon!

Nachdem ich einige Monate vergeblich gewartet hatte auf einen Wink aus Schweden, fing meine auf jenen Brief gestützte Hoffnung freilich an zu sinken. Der Januar war indeß verstrichen. Der Februar trat ein, und zugleich mit ihm mein funfzigster Geburtstag. Meine Kinder ermangelten nicht, ihn mit sorgenloser Fröhlichkeit zu begehn. Mir meines Theils ist keiner trüber vorübergegangen, als dieser.

Nicht lange, und auch der Frühling trat ins Feld; zeitiger diesmal, als er pflegt in unsern Climaten. Im März schon öffnete sich die Erde. Die Bienen sumseten; die Lerche wirbelte; der Schwäne Luftgeschrey klang herüber aus der Ferne. Eine schimmernde Frühlingsfiora, übrigblieben noch von den Pflanzungen meines blumenliebenden Vorfahren, verschönerte die sonst öden Gärten. Zwischen dem noch laublosen Gesträuch glühete die güldne Christwurz, Millionen Schneeglöckchen überflockten rings die Beete. Aus dem schwarzen Grunde brannte schon der Krokos hervor. Und der frühblühende Zindelbast verbreitete schon seine würzhaften Gerüche. Lüstern wie immer schlürfte ich die ersten Labetropfen ein aus dem sich wieder füllenden Becher der ewig jungen Natur. Allein sie[134] dienten nicht mich zu erquicken; sie dienten nur zu schärfen jene schmachtende krankhafte Stimmung, die nun auch den Meinigen nicht länger verborgen bleiben konnte, wiewohl ich fortfuhr, was in meinem Innern vorging, aller Welt zu verheelen.

In eben dem Maaße, worin die Jahrszeit sich erheiterte, verfinsterte sich der politische Himmel unsers Landes. An die Wiederherstellung der verlornen Ruhe war im mindesten nicht zu denken. Vielmehr ward uns von allen Seiten her versichert, daß, da unsre Küsten den Landungen der Engländer bloß lägen, das Land von nun an ungleich stärker besetzt werden müsse, was dann für den Sommer wenig Tröstliches hoffen ließ.

Immer mehr drängte es mich, die Szene zu wechseln, und unsern Drängern einstweilen das Feld zu räumen. Ich beschloß nunmehr, da auf Schweden nicht weiter zu rechnen war, von der bestehenden Regierung mir einen Urlaub zu erbitten auf unbestimmte Zeit, und, nachdem ich zuvor durch Berufung eines Diaconus für das Amt und die Gemeinde gesorgt haben würde, mit meiner Familie mich einstweilen niederzulassen innerhalb der Gränzen meines Geburtslandes, ja, wenn die Umstände es nur immer verstatteten, innerhalb meiner Heimath selber, zu deren Fluren, Seen, Bergen und Wäldern ich eben itzt mich hingezogen fühlte von einer krankhaften heimwehartigen[135] Sehnsucht. Unter diesem befreundeten Himmel, in der Mitte von Menschen, deren jeder mir ein Milchbruder bedünken mußte, gegenüber tausend Gegenständen, die in das elysische Traumleben meiner Kindheit mich zurückzuzaubern verhiessen, durfte ich am ehesten zu genesen hoffen. Auch des Anblicks jener mir so beschwerlich gewordnen Fremden hofft' ich dort überhoben zu seyn. Denn es waren die freundschaftlichen Verhältnisse zwischen den Meklenburgischen Höfen und dem Französischen Kaiser damalen schon wiederhergestellt.

Während ich umging mit diesem Plane, mit vieler Liebe ihn ausbildete, auch von fern her schon Einiges vorbereitete zu seiner Ausführung, erfolgte jenes Ereigniß, das, unbedeutend wie es schien, gleichwohl meinen Gedanken eine neue Richtung gab, und am Ende entscheidend wurde für meine Zukunft.

Es war ein sonniger lauer Tag des Aprils. Ich saß unter den blühenden Kastanienbäumen vor meiner Hütten Thür neben dem guten Capitain Martin, der mir erzählte von den Weinbergen und Obstgärten, die ihm die Voreltern hinterlassen hatten im Vaterlande, und welche einmal wiederzusehn, ihn gar sehr verlange; als ein Husar den Hof heraufgesprengt kam, und mir einen Gruß brachte vom General Grandjean, meldend zugleich, daß der Marschall Soult in der Nähe, sey, daß beschlossen worden, bey mir einzusprechen,[136] daß alle Welt Hunger habe, und daß ich daher gebeten werde, für ein Frühstück zu sorgen. Nun war ich meines Theils der Besuche ähnlicher Art schon allzusehr gewohnt, als daß die unverhofte Anmeldung mich sonderlich hätte alteriren mögen. Mein Capitain hingegen war ganz außer sich. Er glaubte vor den Riß treten zu müssen in diesem außerordentlichen Ereigniß. Er glaubte die Ehre unsers Hauses behaupten zu müssen in einem so dringenden Fall, und zugleich die Seine. Da er meinen Frauen schon längst hatte merken lassen, daß ihre Kochkunst nicht viel tauge, so übernahm er diesmal selbst die Küche, rief seinem getreuen Le Roy, band die Schürze vor, commandirte die Mägde, als ständ' er vor der Fronte seiner Fuseliere, ließ Eier sieden, Rippen rösten, Makaroni braten, die Saucen und Salate bereitete er selber; man hätte schwören sollen, des Mannes wahrer Platz sey vor dem Kochheerde, nicht auf der Wahlstatt. Inzwischen kam der Marschall ehe ich noch einmal Zeit gewonnen, den häuslichen Flaus zu vertauschen mit einem etwas passendern Kleide. Eine Menge Befehlshaber, Divisions- und Brigade-Generals, Adjutant-Majors und Aide de Camps begleiteten ihn. Da war General Compans, der Chef des Etat-Major, Molitor, der zu Stralsund, Grandjean, der auf Rügen commandirte; die andern Namen sind mir entfallen. Ich kann nicht anders sagen, als daß[137] diese Männer mir mit aller nur erdenklichen Urbanität begegnet seyn. Da war keiner, der nicht etwas Absonderliches und Verbindliches mir zu sagen gewußt hätte. Der Marschall war mir ehrwürdig. Gebrochen von Wunden, vermochte er nur mit Mühe sich aufrecht zu erhalten. Ich fand ihn herzlich und einfach. Aus Gelegenheit der an den Wänden hangenden Schweizer-Landschaften erzählte er von den Feldzügen, die er in den Gegenden gemacht, und glaubte, deren einige wieder zu erkennen in den Bildern. Compans hatte im Fährboot einen Finger zerschlitzt, der ihn schmerzte; er fragte, ob ich denn keinen Rath wisse. Ich fand dann noch einen Streif Heftpflaster, das ich auflegte, mir ausbedingend, daß der Kaiser nichts davon erführe, denn es sey Englisches Gut. Molitor erzählte dem Marschall von dem Bethause, das ich zu bauen unternommen auf Arkona; der Marschall verlangte die Subscriptionsliste zu sehn; er wolle sich auch unterzeichnen, ließ er merken; es that mir leid, die Liste nicht bey der Hand zu haben; ich versprach dann, sie ihm nachzusenden6. Das Frühstück[138] war itzt aufgetragen. Mein Capitain trat herein, ganz starr von Ehrfurcht; man hätte glauben mögen, der Kaiser selbst sey zugegen ....

Ueber Tische ging alles ganz fröhlich her, und die hungrigen Krieger, die freilich die ganze Nacht gereist, und seit gestern Abend gefastet hatten, liessen des Capitains Zurichtung sich recht wohl gefallen. Der Marschall, der sonst sehr ernst und fast sauer sieht (auch soll er ein strenger Mann seyn, was den Dienst anlangt) ward immer offener und heiterer. Er hatte gerade Chateaubriants jüngst erschienenes Werk, den Geist des Christenthums, gelesen, und redete mit mir darüber verständig und treffend. Dann gedachte er seiner Gattin, die eine Deutsche sey, und zeigte viele Vorliebe für unser Volk. Auch von dem Kaiser ward gesprochen, dem er aufrichtig zugethan schien, was ich bisher gar selten an diesen französischen Heerführern wahrgenommen hatte .... Nach Tische äußerte der Marschall den Wunsch, meine Familie zu sehn. Meine Gattin bat, entschuldigt zu seyn. Die Kinder aber mußten herein, so sehr sie sich sträubten. Ganz trotzig stand der Gottfried da, traktirte den Herrn Marschall und Herzog on Monsieur; würdigte auch kaum ihm Rede zu stehn, als er ihn einiges fragte über Genf und Paris; denn er hatte vernommen, daß der Bursche dort gewesen. Große Freude hatten die Männer an meinen Mägdlein, deren blühende[139] Wohlgestalt, rührende Anmuth und Holdseligkeit diesen trotzigen narbenstarrenden Kriegern das Herz aufschloß, und dem schon alternden, über der blutigen Arbeit steifgewordnen Marschall, der ihnen gegenüber der eignen Kinder gedenken mochte, eine Thräne in das Auge lockte. Sie mußten dann freilich auch zum Besten geben, was sie eingelernt hatten, ihr bischen Clavierspiel, und was sie zusammengekritzelt mit der Reisfeder von Laub-, Baum- und Blumenwerk. Viel schönes, wie leicht zu erachten, ward ihnen darüber gesagt, zumal der Kleineren, Blöderen, welcher das Weinen ungleich näher war, als das Lachen .... Der größte Theil des Tags verstrich auf diese Weise. Es ward angespannt endlich, und zu meiner nicht geringen Herzenserleichterung. Der Marschall ermangelte nicht, abschiednehmend seine Dienste mir anzubieten; auf die hergebrachte Weise freilich; allein es lag etwas in dem Ton und in der Art, was anzudeuten schien, es sey ihm Ernst um das, was er spräche. Er glaubte bemerkt zu haben, äußerte er, daß weder ich noch meine Kinder hier an ihrem rechten Platze wären; freuen werde ihn, einen Mann von Verdiensten hervorgezogen zu sehen aus der Dunkelheit; könne er dazu mitwirken, so lange er die Rechte des Souverains zu verwalten habe in der Provinz, mit Eifer werde er es thun, und er erwarte im geltenden Falle meine Briefe .... Ich kann nicht sagen, daß[140] des Marschalls, obgleich wohlgemeinte Aeusserungen, sonderlich nach meinem Geschmack gewesen. Mit ihm mich zu verständigen über die Begriffe von Celebrität und Obscurität, von der äußern Welt und von der innern, von Lebensglück und Lebensgenuß, war freilich itzt nicht thunlich. Ich begnügte mich dann, die Erhaltung so günstiger Gesinnungen mir auszubitten ... und hin zogen sie. Ich legte so wenig Nachdruck auf diesen Besuch, wie auf so manche frühere. Und während in der Nähe und Ferne, wie ich späterhin erfuhr, immerfort davon gesprochen, und wie es denn zu gehen pflegt, hundertley Umstände hinzugedichtet wurden, die man einzig aus der Luft gegriffen, war zwischen uns von dem ganzen unbedeutenden Vorfall schon längst nicht mehr die Rede.

