Fünfte Szene

[425] Bürgermeister – Herr Staar – Sperling – Frau Staar.


FRAU STAAR. Kommt ihr endlich? seht, da sitz' ich, und wer weiß, ob ich in meinem Leben wieder aufstehe.

BÜRGERMEISTER. Was ist der Frau Mutter widerfahren?

FRAU STAAR. Ich will es kurz machen – ich will reden –[425] ich will das große Geheimnis von mir geben – und dann in mein Kämmerlein gehn, und mit lauter Stimme einen Lobpsalm singen!

HERR STAAR. Was schwatzt die Frau Mutter?

FRAU STAAR. Wo ist euer Gast?

SPERLING. Er wird gleich herunterkommen.

FRAU STAAR. Niemand bei ihm?

BÜRGERMEISTER. Keine Seele. Die Sabine wollte bei ihm bleiben, aber ich jagte sie in die Küche.

FRAU STAAR. Nun so lauft! rutscht auf euren Knien die Treppe hinauf! – Niclas! Niclas! der König ist in deinem Hause!

BÜRGERMEISTER UND HERR STAAR. Wie? was?

SPERLING. Der König?

BÜRGERMEISTER. Mache mich die Frau Mutter nicht konfus.

FRAU STAAR. Ja, nun wird die Konfusion erst recht angehn. Ganz Krähwinkel muß konfus werden! Er ist da! sag' ich, er ist da! Gleich dem großen Weltkönig, der auf einem Eselein ritt, hat er dich erwählt, mein Sohn Niclas! in dein Haus ist er eingezogen, du glücklicher Bürgermeister auch Oberältester!

BÜRGERMEISTER. Frau Mutter, ich bitte sich zu explizieren, denn ich weiß schon nicht mehr, ob ich einen Kopf oder eine Windmühle auf dem Rumpfe trage.

FRAU STAAR. Da! da ist unsers gnädigsten Königs Portrait! nun, da seht selbst! ist ers? oder ist ers nicht?

BÜRGERMEISTER. Der Fremde, wie er leibt und lebt.

HERR STAAR. Richtig.

BÜRGERMEISTER. Aber woher weiß die Frau Mutter –?

FRAU STAAR. Hab' ich vor vierzig Jahren nicht des Königs Großvater gesehn? und ist ihm der Enkel nicht wie aus den Augen geschnitten? Ich sage dir, das ist sein Portrait, und die geheiligte Person wandelt über unsern Köpfen.

HERR STAAR. Da haben wirs! er reist inkognito.

SPERLING. Der Landesvater im Steinbruche!

BÜRGERMEISTER. Ach mein Gott! was ist nun anzufangen? Da muß ja die Bürgerwache mit der alten Trommel aufziehn.

SPERLING. Und die Schützenkompagnie mit der Fahne.

HERR STAAR. Und der Magistrat mit den Waisenkindern.

FRAU STAAR. Ach! wenn das mein seliger Herr noch erlebt hätte!

BÜRGERMEISTER. Aber ist es denn auch so recht gewiß?[426]

HERR STAAR. Wie kann der Herr Bruder noch zweifeln? die Frau Mutter hat ja den Großvater selbst gesehn.

SPERLING. Und das Portrait läßt sich doch auch nicht ganz wegdemonstrieren.

FRAU STAAR. Es ist der König, sag ich dir!

BÜRGERMEISTER. So muß mit allen Glocken geläutet werden, daß die Bürger zusammenlaufen.

FRAU STAAR. Die Frau Muhmen sind schon hinaus.

BÜRGERMEISTER. So brauchen wir keine Glocken. Aber eine Ehrenwache muß gleich vor das Haus.

FRAU STAAR. Vor unser Haus! Wenn ich die Ehrenwache sehe, so rührt mich der Schlag.

SPERLING. Da ist er.

FRAU STAAR zwingt sich aufzustehn. Ach Gott! Ach Gott!

BÜRGERMEISTER. Ein Herz gefaßt.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 425-427.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die deutschen Kleinstädter
Die deutschen Kleinstädter (Komedia)
Die deutschen Kleinstädter: Ein Lustspiel in vier Akten
Die deutschen Kleinstädter