Sechster Auftritt


[105] Bittermann – Lotte.


BITTERMANN der die letzten Worte gehört hat. Ei, ei, warum nicht gar? Wer hat Ihnen Leides getan, mein schönes Kind?

LOTTE verächtlich. Mir, Herr Bittermann? Ich bin nicht die Person, die sich von irgend jemand in der Welt etwas zuleide tun läßt. Wenn auch gewisse Leute, die ich nicht nennen will, sich gegen gewisse Leute übermütig betragen, denen sie kaum wert sind, die Schuhriemen aufzulösen, so habe ich doch zuviel Erziehung genossen, um mir auch nur ein graues Haar deshalb wachsen zu lassen.

BITTERMANN. Die hochedle Mamsell sprachen auch vorhin nicht von grauen Haaren, sondern von der gelben Sucht.

LOTTE. Nun ja, ich meinte, es wäre schade, daß Madam Müller, die sonst eine ganz erträgliche Figur macht, eine so gelbe Haut hat.

BITTERMANN. Lieber Gott! es gibt gelbe, schwarze und bronzierte Menschen in der Welt. Ich habe darüber noch vor kurzem Briefe vom Vorgebirge der guten Hoffnung gehabt; und wenn Madam Müller gelb ist, so mag das vielleicht in Ihrem Vaterlande so gebräuchlich sein.

LOTTE. In ihrem Vaterlande? Allerliebster Herr Bittermann! Sie können mir also sagen, wer diese Kreatur ist? und ob sie in Ansehung ihrer Geburt und Herkunft sich mit gewissen Personen messen darf?

BITTERMANN. Nein, hochedle Mamsell, ich habe darüber keine Briefe, weder aus Europa, noch aus irgendeinem andern Weltteile.

LOTTE. Wenn eine hochgetragene Nase immer das Zeichen eines vornehmen Standes ist; wirklich, so muß sie eine Prinzessin sein.[105]

BITTERMANN. In der Tat, wenn man sie zuweilen reden hört, sollte man denken, man habe eine Hochwohlgeborne Frau Baronin vor sich.

LOTTE. Aber wer ist schuld daran, als die hohen Herrschaften selbst? War das auch heute eine Aufführung für einen Grafen? er tritt kaum in die Türe – ich stand auf dem Vorsaal – so läuft er auf Madam Müller zu und umarmt sie, recht als ob sie seinesgleichen wäre.

BITTERMANN. Ja, ja, davon bin ich Zeuge gewesen.

LOTTE. Ebenso die Frau Gräfin. Sie speist mit den Herrschaften, sie geht mit ihnen spazieren, und jetzt in diesem Augenblick sitzt sie mitten unter ihnen am Teetische.

BITTERMANN. Leider alles wahr.

LOTTE. Schickt sich das für einen Grafen?

BITTERMANN. Ganz und gar nicht.

LOTTE. Muß ein Graf nicht immer einen gewissen Stolz, eine edle Selbstgenügsamkeit in allen seinen Handlungen blicken lassen, wenn er auch sonst nichts auf der Welt wäre, als Graf?

BITTERMANN. Ei freilich! freilich!

LOTTE. Ebenso, als wenn ich, die Tochter eines Hofkutschers, mich mit den Bauern im Dorfe familiarisieren wollte.

BITTERMANN. Bewahre der Himmel!

LOTTE. Nein, das leide ich durchaus nicht. Morgen früh beim Ankleiden werde ich mit der Gräfin sprechen. Eine von uns beiden muß das Feld räumen, entweder ich oder Madam Müller.

BITTERMANN welcher den Major kommen sieht. St!


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 105-106.
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