Nach einigen Wochen vertraute mir der Capitain, daß er zu seinem großen Leidwesen uns nun bald würde verlassen müssen; daß ein Lager werde errichtet werden in Pommerland; daß auch das sechszehnte Regiment bestimmt sey, es zu beziehn; daß andre Truppen bey uns einrücken, und alle vierzehn Tage von frischen abgelöset werden würden, damit keiner weder des Lagerdienstes, noch des Küstendienstes, welcher letzterer von ganz absonderlicher Art sey, unkundig bleiben möge. Diese Mittheilungen unsers Hausfreundes gaben mir zu denken. Welch eine Quelle der Unruhe, des Verdrusses und der Mühseligkeiten jede Abwechselung[141] der Truppen für den Maire werde, hatte ich erfahren. Eine solche Ilias der Plagen jeden vierzehnten Tag durchzukämpfen, lag jenseit meiner Kräfte. Ich sah voraus, ich würde darunter erliegen.

Nun waren aber der Ausführung des zuletzt von mir entworfnen, und mit solcher Vorliebe ausgebildeten Entwurfes Schwierigkeiten entgegengetreten, auf die ich anfangs nicht gerechnet hatte. Sie waren zwar so groß nicht, daß ich schon itzt die ganze Sache aufgegeben hätte, wohl aber fing ich an zu besorgen, daß solches am Ende dennoch werde geschehen müssen.

Eines Tages nun, als ich nach geendigtem Gottesdienst und entlaßner Versammlung, eine Weile noch, wie ich dann pflegte, in den Gängen meiner Kirche einsam auf- und niederwandle, nachsinnend, wie mir möge geholfen werden, falls ich auch diesem letztern Entwurf sollte entsagen müssen, fährt mir, wie aus Eingebung, durch den Sinn: daß die historische Professur in Greifswald ja noch immer unbesetzt sey; daß ich in jüngern Jahren einen Lehrstuhl der Geschichte mir zum öftern gewünscht; daß auch itzt noch ich mir schon zutrauen dürfe, einen solchen auf eine tüchtige Weise auszufüllen; daß ich diese Stelle nachsuchen müsse bey dem Marschall; zugleich aber das Pastorat mir vorbehalten, damit mir allzeit frey stehn möge, nach wiederhergestellter Ruhe zu meiner Gemeinde zurückzukehren .... Dieser Gedanke, nicht anders, als[142] sey er von einem fremden Wesen (ob guter, ob böser Art? wußte ich für den Augenblick nicht zu entscheiden) mir eingesprochen worden, erschien bey näherer Erwägung mir so ungereimt, ungeheuer und unausführbar, daß ich ihn auf der Stelle verwarf, und meine Gedanken von ihm abzuziehn versuchte. Allein umsonst. Er kam wieder ungerufen; er verfolgte mich, wo ich ging und stand; er bildete sich aus, ohne mein Zuthun, wie es schien, in allen Theilen; er wußte sich mir vorzuspiegeln, so anmuthig, beyfällig, annehmungswürdig ... Schlechterdings vermocht' ich seiner nicht los zu werden. Doch widerstand ich dem Versucher volle vierzehn Tage.

Als aber alles sich bestätigte, was der Capitain mir eröffnet hatte, als Nachricht einging, daß das Lager stehe; als auch der Tag bereits bestimmt wurde, an welchem die Truppen abgelöset werden sollten, säumte ich nicht länger, saß nieder und schrieb:


»daß die Lage des Landes, und die Unruhen, denen ich in deren Folge auf meinem Platze ausgesetzt sey, eine Veränderung der eignen Lage mich wünschen liessen; daß die historische Professur in Greifswald seit Jahr und Tag erledigt sey; daß die Vergebung der Stelle zu den Rechten der Krone gehöre; da nun er, der Marschall, vom Kaiser bevollmächtigt sey, die vom Souverain relevirenden erledigten Aemter[143] zu besetzen, so bäte ich, daß dieses Amt, welchem mit Erfolg vorzustehn, meine historischen Studien und Schriften mich hoffen liessen mir verliehen, zugleich aber mir verstattet werden möge, mein Pfarramt daneben zu behalten, und während der akademischen Curse dessen Geschäfte verwalten zu lassen durch einen in Gemäßheit der mir zustehenden Rechte von mir zu berufenden und zu salarirenden Diaconus.«


So schrieb ich. Und addressirte den Brief nach Stettin, dem damaligen Hauptquartier des Marschalls. Da der Marschall jedoch fast immer auf Reisen war, und ich nicht wußte, wo er gerade itzt sich befinden möchte; so glaubte ich, am sichersten zu gehn, wenn ich ihn dem Chef des Generalstabes zu Stralsund, der zugleich mit dem Marschall bey mir gewesen (sein Name ist mir entfallen) zuschickte, und diesen ersuchte, ihn an die Behörde zu befördern. Mein Cantor, der gerade nach Stralsund reisete, kam sich zu erkundigen, ob ich dorthin etwas zu bestellen habe. Ich vertraute ihm dann die Briefe, und war nun ruhig, gerade, wie ich es gewesen nach dem Abgang des Rittmeisters Aquilon. Rückkehrend berichtete der Cantor mir, daß er den General in seinem Quartier aufgesucht, aber nicht gefunden; daß selbiger Tags zuvor abgegangen gewesen, und zwar nach Spanien; daß man indessen[144] den Brief auf dem Bureau des Etat-Major entgegengenommen, und ihm ein Reçu darüber ausgestellt habe, das er nicht verfehle, mir zu überbringen .... Ich konnte nun nicht anders urtheilen, als daß mein Brief nach Spanien abgehn, die Einlage aber nimmermehr gelangen würde an die Behörde. Ich hielt auch diesen Plan gescheitert, tröstete mich deshalb augenblicklich, und kehrte mit verdoppelter Wärme zurück zu jenem frühern, welchen ich einstweilen hatte auf sich beruhen lassen.

