Dreizehnte Szene


[356] Ein ärmliches Zimmer.

Henriette am Stickrahmen – Stein geht mit verschränkten Armen auf und ab.


HENRIETTE. Willst du noch nicht gehen, Bruder? Es ist Zeit.

STEIN. Ja freilich! Was wird es helfen? Ich werde wieder die[356] Runde machen, überall anklopfen und niemand zu Hause. Ich gehe so schwer daran.

HENRIETTE. Das glaub' ich dir, guter Bruder!

STEIN. O du weißt nicht, Schwester, wie das empört, wie das an der Wurzel nagt, wenn man sich fühlt, wenn Kopf, Herz und Geburt einem ehrlichen Manne Ansprüche geben, und er immer zurücktreten muß, weil das Tuch an seinem Rocke nicht länger halten will, wenn das Vorzimmergeschmeiß mit einer gewissen Lakaiengroßmut auf ihn herabschaut, ihm gleichsam aus Gnaden ein Plätzchen zum Stehen vergönnt, indessen das Gesindel auf seidenen Stühlen die Beine lang vor sich hinstreckt, und pfeift und trällert. O ich weiß es, ein solcher Kerl kann mich weder ehren, noch beschimpfen, ich weiß es, aber es ärgert mich doch.

HENRIETTE. Du bist es nicht gewohnt.

STEIN. Ja, wenn das Schicksal mich jemals wieder in Wohlstand versetzt, weiß Gott! so werde ich unter meinen Leuten strenge darauf halten: Höflichkeit gegen Fremde, sie mögen erscheinen in welchem Rocke sie wollen. Wenn denn auch ein armer Teufel seinen Wunsch nicht erreichte, wenn er doch nur liebreich empfangen wurde, so geht er vielleicht mit einer Träne im Auge, aber ohne Gift im Herzen.

HENRIETTE. Du solltest lieber den ganzen Plan aufgeben.

STEIN. Und wovon leben?

HENRIETTE. Haben wir nicht bis jetzt gelebt? und sieh, hier ist noch Geld für eine ganze Woche.

STEIN. Willst du mich schamrot machen? Von der Händearbeit meiner Schwester soll ich meinen Unterhalt erbetteln?

HENRIETTE empfindlich. Betteln? Karl!

STEIN. Oder stehlen?

HENRIETTE. Keins von beiden. Was sich in meinen Händen wie in meinem Herzen für dich regt, ist ja Schwesterliebe.

STEIN. Auch die kann drücken.

HENRIETTE. Nein, das kann sie nicht, das muß sie nicht!

STEIN. Wen Aufopferung nicht drückt, der war ihrer unwert.

HENRIETTE. Welch Opfer bringe ich dir? Daß ich mir arbeitend die Zeit verkürze?

STEIN. Daß oft spät nach Mitternacht deine Lampe in der ganzen Straße am letzten brennt, ist das Zeitvertreib?

HENRIETTE. Du meinst, ich tue zuviel? Dem läßt sich abhelfen. Wir holen Amalien; Gesellschaft erleichtert jede Mühe.[357]

STEIN. Hat die treue Seele nicht Elend genug mit mir getragen?

HENRIETTE. Nur ohne dich trägt sie schwer.

STEIN. Und darf sie unsere alte Christine verlassen?

HENRIETTE zuckt die Achseln. Freilich!

STEIN. Dürfen wir jemals vergessen, daß diese redliche Magd in dem Augenblick, da der Feind uns geplündert hatte, ihren sauer ersparten Lohn hergab, damit wir fliehen konnten?

HENRIETTE. Pfui, wenn wir das vergessen könnten!

STEIN. Amalie muß also bleiben, wo sie ist. Zwar läßt ihr letzter Brief ein nahes Ende von Christinens Leiden hoffen, – o dann ist die bittere Trennung überstanden, die schon so viele Wochen dauert; dann weiß ich, wo ich neuen Mut mir hole, wenn des Schicksals heißer Wind über meine Lebenswüste fährt und ich ohne Kraft zu Boden sinke. Bis dahin rüttle mich die Not jeden Morgen aus dem dumpfen Schlummer, und treibe mich hinaus auf die Straßen, in die Paläste, und lehre mich die schwere Kunst, mein unverdientes Elend vor unverdientem Glück zur Schau zu tragen. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 356-358.
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