Neunte Szene


[339] Graf – Ernestine.


ERNESTINE. Meine gnädige Gräfin läßt fragen –

GRAF. Willkommen, allerliebstes Tinchen! Hast du dich endlich[339] einmal zu mir verirrt? Komm näher! Setz' dich! Laß uns schwatzen, plaudern, küssen –

ERNESTINE. Bewahre der Himmel! Der Respekt –

GRAF. Bleib mir damit vom Leibe! Es ist mir nichts fataler, als wenn ein hübsches Mädchen Respekt vor mir hat.

ERNESTINE. Meine gnädige Gräfin –

GRAF. Deine Gräfin ist gnädig, und du bist schön, und schön war von jeher mehr, als gnädig. Also ohne Umstände!

ERNESTINE. Gnädiger Herr! Das würde sich nicht schicken.

GRAF. Ei was! Die Menschen sind auf der Welt, um sich ineinander zu schicken; das ist die wahre Schicklichkeit. Drum gib mir fürs erste einen Kuß!

ERNESTINE. Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen.

GRAF. Pfui! das wäre ja die verkehrte Welt. Meinst du, wir wären in Amerika, wo die Männer sich zu Bette legen, wenn die Weiber in die Wochen kommen? Mir, mir gib dein weißes, rundes Händchen!

ERNESTINE steckt die Hände unter die Schürze. Ach gnädiger Herr! Sie beschämen mich!

GRAF. Kind, das sind schlechte Manieren! Wer wird die Hände unter die Schürze stecken? Das sieht aus, als ob man eben aus einer kleinen Landstadt arriviert wäre.

ERNESTINE. Ich weiß in der Tat nicht –

GRAF. Wie hübsch du bist? Ja, das merk ich. Da sieh in den Spiegel, kleiner Schelm! Sage mir nur, wo du die verdammte Sprödigkeit her hast? Was bist du für eine Landsmännin?

ERNESTINE. Eine Berlinerin.

GRAF. So? sind denn die Berlinerinnen alle so spröde? Das war doch vormals nicht. Ich bin auch einmal in Berlin gewesen.

ERNESTINE naiv. Das ist wohl schon sehr lange her?

GRAF etwas verlegen. Hm! ja!

ERNESTINE. Als der gnädige Herr noch jung waren?

GRAF. Freilich war ich jünger, als jetzt. Doch, um zu lieben, wird man nie zu alt. Was die Sonne in der physischen Welt ist, das ist die Liebe in der moralischen; beide erwärmen auch Greise. Dich, niedliches Geschöpf, habe ich geliebt seit der Stunde, als du mit meiner Schwester aus dem Wagen stiegst. Du bist so flink, so gewandt – noch gestern sah ich dich über den Kohlmarkt trippeln. Apropos! es war gestern kühl, windig und du so leicht gekleidet, als ob du zum Tanze gingest.[340]

ERNESTINE. Ich bin das so gewohnt.

GRAF. Nein, nein, das darf nicht sein! Du würdest dich erkälten: Husten, Schwindsucht, Tod, – das wäre jammerschade! – Warte mein Kind! Ich habe einen türkischen Schawl gekauft; verstehst du mich? Für dich gekauft; rot, wie deine Lippen, und weich, wie deine Hand. Verzeih nur einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei dir. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 339-341.
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