Vierzehn Tage verstrichen. Der Tag der Pfingsten ward erfüllet. Der Frühling war auf seiner Höhe. Der Schleedorn blühte. Die Aepfelbäume waren aufgebrochen. Myriaden Tulpen und Narcissen, Nacht- und Maternal-Violen prangten, wetteifernd in der Glut der Farben und der Fülle des Wohlgeruchs, auf den voll gedrängten Beeten .... Ich hatte die Gottesdienste des Tags beendigt. Kein lästiger Zusprecher störte des heiligen Abends tiefe Ruhe, also daß ich, während die Düfte der Nachtviolen und des spanischen Flieders zu meinen offenen Fenstern hereinwehten, der Betrachtung des Wortes auf den morgenden zweyten Festtag ungestört bis in die Nacht obliegen konnte. Um Mitternacht legte ich mich schlafen. Wenig Stunden mochte ich geruhet haben, als ich wieder aufgeweckt wurde durch ein heftiges Klopfen an der Thür; eine Erscheinung, deren[145] wir nur allzusehr gewohnt worden waren seit den letzten Monden. Die Magd, welche geöffnet hatte, trat bald zu mir herein .... Eine Stafette sey angekommen aus Stralsund, und verlange augenblicklich abgefertigt zu werden .... Zugleich überreichte sie mir die Depesche. Der Tag war im Anbrechen. Ich erkannte in der schwachen Hellung sofort auf dem Siegel den kaiserlichen Adler. Ich stand eiligst auf, und dem matt erhellten Fenster mich nähernd, las ich in des herauf dämmernden Morgenrothes bleichem Schimmer den Inhalt. Ich ward berufen Namens des Kaisers zur Professur; alles was ich mir ausbedungen, ward zugestanden. Ein Schreiben des Intendanten de Brémond lag dabey; ich ward eingeladen, mich ungesäumt auf der Intendance zu stellen, da ich dann, nach Leistung des gesetzmäßigen Eides, die Vollmachten entgegen nehmen, und mein Amt sofort antreten könne .... Also war das begnadigende Wort gesprochen. Der Bannbrief war zerrissen. Die eisernen Pforten standen offen und ich durfte hinaustreten in das Freye, sobald es mir geliebte. Itzt empfand ich die Wahrheit jenes schönen Bildes: »Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann wird uns seyn, wie den Träumenden.« Ich war dieser Träumende. Mein Gefängniß war gewendet. Die Wasser der Trübsal waren getrocknet .... Was konnte mir eiliger seyn itzt, als hinabzugehn[146] zu meiner noch schlaftrunkenen Gattin, und die empfangene Zeitung ihr mitzutheilen. Auch mit keinem Laute ich des Schrittes, den ich gewagt, gegen sie erwähnt; so wenig wie gegen irgend ein anderes sterbliches Wesen. Um so größer war ihre Ueberraschung! Um so stärker ihre Freude. Denn auch sie hatte, wie leicht erachtet werden mag, von den Plagen dieser schweren Zeit mehr zu tragen gehabt, als ihre Schultern vermochten. Nicht so zufrieden schienen die Kinder. Unsre Erstgeborne zwar, froh alles dessen, weß sie die Eltern sich erfreuen sahe, war leicht getröstet, das einsame Wittow zu vertauschen mit dem freundlichen geselligen Greifswald, das sie schon in frühern Jahren kennen gelernt, und liebgewonnen. Der Gottfried hingegen wäre lieber noch eine Weile daheim geblieben bey seinen Thürmen, Flotten und Burgen. Und auch unserm kleineren Mägdlein that leid, sich scheiden zu sollen von ihren Glucken, Hühnchen und Küchlein. Als ihr jedoch versprochen wurde, daß alle mitgenommen, daß auch nicht Eines zurückbleiben solle, gab sie sich zufrieden.

Aber schon ward das Fest eingeläutet, und ich mußte meine Gedanken sammeln für die bevorstehenden heiligen Stunden. Mit welcher Bewegung ich des heiligen Dienstes gepflegt an diesem Tage; mit welcher Innigkeit ich gesprochen über den Stern und Kern des Evangelii, über das große Wort, das auch unsers[147] starken Luther sinkende Seele emporgehoben hat in den letzten Augenblicken, das Wort: »Also hat Gott die Welt geliebet, daß er ihr seinen eingebornen Sohn gab,« ist noch unvergessen sowohl mir, als denen, die mich damals hörten. Abends nach dem zweyten Gottesdienste behielt ich zween theure Freunde, Vater und Sohn, beyde Diener der Kirche, zurück vor dem Altar, und meldete ihnen die Wendung, welche Gott meinem Schicksal gegeben. Ueberrascht und innigst gerührt, wünschten sie mir zwar von Herzen Glück, beklagten aber mit Thränen, daß ich sie verlassen wolle.

Tags darauf fuhr ich nach Stralsund, ging Dienstags auf die Intendance, und nahm nach geleistetem Eide7 und darüber abgefaßtem Proceß-Verbal meine Papiere entgegen, welche sämmtlich zu vieren malen ausgefertigt waren, für des Kaisers Archiv, für die Intendantschaft, für Rector und Concilium, und endlich[148] für mich8. Ausgerüstet auf solche Weise, säumte ich nicht, nach Greifswald zu gehn, fand jedoch, daß die Behörden von Stettin und Stralsund aus bereits von meiner Ernennung unterrichtet worden. Nicht allzufreundlich, was die Mehrheit anlangt, empfingen mich meine nunmehrigen Collegen; was den treflichen Männern schwerlich verdacht werden mochte, als die vielleicht der Meinung waren, daß ich auf eine regelwidrige Weise ihnen aufgedrungen, mithin ihren Rechten zu nahe getreten sey durch meine Ernennung. Das war jedoch mit nichten der Fall. Denn nur für[149] die ersten drey bis vier Monde der Vacanz ist kraft des grundgesetzlichen Recesses den Facultäten die Nomination zugesichert worden; auf den Fall aber, daß diese Frist unbenutzt bliebe, hat der König sich vorbehalten, aus eigner Machtvollkommenheit den erledigten Lehrstuhl mit einem »qualifizirten Subject« zu besetzen. Da nun diesmal die gesetzmäßige Frist nicht etwa zum ersten, sondern bereits zum zweiten und dritten Mal verstrichen, und unbenutzt geblieben, allerdings in Folge der außerordentlichen Zeitumstände, und mit Vorwissen der Gouvernements-Commission, welche auch das Cancellariat einstweilen verwaltete, so war das Recht der Ernennung nunmehr zurückgefallen an den Souverain, und in dessen Ermanglung an den Stellvertreter des Souverains; daß also, wenn anders die Eroberung einen provisorischen Rechtsstand begründen mag, an dem Rechtstitel, kraft dessen ich erwählt und berufen worden, mit Grunde nichts Mangelhaftes erfunden werden mochte. Ich ward dann auch ohne weitere Einrede anerkannt, vereidet, und in den akademischen Senat aufgenommen, habe auch seitdem von dessen Mehrheit mich jederzeit alles Lieben und Guten zu erfreuen gehabt, welches nach Kräften zu erwiedern denn auch ich in alle Wege beflissen gewesen .... Für diesmal war jedoch meines Säumens allhier nicht länger. Vielmehr eilte ich, nachdem ich zuvor noch einen theuren Freund in der Nähe besucht, zurück[150] nach Hause, wo mittlerweile die gefürchtete Umquartierung erfolgt war, also daß ich lauter neue Gesichter vorfand. Mein wackrer Sohn, so verhaßt diese Tracasserien übrigens ihm waren, hatte sich inzwischen einmal zusammengenommen, und Namens meiner die Geschäfte des Maire und des Bourguemaitre mit großer Autorität und zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet.

Mittlerweile war denn auch in meiner Gemeinde bekannt geworden, daß ich auf die hohe Schule zu Greifswald berufen, und im Begriff sey, binnen kurzem diesem Rufe zu folgen. Gleichwie nun menschlicher Natur eigen ist, das ruhig beseßne Gut nicht groß zu achten, das bedrohte aber zu überschätzen, und über den wahren Werth hinaus anzuschlagen, also schien denn auch diesen guten Leuten nun mit einmal der Flor vom Auge zu gleiten; itzt erst schien ihnen klar zu werden, was sie an mir gehabt, und was sie Gefahr liefen, in mir zu verlieren. Sie, die eben während dieser letzten prüfenden Zeit, wo ich rastlos sie vertreten, geschützt, vertheidigt, vielfältig erleichtert, mit Leib und Seel, wie ich wohl sagen darf, für sie mich aufgeopfert, mit mancherley Ausbrüchen der Unart und des Undankes mich schmerzlich gekränkt und betrübt hatten, sie zeigten sich nunmehr ganz beschämt durch den von mir gefaßten Entschluß, und ganz betreten. Es war freilich nicht erhört gewesen bis itzt,[151] daß ein Pastor zu Altenkirchen jemalen seinen Platz mit einem andern vertauscht hätte, wohl aber hatten öfter, zumal in den ältern Zeiten, Männer, die bereits in ansehnlichen Aemtern gestanden, namentlich die Hofprediger der Herzoge, die Professoren der hohen Schule, die graduirten Söhne der Generalsuperintendenten, und andre, sich verpflanzen lassen nach Altenkirchen. Es ergingen dann auch von allen Seiten an mich Anfragen, was mich doch eigentlich bewegen möge, meine Gemeinde zu verlassen; Anerbietungen, abzustellen, was unter ihnen mir etwa misfallen möchte; dringende Bitten, doch zu bleiben. Ich ermangelte dann freilich nicht den Gesendeten begreiflich zu machen, was mich triebe. Ich erinnerte an Eines und Anderes, dessen sie aus eigner Anregung sich nicht schienen erinnern zu wollen. Ich ließ sie selber urtheilen über meine Lage, und über die Nothwendigkeit, sie zu verwechseln. Ich versicherte gleichwohl, daß weder Ungenügsamkeit, die sie mir ohnehin nicht zutrauen würden, noch eine Empfindlichkeit, deren ich mich nicht fähig fühlte, meinen Entschluß bestimmt habe, sondern einzig das Verlangen, ihnen selbst und den Meinigen, der göttlichen Fügung vertrauend, mich noch eine Weile zu erhalten; daß ich gleichwohl nach wie vor ihr Pastor und Seelsorger bliebe, und nicht ermangeln würde, als solcher auch aus meiner Ferne unter ihnen zu wirken; daß mein künftiger Wohnort so entlegen nicht wäre, daß[152] sie in dringenden Ereignissen mich auch dort nicht auffinden, auch allezeit der freundlichen Aufnahme von mir gewärtig seyn könnten; daß ich dem Gedanken nicht entsage, dereinstens für immer zu ihnen zurückzukehren, und meine Tage in ihrer Mitte zu beschließen; daß ich übrigens nicht von hinnen ziehen würde, ehe und bevor ich einen Mann ausgefunden, der geeignet wäre, nicht nur meine Person ihnen zu ersetzen, sondern auch mich zu überholen und zu verdunkeln .... Solchen und ähnlichen Beruhigungsgründen wußten die guten Leute dann freilich nichts entgegenzustellen, und gingen hin, mehr oder minder zufrieden gestellt. Hin und wieder fand sich denn auch wohl eine weichere Natur, deren Beruhigung mir mehr zu schaffen machte. Eine Frau von mittlern Jahren unter andern, die auf einem entlegenen Dorfe lange krank gelegen, konnte sich gar nicht darein finden, daß ich sie verlassen wolle, ehe denn sie stürbe. Inzwischen, als ich wenig Tage vor meiner Abreise sie noch einmal besuchte, fühlte ich mich nicht wenig bewegt, beym Abschiednehmen von ihr zu hören, wie sie sich zwar itzt darin gefunden, mein Angesicht nicht wieder zu sehn in dieser Welt; wie sie aber festiglich hoffe, daß Gott ihr Gebet erhören, und sie so zeitig noch hinwegnehmen werde, daß ich wenigstens ihrer Leiche folgen, und die Collecte singen möge über ihrem Grabe .... Es hat jedoch Gott nicht gefallen, ihres fast[153] kinderhaften Wunsches sie zu gewähren; sie ist einige Wochen nach meiner Abreise erst unter den Gebeten meines Nachfolgers verschieden.

Aber itzt lag mir ob vor allem, den Mann zu wählen, dem ich den Hirtenstab, welchen mit Kraft und Erfolg zu führen, ich für itzt zu schwach mich fühlte, mit Ruhe übertragen könne. Oder vielmehr, da diese Wahl längst bey mir entschieden, da ich längst in meinem Innern ausersehn den Einzigen, der geeignet war unter denen, so ich kannte, den bedenklichsten und verantwortungreichsten aller Schritte vor Gott und Menschen zu rechtfertigen; es lag mir ob, denselben ohne fernern Aufschub zu berufen .... Her mann Baier, der Sohn eines ehrwürdigen allzufrühe verstorbenen Vaters, und einer Mutter, welche hervorragt unter den Zierden ihres Geschlechts, hatte sich seit einer Reihe von Jahren in gewissem Sinn zu den Angehörigen meines Hauses gezählt. Nachdem er mehrere Jahre hindurch in der Bildung meiner Kinder mir beygestanden, hatte ich ihn abgetreten zu gleichem Zweck einer Dame, die gewissermaaßen ältere Rechte an ihn hatte, des letzten Holländischen Gouverneurs auf dem Hoffnungs Cap nachgebliebner Gattin, die schon zu Jena, wo sie während seines Studirens sich aufhielt, die Führung ihrer Knaben ihm anvertraut gehabt, und itzt, da sie in der französischen Schweiz sich angekauft, ihn zu sich zurück zu ziehen[154] wünschte. Ich stellte ihm dann frey, nicht nur zu ihr zurückzukehren; ich vertraute ihm sogar meinen einzigen Sohn, dessen Bildung er versprach zugleich mit James Gordon seiner vollends hinauszuführen. So hatten sie dann mehrere Jahre mit einander gelebt, getrennt von uns durch eine weite Ferne, bald auf dem Schlosse der Gräfin zu Lasarra, dann zu Yocrdun beym Pestalozzi, dann zu Genf, endlich auch eine Weile zu Paris. Unlängst waren die lieben Reisenden zurückgekehrt, und Baier, nachdem er meinen Knaben zu getreuen Händen mir wieder überliefert, lebte von nun an meistens an seinem Geburtsort, der Beschützer, Rathgeber und Vertreter einer zahlreichen Familie nicht nur, sondern aller überhaupt, welche in so schwerer Zeit Rathes und Schutzes halber sich an ihn wandten. Ihn, der die Welt kennen gelernt, und sich frey zu erhalten gewußt von ihrem trübenden Einwirken; der mit der Würde der Darstellung die Demuth des Sinnes verband, und ein reines Gemüthe; der mit einer gründlichen theologischen Erkenntniß einen brennenden Eifer für die Förderung des Höchsten und Besten im Menschen vereinte; ihn kannte ich sattsam, um das heiligste aller Unterpfänder ihm ohne ängstliche Bedenklichkeit anvertrauen zu können. Ich beschied ihn demnach zu mir, und, als er sich bereitwillig gezeigt, meinem Rufe zu folgen, berief ich am nächsten Sonntag nach geendigter[155] Predigt die Hausväter der Gemeinde vor den Altar, und stellte in der Person des Mannes, welcher mehrere Jahre schon in ihrer Mitte gewandelt, und dem ihrer keiner seine Achtung und Werthschätzung hatte versagen können, als Den vor, welchen ich, in Gemäßheit der mir zustehenden Gerechtsame, zu meinem Diaconus und Helfer ausersehen hatte, anfragend zugleich, ob irgend jemand unter ihnen vorhanden wäre, der gegen diese meine Wahl einige Einrede und Einwendung anzubringen wisse. Als nun alle mit einander einmüthig versichert, daß sie, weit entfernt, die von mir getroffene Wahl zu tadeln, selbige vielmehr zum höchsten billigten, sich ihrer erfreuten, und mir zum Voraus dafür dankten, säumte ich nicht länger, sondern überreichte auf der Stelle selber dem Erwählten den von mir auf die gesetzmäßige Weise abgefaßten Berufungs-Brief; auseinander setzend zugleich, welche Pflichten diese Urkunde ihm auflege, welche Rechte sie ihm zusichere, welche Erwartungen ich von ihm hege, welche Verantwortlichkeit von nun an auf seinen Schultern ruhe, welchen Mustern von ihm nachgestrebt, welchen Vorgängern von ihm nachgeeifert werden müsse; endigend mit den Worten Luthers:


Was ich gethan hab' und gelehrt,

Das sollt du thun und lehren,

Auf daß das Reich Gottes werd gemehrt

Zu seinem Preis und Ehren![156]

Und hüt' dich vor der Menschen Gesatz;

Davon verdirbt der edle Schatz;

Das laß' ich dir zuletzte.


