Achter Auftritt


[55] Ein Zimmer im Schloß.


EULALIA tritt auf, mit einem Briefe in der Hand. Das ist mir nicht lieb. Ich hatte mich so gewöhnt an die stille Einsamkeit. Ruhe wohnt freilich nicht immer in der Brust des Einsamen, denn ach! du nimmst dein Gewissen mit in Klöster und Wüsteneien! Aber ich konnte doch weinen, wenn mir der Kummer das Herz nagte, und niemand sah mein rotgeweintes Auge, und niemand fragte: warum haben Sie geweint? Ich konnte durch Tal und Flur umherschweifen und niemand sah, daß mein Gewissen mich jagte. – Nun werden sie mir auf den Hals kommen, werden mich in ihre Gesellschaften ziehen; da werd' ich reden und lachen sollen, an schönen Tagen mit ihnen spazierengehn, und bei Regenwetter wohl gar Karte spielen. – Nimmt man einmal ein Buch in die Hand, so heißt's gleich: was lesen Sie da? erzählen Sie doch! was steht in dem Buche? oder: werfen Sie das einfältige Buch auf die Seite! wer wird immer lesen? – Ach! ich wollte, sie wären in der Stadt geblieben, auf ihren Bällen und Clubs, auf ihren Assembleen und Promenaden, und hätten sich da begafft und verleumdet, und betrogen und verführt. – Und heute schon! – In den Brief sehend. ach! das ist mir gar nicht lieb! und ich kann nicht recht klug aus dem Briefe werden, ob die Reise aufs Land nur so eine Grille war, Laune eines Augenblicks, oder Plan auf längere[55] Dauer. Fast befürcht' ich das letztere: und dann – gute Nacht, Einsamkeit, die du so oft mit deinem magischen Stabe Ruhe in dieses Herz zurückbrachtest! Gute Nacht, Lektüre! Schales Plaudern wird dich verdrängen. Hier, wo die Morgensonne sich nur in meiner Träne spiegelte, hier wird Jagdgetöse und Hundegeheul sie begrüßen. – Ach! alles wollt ich gern ertragen; aber wenn nun die edle Gräfin mir Beweise ihrer Zuneigung, wohl gar ihrer Hochachtung gibt, und ich alle Augenblicke fühlen muß, daß ich das nicht verdiene – o wie wird dann mein Gewissen mich peinigen! – Oder – ich bebe vor dem Gedanken! – wenn dieses Schloß nun ein Tummelplatz von Gesellschaften würde, unter welche das Ohngefähr wohl gar einige meiner ehemaligen Bekannten mischte! – ach! wie elend ist man, wenn auch nur zwei Augen in der Welt sind, deren Blick man scheuen muß.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 55-56.
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