Sechste Szene

[438] Der Bürgermeister – Olmers – Vorige.


BÜRGERMEISTER. Wie ich Ihnen sage, Herr Olmers, die Stadtherde hat seit hundert Jahren das Privilegium auf den Rummelsburger Stoppeln zu weiden –

OLMERS. So?

BÜRGERMEISTER. Nun aber hat der Amtmann daselbst noch neuerlich einen Hammel gepfändet –

OLMERS zu Sabinen. Meine schöne junge Wirtin ist mir entschlüpft.

BÜRGERMEISTER. Einen Hammel, sag' ich, hat er gepfändet –

OLMERS. Zwar kleidet die häusliche Sorge Sie überaus wohl –

BÜRGERMEISTER. Einen fetten Hammel sage ich –

SABINE halb leise. So hören Sie doch auf den Hammel!

OLMERS. Lassen Sie es gut sein, Herr Bürgermeister. Ich bin von den Privilegien Ihrer Stadtherde sattsam überzeugt. Der Amtmann muß den Hammel herausgeben, das versteht sich.

BÜRGERMEISTER. Ei damit ists noch nicht getan.

OLMERS. Und Strafe dazu, soviel Sie wollen. Zu Frau Staar. Nicht wahr Madam? – Sie haben uns so schön bewirtet, daß wir in diesem Augenblicke selbst für den fettesten Hammel uns nicht zu interessieren vermögen.

FRAU STAAR. Es scheint überhaupt, mein Herr, daß vernünftige Gespräche nicht jedermann interessieren. Zu meiner Zeit wurde das Alter in hohen Ehren gehalten. Betitelte Personen von gesetzten Jahren führten das Wort, die unbetitelte Jugend hörte und lernte. Sintemalen nun aber diese ehrbare Sitte nicht mehr gebräulich, so tun ältere Personen wohl, sich der Gesellschaft zu entziehen, und über den Sittenverfall in christlicher Einsamkeit zu seufzen.


Sie verneigt sich und geht ab.


OLMERS. Ich will nicht hoffen, daß Madam auf mich zürnt?

HERR STAAR. Meine Frau Mutter, die Frau Untersteuereinnehmerin, wird in ganz Krähwinkel so hoch respektiert, daß[438] sie auch dann nicht einmal zornig wird, wenn dieser oder jener ihr die gebührende Titulatur versagt.


Ab.


OLMERS. Mein Gott! die Titel sind hier in der Provinz so lang, und das Studium derselben so beschwerlich –

SPERLING. Besonders wenn man selbst keinen Titel hat.


Ab.


OLMERS. Aus einer frohen Gesellschaft sollte jeder Zwang verbannt sein.

FRAU BRENDEL. Da man aber bei einer Gasterei nicht zusammenkömmt, um froh zu sein, sondern um die Gaben Gottes reichlich und mit Anstand zu genießen, so sollte man doch billig auf die respektive Würde der Gesellschaft einige Rücksicht nehmen.


Verbeugt sich und geht.


FRAU MORGENROTH. Zumal, da die guten Sitten nur durch ein ehrbares Zeremoniell in ihrer Reinigkeit erhalten werden.


Verbeugt sich und geht.


OLMERS. Bewahre der Himmel!

BÜRGERMEISTER beiseite, indem er sich die Perücke zurechte zupft. Wenn nur der Minister nicht wäre, ich wollte es ihm auch schon sagen.

SABINE leise. Sie sind auf dem besten Wege, es mit der ganzen Familie zu verderben. Reden Sie mit meinem Vater, ehe es zu spät wird. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 438-439.
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