Darnach am zehenten Sonntage nach Trinitatis, dem fünften des siebzehenten Jahrs meines Predigtamtes, habe ich, in Auftrag des obersten Vorstehers der inländischen Geistlichkeit, den Erwählten und Berufenen, nachdem dieser die priesterliche Weihe zu Greifswald empfangen, auf das feyerlichste eingeführt und eingeweiht zum Dienste Gottes und Jesu Christi bey der mir anvertrauten Gemeinde. Nachdem ich zuvor noch einmal gepredigt und mich zum letztenmal geletzt mit meinem Volk, in Anleitung der von mir zum Text meiner Abschiedspredigt gewählten Warte: »Und nun, Kindlein, bleibet bey ihm, auf daß, wenn er offenbaret wird, daß wir Freudigkeit haben, und nicht zu Schanden werden vor ihm, in seiner Zukunft« 1 Joh. II, 28., trat ich auf den Altar, erinnerte an einige der großen Lehrer der ältesten Kirche, hob hervor aus ihrem thaten-und trübsalreichen Leben einige der erhebendsten Züge des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, legte solche dem Einzuführenden an das Herz, und nachdem ich das bindende Ja von seinen Lippen empfangen, instituirte ich ihn in Gemäßheit des Ritus unsrer Kirche im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Es ward mir beygestanden[157] in dem frommen Geschäft von mehreren verehrten Geistlichen der Insel, deren die meisten Blutsfreunde und Anverwandten des Einzuführenden waren, neben ihnen auch von dem verehrungswürdigen Schleiermacher, der sich zufällig zum Besuch bey uns befand, und, wiewohl einer abweichenden Confession zugethan. (»Ist doch Einer unser aller Meister, Christus!«) sich gleichwohl leichtlich erbitten ließ, auf des neuen Friedensboten gesegnete Scheitel zugleich mit uns andern die segnende Hand zu legen. Er ist denn auch gesegnet gewesen bis auf diesen Tag, und soll gesegnet seyn und bleiben bis auf den Tag der Zukunft seines und meines Herrn und Meisters. Amen.

Nach Beseitigung dieses allerwesentlichsten Geschäftes blieb nichts mir übrig, als auch das Zeitliche zu ordnen. Dies war geschehn in wenig Tagen. Ich sonderte meine Papiere, vernichtend die Einen, aufbewahrend die Andern. Ich schloß ab mit meinen Pächtern und bestätigte ihnen die Contracte. Ich berief die sämmtlichen Angehörigen des Pfarr-Lehns, und verwies sie, was anlangte ihre bürgerlichen und häuslichen Anliegen, an meinen Stellvertreter. Ich versteigerte dann mein ganzes Feld- und Wirthschafts- Inventarium, und löste, in Folge der geldarmen, vielbedürftigen Zeitumstände ohngefähr so viele Hunderte dafür, als es mich Tausende gekostet. Was uns übrig[158] geblieben, ward eingeschift zusammt den Büchern. Der Kleinen Hühner und Küchlein wurden nicht vergessen; so wenig, als das Hündlein unsrer Aeltern, was ihr war verehrt worden von einem jungen Korsischen Offizier, einem Verwandten des Kaiserhauses, der nach wenig Monden in der Schlacht bey Aspern gefallen. Vollendet war itzt alles. Die Stunde des Abschiedes schon erklungen. Während die Meinigen zu Wagen saßen, eilte ich noch einmal in meine Kirche und Sakristey. Von dort zu den Gräbern meiner Kinder. Ihnen brachte ich mein letztes Fahrwohl. Eiligst nahm ich meinen Platz ein neben den Andern; und fort zogen wir. Während alles um uns heulte und schluchzte, »war voll Lachens unser Mund, und unser Herz voll Rühmens. Der Herr hatte Großes an uns gethan. Deß waren wir fröhlich.«

Das Land, als wir es verließen, stand im üppigsten Flor. Das Jahr war eins der gesegnetsten. Die Erndte, meine liebste Zeit, sollte beginnen. Dick und drang wogten meine Saaten die Breiten hinunter. In Gras und Klee und Blumen wateten bis zum Bauche die Kühe. Milch floß auf meinen Weiden, Honig in den Bienenschauern. Auch war »das Mehl im Kad nicht all' geworden, noch das Oel versiegt in dem Krüglein« ... Alles habe ich verlassen, ohne daß es auch nur Einen Seufzer mich gekostet. Auch nicht einmal habe ich hinter mich gesehen auf dem[159] Wege. Nie haben wir uns zurückgewünscht zu den Aegyptischen Fleischtöpfen in Mitte der dürren Wüste, wo wir mehr denn einmal in den Fall des Darbens gekommen.

Es war schon Abend; die Sonne untergegangen; der Flor der Dämmerung lag ausgebreitet über den Straßen und Gassen, als wir einzogen in unser bergendes Zoar. Wir nahmen Besitz für den Anfang von einem weiten wüsten Hause, innerhalb dessen ganz leerer Wände unsre Tritte dumpf wiedertönten. Da war nicht Tisch noch Bank; nicht Bett noch Polster. Es fehlten die Vorräthe; es fehlten die Bücher; es fehlte Alles .... Alles ersetzte uns der tiefe Friede, die milde Stille, die ersehnte Ruhe, deren heilenden Balsam wir mit langen lechzenden Zügen in uns schlürften. »Voll Lachens war unser Mund, unser Herz voll Rühmens. Hatte der Herr doch gewendet unser Gefängniß, und die Wasser der Trübsal waren vertrocknet!«

Fußnoten

1 Dichtungen Band VIII. S. 36.


2 Siehe unter den Beplagen die zweyte.


3 Zur Erhaltung des Andenkens wenigstens dieser vergeblich unternommenen Arbeit, habe ich die Vorrede, die ich dazu geschrieben, abdrucken lassen unter den Beylagen (Nr. 3.).


