Fünfte Szene


[331] Krautmann – Adolph.


ADOLPH. Ist mein Vater schon aufgestanden?

KRAUTMANN. Schon? Es ist ja Mittag. Der gnädige Herr Papa läßt sich pudern.

ADOLPH. Wer seid Ihr, guter Freund?

KRAUTMANN. Der Pachter Krautmann von Liliendorf.

ADOLPH. So, so! Was bringt Ihr Gutes?

KRAUTMANN. Zwei Rehböcke und ein Frauenzimmer.

ADOLPH. Ein Frauenzimmer? Hegt mein Vater auch solches Wild in seinen Revieren?

KRAUTMANN. Es ist eine unglückliche Person: der gnädige Herr Papa wollen sie christlich versorgen.

ADOLPH. Vermutlich ein altes Weib?

KRAUTMANN. Blutjung.

ADOLPH. So? Und schön?

KRAUTMANN. Wie ein freundlicher Morgen.

ADOLPH. Ei! wie seid Ihr denn dazu gekommen?

KRAUTMANN. Durch Zufall.

ADOLPH. Ist sie auf Euerm Grund und Boden gewachsen?[331]

KRAUTMANN. Nein! Madame Friedberg ist eine Fremde.

ADOLPH. Friedberg? Woher?

KRAUTMANN. Das weiß ich nicht. Es war gleich nach der Weinlese, da kam ein Herr mit zwei Frauenzimmern auf einem elenden Fuhrwerke in unser Dorf. Sie hatten auch eine alte Magd bei sich, die war auf den holprichten Landstraßen so zusammengeschüttelt, daß sie nicht weiterkonnte; wir meinten alle, sie würde den Geist aufgeben. Ich sah den Jammer eine Weile mit an, und erbot mich, die Magd ins Haus zu nehmen und zu verpflegen. Das war ein langes Deliberieren. Es kam den Leuten schwer an, sich zu trennen. Ich pflege immer zu sagen: Unglückliche sind wie das Eisen, das im Feuer zusammengeschmiedet wird. Nun die Alte wollten sie nicht gern unter Fremden allein lassen. Da entschloß sich endlich Madame Friedberg zurückzubleiben, aus Pflicht und Dankbarkeit, wie sie sagte, weil die Alte sie erzogen hatte.

ADOLPH. Und der Fremde?

KRAUTMANN. Dem kam das Scheiden blutsauer an. Er wollte mir Geld zurücklassen. Als ich aber die dürre Börse sah, und die verhungerten Gesichter, da schämte ich mich und nahm nichts. Hernach weinten sie noch ein langes und breites. Wir andern im Hause weinten alle mit. Der Fremde versprach, bald wiederzukommen, und fuhr mit dem andern Frauenzimmer davon.

ADOLPH. Und ist nicht wiedergekommen?

KRAUTMANN. Noch nicht.

ADOLPH. Und hat auch nicht geschrieben?

KRAUTMANN. Geschrieben mag er wohl haben. Madam Friedberg hat etliche Briefe empfangen und hinterdrein immer ein paar Tage lang rote Augen gehabt.

ADOLPH. Der Fremde war vielleicht ihr Mann?

KRAUTMANN. Vielleicht.

ADOLPH. Habt Ihr nicht darnach gefragt?

KRAUTMANN. Nein.

ADOLPH. Warum nicht? Das hättet Ihr tun sollen.

KRAUTMANN. Gnädiger Herr! Bei uns auf dem Lande ist es Sitte, wenn wir merken, daß einer einen wunden Fleck am Körper hat, so tappen wir nicht gern darauf herum, denn wenn man dergleichen auch noch so leise berührt, es tut doch immer weh.

ADOLPH. Wißt Ihr auch, Alter, daß Eure Geschichte sehr interessant ist?[332]

KRAUTMANN. Interessant? Das soll wohl soviel heißen, als eigennützig? Nein, das bin ich nicht. Keinen Heller habe ich gefordert. Die alte Magd ist vor etlichen Tagen gestorben; ich habe sie anständig begraben lassen, habe einen Sarg von Tannenholz bezahlt und einen schönen Kranz obendrauf, denn sie war eine gottesfürchtige alte Jungfer.

ADOLPH. Sie ruhe sanft!

KRAUTMANN. Nein, interessant bin ich gar nicht. Als der gnädige Herr Papa zu uns auf die Jagd kamen, und mir die Ehre antat, in meinem Hause zu frühstücken, da hat er mir auch Geld angeboten, weil die Madame Friedberg ihm gleich wohl gefiel; aber der alte Krautmann kann wohl noch umsonst dem Armen ein Stück Brot zuschneiden, und wer weiß, wo es mir an meinen Kindern einmal vergolten wird.

ADOLPH beiseite, – ungeduldig. Schwätzer! Laut. Und mein Vater wird also in Zukunft für Madame Friedberg Sorge tragen?

KRAUTMANN. Das wird er. Es tut mir leid! Ich hätte sie gern selbst behalten.

ADOLPH. Und wo ist sie jetzt? Hier im Hause?

KRAUTMANN. Nein.

ADOLPH. Wo denn?

KRAUTMANN. Je nun, junger gnädiger Herr! ich weiß nicht, ob ich das sagen darf.

ADOLPH. Warum nicht?

KRAUTMANN. Es ist mir zwar so eigentlich nicht verboten worden.

ADOLPH. Nun also?

KRAUTMANN. Aber mit dem Herrn Papa hat es nichts zu bedeuten. So ein alter, respektabler Herr!

ADOLPH. Und ich bin ein junger respektabler Herr.

KRAUTMANN. Ja, ja, respektabel allerdings, – ich meine nur –

ADOLPH scheinheilig. Ihr meint doch nicht etwa, daß ich dem Frauenzimmer nachstellen würde?

KRAUTMANN. Je nun – die Jugend –

ADOLPH. Pfui, da bin ich ganz anders; da kennt Ihr mich gar nicht.

KRAUTMANN gutmütig gläubig. Wirklich?

ADOLPH. Ehrbarkeit ist meine Haupttugend.

KRAUTMANN. In der Tat?

ADOLPH. Die Weiber schelten mich spottweise den jungen Sittenprediger.[333]

KRAUTMANN. Wahrhaftig?

ADOLPH. Und in der Stadt nennen sie mich nur den keuschen Joseph.

KRAUTMANN. Wer Ihnen das ansähe! Mit dem Stocke hinterwärts drohend. Nun wart, laßt mich nur nach Hause kommen!

ADOLPH. Wieso?

KRAUTMANN. Da sind meine Mädchen neulich zum Jahrmarkt in der Stadt gewesen, und wie sie nach Hause kamen, so wollten sie überall gehört haben, der junge Herr Graf liefe jeder Schürze nach.

ADOLPH. Abscheuliche Verleumdung! Apropos, habt Ihr hübsche Töchter?

KRAUTMANN. Ich sollte sie wohl nicht rühmen, denn ich bin Vater; aber das darf ich schon sagen: es sind ein paar hübsche, flinke Mädels.

ADOLPH. Und die Jagd zu Liliendorf ist gut? nicht wahr? Ich werde doch auch nächstens einmal hinauskommen.

KRAUTMANN verbeugt sich. Viel Ehre!

ADOLPH. Also die Madame Friedberg – wo ließen wir sie? – denn ich muß Euch sagen, ich habe Gutes mit ihr im Sinne; notabene, wenn ich finde, daß sie eine sittsame, tugendhafte Person ist.

KRAUTMANN. Das ist sie, bei meiner armen Seele.

ADOLPH. Das freut mich. Meine Tante soll darum wissen. Ihr kennt doch meine Tante? Es ist eine reputierliche, schon etwas bejahrte Dame; die führe ich selbst in das Haus – wo war es doch gleich?

KRAUTMANN zutraulich. An der Ecke bei der Frau Wunschel.

ADOLPH. Ganz recht; bei der Frau Wunschel.

KRAUTMANN. Im dritten Stock, – rechter Hand.

ADOLPH. Scharmant!

KRAUTMANN. Gott sei gedankt, daß die wackere Madame in so gute Hände geraten ist.

ADOLPH. In die besten von der Welt.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 331-334.
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