Vorbericht

Wenn ich es der Mühe wert halte, dem Publikum meine Begebenheiten in dem letztverflossenen Jahre mitzuteilen, so nenne man das nicht Eitelkeit. Mein Schicksal war so sonderbar, daß es schon als Roman interessieren würde; wie weit mehr als wahre Geschichte – möge doch das Individuum, welches sie erlebte, heißen, wie es wolle.

Mich bestimmen noch andre und wichtigere Gründe. Deutschland – ja, ich darf sagen ein Teil von Europa – hat sich, teils neugierig, teils wohlwollend, für mein Schicksal interessiert; überall hat man nach der Veranlassung desselben geforscht. Die auffallende Wirkung erzeugte ein Grübeln nach der Ursache. Man erfand hundert und wieder hundert Geschichten: bald sollte ich ein Buch geschrieben haben, das der eine Der weiße Bär, der andre Der nordische Bär nannte und das manche sogar gelesen haben wollten. Bald hieß es wieder, der Verfasser sei ein andrer, dessen Name mit eben den Anfangsbuchstaben wie der meinige bezeichnet werde, und ich sei daher das Opfer einer bloßen Namensverwechselung geworden. Andre suchten meine Schuld in unbesonnenen Reden, noch andre in Stellen gewisser Schauspiele, die ich schon zehn Jahre vorher geschrieben hatte. Kurz, der eine glaubte dies, der andre jenes; keiner aber fiel auf den eigentlichen Grund, der doch einzig und allein in einer argwöhnischen Laune des Augenblicks zu suchen war. Mich dünkt daher, ich bin es meinem Rufe, meinen Kindern und meinen Freunden schuldig, was mir begegnet ist, mit einfacher Wahrheit zu erzählen und so auf einmal alle Urteile zu berichtigen.

Ich habe indes auch noch eine höhere Verpflichtung: dem[9] Monarchen, dessen Verfahren gegen mich so allgemein und so bitter getadelt worden ist, bin ich es schuldig, dieses Verfahren zwar nicht zu rechtfertigen, aber den ausgezeichneten Edelmut öffentlich bekannt zu machen, mit welchem er sein Unrecht einsah, gestand und vergütete. Vergütung nenne ich hier nicht die reichen Geschenke, mit denen er mich überhäufte und welche die Zeitungen bereits in die Welt posaunt haben (denn Geschenke kosten einen Monarchen wenig und Titel nichts); Vergütung nenne ich die Art und Weise, wie er diese Geschenke gab, die Art und Weise, wie er mich behandelte, mit mir sprach, mit mir umging. Wahrlich, hier wäre er schon als Privatmann liebenswürdig gewesen; um wieviel mehr als Herr über einen halben Weltteil! Er besaß eine Tugend, die man im gemeinen Leben nicht oft und auf dem Throne noch viel seltener findet: er erkannte willig sein Unrecht und machte es wieder gut, nicht wie ein Kaiser gegen den Untertan, sondern wie ein Mensch gegen den Menschen.

Auch eine nicht minder heilige Pflicht als die, das Andenken jenes Monarchen zu ehren – Dankbarkeit gegen den jetzt regierenden milden jungen Kaiser gibt mir die Feder in die Hand. Er hat mich meiner alten kränklichen Mutter und den Musen wieder geschenkt; er hat die Wohltaten seines Vaters vermehrt und mich, wenngleich außer den Grenzen seines Reiches, auf immer zu seinem treuesten Untertan gemacht. Heil ihm! Jeder Tag seiner Regierung sei wie der erste, dessen Zeuge ich war: ein lauter, allgemeiner Jubel der Volksliebe!

Dieses Blatt, lieber Leser, enthält den Beruf, den ich zu der nachfolgenden Schrift zu haben glaubte.

Im September 1801

Quelle:
Kotzebue, August: Das merkwürdigste Jahr meines Lebens. München 1965, S. 9-10.
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