4 Auf diesen Umstand beziehen sich die widmenden Stanzen, womit ich die um diese Zeit erschienene »Jungfrau von Nikomedia« der Königin von Baiern zugeschrieben habe:


Und zürnender schon klang des Orkans Schelten,

Und näher wälzte sich der rothe Brand;

Rings donnerten die aufgeschreckten Belten,

Bang harrend lag das stille Inselland.

Wir sahn den blitzbewehrten Adler fliegen,

Und stumm den Schwan in seinen Schilf sich schmiegen.


Da sprach aus Ihres Throns umsonnten Höhen

Ein selig Wesen mir sanft tröstend zu.

Und himmelab umfing mich lindes Wehen,

Und dem Verlassnen nahtest, Muse, du!

Ich prüfte zweifelnd die entwöhnten Schwingen;

Noch einmal wagt' ich, in das Land zu dringen,


Wo sammt den heilgen Fraun die frommen Zeugen

Der Ruhe pflegen nach der heissen Quaal.

Es flüstert Offenbarung aus den Zweigen;

Melodisch floß der Bach im Rosenthal.

Zuletzt hat mir der hellen Jungfraun Eine

Ein Reis gereicht gepflückt im Lebenshaine.


Das hab' ich aus den amarantnen Auen

Ins Land des Wahns und Traums zurückgebracht,

Ich bring' es frommen Sinns der Frau der Frauen,

Die den erloschnen Funken angefacht.

An Ihres Thrones Stufen still zu grünen

Bring' ich das schlichte Reis Bavariens Karolinen!


5 Die Erfahrungen, die ich gemacht von meiner Jugend auf, daß nemlich, wenn nur erst die Zeit vorhanden, auch der Rath nicht ferne sey, mag freilich dazu beygetragen haben, in dieser meiner Sorg- und Kummerlosigkeit mich zu erhalten und zu bestärken. Auch diesmal ist mir begegnet, daß eines Abends, als ich mich fast gänzlich ausgegeben, mir hundert Thaler in das Haus geschickt wurden von einem nahmhaften, nicht meiner, sondern einer benachbarten Gemeinde angehörigen, nicht eben reichen Manne. »Dieses Geld, schrieb er mir, sey für den Augenblick ihm übrig. Dagegen lasse die Art und Weise, wie ich es bekanntlich treibe, vermuthen, daß ich dessen bedürfen möge. Möchte ich es denn hinnehmen, und damit haushalten auf die gewohnte Weise. Um die Rückzahlung möge ich nicht sorgen. Es habe Zeit damit, bis die Zeiten sich besserten.« ... Sie haben sich dann auch gebessert, was anlangt diesen Braven, als welcher der Gewalt der Zeit seitdem überall entrissen worden. Seiner hinterlassnen Wittwe aber, als nun diese in den Fall kam, des Ihrigen zu bedürfen, ist solches getreulich zurück gezahlt worden.


6 Ich habe sie denn auch späterhin überschickt, da denn der Marschall, und die ihn umgebenden Generale, die Einen mehr, die andern minder bedeutende Summen unterzeichnet haben, deren Belang mir von ihren Geschäftsmännern zu Stralsund auch richtig ausbezahlt worden ist.


7 Dieser Eid, abgelegt von allen, welche von der bestehenden Gewalt angestellt worden, und verbindlich nur, so lang dieselbe bestand, enthielt nichts, was nicht, dem Gewissen unbeschadet, geschworen und befolgt werden konnte; nichts nämlich als dieses: »daß man die Einem anvertraute Autorität benutzen wolle, um Ordnung und Ruhe im Lande zu erhalten, daß man zu den Maasregeln mitwirken wolle, welche für den Dienst der Kaiserlichen Heere getroffen werden müßten, und daß man endlich aller Correspondenz mit dem Feinde sich enthalten wolle.«


8 Zur Ehre dieser wegen ihrer Habsucht so verschrienen Fremdlinge muß ich auführen, daß mir meines Theils nicht hat gelingen wollen, einiges Geld bey ihnen anzubringen. Wohl glaubt' ich, als meine Papiere auf der Intendance mir übergeben wurden, zehn Friedrichsd'or auf den Tisch legen zu müssen, als »einige Entschädigung für die Mühe, welche die Canzeley meinethalb gehabt.« Augenblicklich erhub der oberste Secretair sich aus seinem Sessel, nahm das Päckchen, über reichte es mir, und ersuchte mich, es zurückzunehmen. Als ich, einer gewöhnlichen Grimasse mich versehend, damit zauderte, ward er sehr ernst, bestand auf die Rücknahme, und nachdem solche geschehn, er aber, sofort wieder freundlich geworden, noch erklärt hatte, daß die Canzley sich sattsam belohnt achte durch die Genugthuung, für einen Mann meiner Art gearbeitet zu haben, brach er ab von diesem Gegenstand, und fing an mich zu befragen über die zu Rhetra gefundnen Obotritischen Alterthümer, nach welchen sich zu erkundigen, ihm sey aufgetragen worden, von Seiten des Nationalinstituts zu Paris.


Quelle:
Kosegarten, Ludwig Gotthard: Geschichte seines fünfzigsten Lebensjahres. Leipzig 1816, S. 160.
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