Eilfte Szene

[462] Sperling im Nachthabit – Vorige.


SPERLING. Da bin ich! da bin ich! wer hat sie entführt?

BÜRGERMEISTER. Der Satan!

SPERLING. Ich merke schon, weiß schon, verstehe schon; der Satan heißt Olmers.

BÜRGERMEISTER. Ist der Herr verrückt? wer redt denn von meiner Tochter? Die Delinquentin ist fort.

SPERLING. Die Delinquentin?!

KLAUS. Samt Schinken und Würsten.

BÜRGERMEISTER. Der Herr Bruder hat ihr durchgeholfen.

HERR STAAR. Sie hat den Trenk gelesen.

SPERLING. All' ihr himmlischen Mächte! was hör' ich! was vernehm' ich! Morgen kein Fest! kein Pranger! keine Verlobung! – Was soll nun werden aus meinen Kunstwerken?! ein Sonett hab' ich gedichtet auf die Delinquentin! ein Triolett auf den Galgen, den dreibeinichten! –

BÜRGERMEISTER. Ich wollte, daß ihr alle daran hinget.

HERR STAAR. Was ist anzufangen?[462]

BÜRGERMEISTER. Ja da stehn wir nun wie eine Herde Ochsen am Berge.

SPERLING. So ein unterbrochenes Opferfest!

HERR STAAR. Die Rummelsburger lachen sich tot.

BÜRGERMEISTER. Das ist das wenigste. Aber was wird man in der Residenz dazu sagen?

HERR STAAR. Keine Ordnung wird es heißen.

BÜRGERMEISTER. Keine Vorsicht, keine Wachsamkeit.

HERR STAAR. Der Minister wird außer sich sein.

BÜRGERMEISTER. Der König in Zorn geraten.

HERR STAAR. Der Herr Bruder wird abgesetzt.

BÜRGERMEISTER. Und der Herr Bruder kömmt ins Zuchthaus.

HERR STAAR. O weh! o weh!

BÜRGERMEISTER. Dreimal weh!

HERR STAAR. Man muß Sturm läuten! ihr nachsetzen!

BÜRGERMEISTER. Es ist ja stockfinstre Nacht.

HERR STAAR. Befehle der Herr Bruder, daß die Laternen angezündet werden, gleich auf der Stelle.

BÜRGERMEISTER. Es steht ja Mondschein im Kalender.

HERR STAAR. Wenngleich! es gilt des Staates Wohlfahrt! ich liefre das Öl. Herr Klaus hieher! hier vor meinem Hause mach' Er den Anfang.

KLAUS. Herzlich gern, wenn ich nur meine Schinken dadurch zu sehen bekäme. Indem er die Laterne anzünden will, erblickt er die Versteckten, und schreit. Ah! die Delinquentin! da steht sie leibhaftig!

ALLE. Wie! was!

KLAUS. Und der Satan neben ihr!

BÜRGERMEISTER. Hervor! hervor! du gottlose Kreatur!

KLAUS Sabinen beim Arm fassend. Wo sind meine Würste?

SABINE kniend. Ach mein Vater!

BÜRGERMEISTER UND HERR STAAR. Was? Sabine?

SPERLING. Die Jungfer Braut?

KLAUS. Ein satanisches Blendwerk.

OLMERS hervortretend. Herr Bürgermeister –

BÜRGERMEISTER UND HERR STAAR. Und Unser Gast?

SPERLING. Hab' ichs nicht gesagt?

BÜRGERMEISTER. Wie kömmst du hieher? Was machen Sie hier?

SABINE. Morgen, mein Vater, sollen Sie alles wissen. Der Zufall hat uns überrascht. Ich liebe Olmers. Ich verabscheue Sperling.[463]

SPERLING. Barbarin!

SABINE. Olmers hat Vermögen, hat einen Titel, ist ein Schulfreund des Ministers –

OLMERS. Und würde sich glücklich schätzen, die unangenehme Begebenheit, von der er soeben Zeuge gewesen, bei Hofe zu vermitteln. Denn es ist nicht zu leugnen, die Sache ist sehr schlimm und bedenklich.

BÜRGERMEISTER ängstlich. Meinen Sie in der Tat?

HERR STAAR ebenso. Was stünde zu erwarten?

OLMERS. Sie, Herr Bürgermeister, würden kassiert.

BÜRGERMEISTER sehr erschrocken. Wirklich?

OLMERS. Und Sie, Herr Vizekirchenvorsteher, würden eingesperrt.

HERR STAAR. Ohne Gnade?

OLMERS. Aber ich nehme alles auf mich, und stehe für den guten Erfolg.

BÜRGERMEISTER. Wenn Sie das könnten –

HERR STAAR. Der Herr Bruder muß auch bedenken, daß das Mädchen in unsrer Stadt ohnehin zum Gespötte werden wird. Mitten in der Nacht, auf offner Straße, mit einem jungen Burschen – es nimmt sie keiner mehr.

SPERLING. Ich wenigstens nehme sie nicht.

BÜRGERMEISTER. Ja wenn ich auch wollte, von wegen der bedenklichen Aspekten – aber die Großmutter –

SABINE. Er hat einen Titel.

BÜRGERMEISTER. Hat er wirklich?

FRAU STAAR am Fenster. Sind denn die bösen Geister diese Nacht alle los? was wird da unten vor Spuck getrieben?

BÜRGERMEISTER. Eben recht. Komme doch die Frau Mutter ein wenig herunter. Wir wollen Verlobung feiern.

FRAU STAAR. Auf der Straße? unter freiem Himmel? bei Nacht und Nebel? Das wäre mir eben recht.


Schlägt das Fenster zu.


BÜRGERMEISTER zu Olmers. Das sage ich dem Herrn, die Sache mit der Delinquentin muß beigelegt werden, ehe ist an keine Hochzeit zu denken.

OLMERS. Ich stehe für alles.[464]


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 462-465.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die deutschen Kleinstädter
Die deutschen Kleinstädter (Komedia)
Die deutschen Kleinstädter: Ein Lustspiel in vier Akten
Die deutschen Kleinstädter

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon