Erste Szene


[343] Amalie sitzt und hat den Kopf in die Hand gestützt – Frau Wunschel steht vor ihr im Plaudern begriffen.


FRAU WUNSCHEL. Wie ich Ihnen sage, meine liebe Madame! Nicht länger als fünf Jahre habe ich mit meinem Manne gelebt, fünf Jahre, zwei Monate und einen Tag; so steht es auch auf seinem Leichensteine, der mir sieben Taler kostet; der Steinmetz Walter hat ihn verfertigt: die Geduld sitzt rechter Hand mit einem Kreuzlein auf dem Rücken; das sollte denn meine traurige Person vorstellen; ach ja! Ich habe wohl viel Geduld mit ihm haben müssen. Mit Kindern hat Gott unser Ehebette nicht gesegnet, aber von Krämpfen bin ich, leider, gar sehr geplagt worden. Es kam wohl einmal ein Arzt, ein hübscher Mensch, grundgelehrt, der wollte mir etwas verschreiben; aber mein Alter hatte kein Zutrauen zu ihm, weil er so gar jung war, und so habe ich denn nichts geerbt, als dieses Haus, davon ernähre ich mich schlecht und recht, wie es bei solchen schweren Zeiten zu gehen pflegt. Gott sei Dank! ich kann nun wohl nicht klagen, die Zimmer stehen selten leer. Hier hat noch vor kurzem ein russischer Fürst gewohnt, ein stattlicher Mann, mit einem Stern auf der Brust; er wusch sich alle Morgen mit Schnee, und sprach kein Wort deutsch. Als er fortging, hat er mich auf die Backen geklopft, und hat mir noch zwei Dukaten extra geschenkt; das ist denn so eine Sprache, die man überall versteht. Aber meine liebe Madame! Sie hören mich ja gar nicht? Ich gebe mir alle Mühe, Sie aufzumuntern, so sauer es mir auch ankommt, denn ich habe es ein wenig auf der Brust, und das viele Reden ist sonst meine Sache nicht. Fein munter, junges Frauchen, den Kopf in die Höhe; am Boden findet man keinen Trost. Hinauf muß man schauen, wenn man Hilfe sucht, ja da oben, wo die lieben Engelein musizieren und die Auserwählten alle so schön singen, wie der Musje Marchesi.

AMALIE die gar nicht auf sie hörte. Aber sagen Sie mir nur,[343] liebe Frau Wunschel, wo bleibt der Pachter Krautmann? Schon drei Stunden ist er weg.

FRAU WUNSCHEL. Ei, der hat seine Geschäfte. Wer weiß, ob er vor Abends zurückkommt? Und was soll er denn hier? Ich denke, es geht Ihnen nichts ab. Befehlen Sie nur, es soll alles geschafft werden; dazu bin ich instruiert. Wollen Sie einen extra schönen Kaffee? Im Kaffeekochen suche ich weit und breit meinesgleichen. Ich mische auch keine Zichorie darunter, nein, das tue ich nicht. Man hat jetzt so allerlei Dinge, die man für Kaffee ausgibt: Möhren und Rüben, Erbsen und Eicheln, und Gott weiß, was alles. Ja, du lieber Gott! es sieht wohl braun aus, aber es schmeckt doch immer wie Arznei. Freilich ist der Kaffee sehr teuer, seitdem die Holländer Jamaika verloren haben, welches eine Stadt sein soll, noch größer als Wien.

AMALIE. Ich bat ihn doch so sehr, den Lieutenant Stein aufzusuchen.

FRAU WUNSCHEL. Ja, mein Gott! Wo soll er ihn denn suchen? Die Stadt ist groß; Lieutenants gibts genug, aber sie sind schwer zu finden. Das ist den ganzen Tag bald hier, bald dort, das hat Amourettchen: das läuft den hübschen Mädchen nach.

AMALIE. Der, von dem ich rede, gewiß nicht.

FRAU WUNSCHEL. Ach liebe Madame! Lehren Sie mich doch die Herrn Lieutenants nicht kennen; sie sind alle auf einen Schlag, man darf keinem trauen. Ich hatte auch einmal eine Geschichte mit einem Lieutenant; doch in allen Ehren. Ich war damals siebzehn Jahr alt, und trug so eine gewisse polnische Mütze, wie sie damals Mode waren; die Mütze stand mir unvergleichlich; hier um die Stirne lief ein Gebräme von Marderfell, und an der linken Seite hing eine goldne Quaste herunter; wenn ich ein wenig mit dem Kopfe wackelte, so spielte die Quaste so schalkhaft auf meiner Schulter.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 343-344.
Lizenz:
Kategorien: